Anonymous will Whistleblowern helfen: Toter Briefkasten im Web

Die Aktivistengruppe richtet derzeit ein Postfach für anonym eingereichte Artikel ein. Sie verspricht die größtmögliche Anonymisierung der Nutzerdaten.

Pst! Anonymous will Aufklärern garantieren, dass niemand sie entdeckt. Bild: ap

BERLIN taz | Man kennt das Prinzip aus Agentenfilmen: Der geheime Absender, gehüllt in einen beigefarbenen Trenchcoat, das Gesicht im Schatten eines Schlapphuts, legt einen Brief in einen Mülleimer. Er verschwindet und irgendwann taucht eine zweite Gestalt auf, blickt sich hastig um, fischt sich den Brief und verschwindet. Es ist das Prinzip toter Briefkasten.

Nun will die Aktivistengruppe Anonymous offenbar den angestaubten Trick im Netz neu beleben. Das bisherige Blog anonnewsde.org soll ein Postfach für anonym eingereichte Artikel bekommen. Zielgruppe: Whistleblower, lichtscheue Meinungsmacher, anonyme Demo-Organisatoren.

Zugegeben, diese Idee ist nicht neu. Ein deutsches Mitglied von Anonymous jedoch verspricht in einem Interview, das via Twitter geführt wurde, größtmögliche Anonymisierung der Nutzerdaten – viel konsequenter als etwa beim Portal Indymedia.

Der Server für AnonNewsDE speichere keine Daten der Besucher, jeder Kommentator werde unter der immer selben IP-Adresse 127.0.0.1 geführt. Abhörsicher sei das nicht, aber datenschutzfreundlich und anonym, schreibt der Anon. Mit diesem geschlechtsneutralen Begriff lassen sich die Aktivisten ansprechen.

Oberstes Ziel des Vorhabens ist, „mehr Leute von Facebook und anderen Datenschleudern wegzukriegen“, wie der Anon schreibt. „Eine dezentrale und anonyme Anlaufstelle, wo niemand einen Klarnamen oder ein Gesicht hat, kann von außen nicht gestört werden.“

Ein Laienblog mit redaktioneller Bearbeitung

Anonymous will jeden Artikel prüfen, bevor er erscheint. Bei groben Fehlern behalten sich die Blogger hinter der typischen Guy-Fawkes-Maske eine Bearbeitung vor, Verschwörungstheorien würden gar nicht veröffentlicht. Dieses Redaktionelle ist ein weiterer Unterschied zu Indymedia – dessen Kollektiv mochte die Anonymous-Pläne trotz zweier Anfragen nicht kommentieren.

Plant Anonymous also ein journalistisches Angebot? Nein, eher ein Laienblog. „Eine komplett eigene Nachrichtenseite ist in Deutschland nicht nötig, viele Medien hier arbeiten gut, und man kann mit deren Inhalt gut arbeiten“, twittert der Anon.

Im Gegensatz dazu kündigten US-amerikanische Anonymous-Aktivisten bereits vor Monaten an, eine eigene Nachrichtenseite zu starten, statt wie bisher Informationen nur zu aggregieren. Fast 55.000 Dollar sammelten sie über die Kampagnenseite Indiegogo. YourAnonNews wird hierzulande allerdings kritisch beobachtet: Spenden einzuwerben verstoße gegen die Prinzipien der Bewegung, sagt der Anon. Und lästert: „Man munkelt nebenbei noch im Kollektiv, dass die Kohle längst verprasst wurde.“

Freiwilling und Kostenfrei

Kohle kosten soll das deutsche Projekt toter Briefkasten deshalb nicht. Doch da fängt das Problem an: Alles beruht auf freiwilliger Arbeit. Die Blogger müssen Artikel sichten, filtern, publizieren. Ihre Zelle umfasst nach eigenen Angaben zwölf Mitglieder aus ganz Deutschland, die meisten aus Nordrhein-Westfalen. Nur fünf bloggen. Noch zu wenige, um den toten Briefkasten zu betreuen, schreibt der Anon, denn: „Es wird bestimmt viel Spam und Schrott reinkommen.“ Rein technisch sei fast alles startklar, Veranstaltungen können bereits anonym gepostet werden.

Alle diese Angaben zu überprüfen fällt schwer, denn kein Anon gibt seine Identität preis. Auf eine weitere Testanfrage der taz, diesmal per E-Mail und unter anderem Namen, antwortet ein Mitglied gleich lautend wie der twitternde Anon. Ein Kontakt per Telefon ist nicht möglich.

Anrufe bei der im Impressum genannten Schweizer Rufnummer landen auf der Mailbox eines Prepaid-Anbieters. Im fünften Versuch geht dort schließlich ein Mann ans Telefon – und weiß angeblich nichts von AnonNewsDe. Aber die Männer in den Agentenromanen sind ja auch eher verschlossene Typen.

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