Andrea Nahles und der SPD-Vorsitz: Vorzeitige Übergabe ist umstritten

Die SPD-Gremien entscheiden am Dienstag, ob sie Nahles vorläufig zur Chefin küren. Mehrere Landesverbände und Juristen protestieren.

Martin Schulz zeigt auf Andrea Nahles

Darf Nahles vorzeitig den Staffelstab von Schulz übernehmen? Die Satzung regelt den Fall nicht Foto: dpa

BERLIN taz | Falls die SPD-Gremien heute Nachmittag Andrea Nahles kommissarisch zur Parteichefin küren, sind politische Überlegungen entscheidend: Der Noch-Vorsitzende Martin Schulz ist eine Lame Duck, seitdem er angekündigt hat, das Amt an Nahles zu übergeben. Das Machtvakuum, so die Überlegung einiger in der SPD-Spitze, müsse schnell gefüllt werden. Schließlich steht das heikle Mitgliedervotum über die Große Koalition kurz bevor.

Doch der Plan ist umstritten – aus politischen und juristischen Gründen. Mehrere Landesverbände protestieren gegen Nahles vorläufige Inthronisierung im Schnellverfahren. Schließlich wäre es eine Top-down-Entscheidung, die von Führungsgremien getroffen würde. Das ist angesichts des Misstrauens vieler Mitglieder gegenüber der Parteispitze ein Risiko. Eigentlich muss ein SPD-Parteitag eine neue Vorsitzende bestätigen.

Die Berliner SPD warnt davor, Nahles kommissarisch zur Vorsitzenden zu ernennen. Es dürfe auch im Zuge der Erneuerung der Partei nicht der Eindruck entstehen, dass Nahles von oben eingesetzt werde, sagte eine Sprecherin am Dienstag. Stattdessen solle ein bereits gewählter Vertreter kommissarisch den Posten übernehmen. Das werde Berlins Regierungschef und SPD-Landesvorsitzender Michael Müller dem Präsidium nahelegen. Gleichzeitig stelle sich die Berliner SPD aber hinter Nahles' mögliche Kandidatur, betonte die Sprecherin.

Auch in Schleswig-Holstein regt sich Protest. Laut einem Bericht der Welt fordert der SPD-Landesparteirat in Schleswig-Holstein, die angekündigte „Benennung von Andrea Nahles als kommissarische Parteivorsitzende nicht durchzuführen“. Stattdessen solle satzungsgemäß eine Person aus der Reihe der stellvertretenden Parteivorsitzenden die Geschäfte kommissarisch führen, bis ein Bundesparteitag die Frage des Parteivorsitzes geklärt habe. Den Initiativantrag hatten die Jusos gestellt.

„Dafür sind die Stellvertreter da“

Genauso sieht es der SPD-Landesverband Sachsen-Anhalt. Für die Übergangszeit bis zur regulären Wahl eines Nachfolgers von Schulz solle einer der Stellvertreter übernehmen, sagte Landesverbandssprecher Martin Krems-Möbbeck am Dienstag. „Die sechs Stellvertreter sind genau dafür da.“ Diese Lösung ergebe sich aus deren Funktion „und der gelebten Satzungspraxis“. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Landesvorstand am Sonntag.

Die SPD-Satzung lässt bei dieser Frage eine Lücke, sie sieht keine Regelung für die Wahl einer kommissarischen Vorsitzenden vor. Paragraf 23 des SPD-Organisationsstatuts regelt aber, wie Vorstand und Präsidium zusammengesetzt sein müssen – und wie sie eingesetzt werden. Auch Juristen sehen mit Blick auf die Satzung die Idee kritisch, Nahles kommissarisch zur Chefin zu machen.

Wenn man einen Blick in Paragraf 23 werfe, „sieht man gleich, dass ein Nichtvorstandsmitglied wie Andrea Nahles nicht kommissarischer Vorsitzender nach dem Rücktritt des Vorsitzenden werden kann“, twitterte der Strafverteidiger Udo Vetter, der den „Law Blog“ betreibt, einen Blog zu juristischen Fragen. Dies könne nur ein anderes Vorstandsmitglied.

„In unseren Statuten nicht vorgesehen“

Auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Harald Baumann-Hasske, ist skeptisch. Für eine kommissarische Übernahme des Vorsitzes durch Nahles gebe es satzungsmäßig keine Grundlage, sagte er der Welt. „Dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen.“ Auch Baumann-Hasske plädiert dafür, dass ein Vizechef die Amtsgeschäfte von Schulz vorläufig führen soll.

Schulz hat sechs StellvertreterInnen. Dazu gehören zum Beispiel der Hamburger Olaf Scholz, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, oder Manuela Schwesig, Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern. Nahles muss sich auf einem Parteitag nach dem Mitgliedervotum zur Wahl stellen – egal, ob sie von den Gremien zur kommissarischen Vorsitzenden gemacht wird oder nicht.

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