Anti-Olympia-Demo in London: „Keine Limos, Logos und Raketen“

Grüne und Sozialisten protestieren am Samstag gegen das Olympia der Konzerne. Sie finden, Geld wird woanders dringender gebraucht.

„In meinem Haus sind selbst die Glühbirnen im Flur gestohlen worden, ich hoffe, auf die Raketen wird besser aufgepasst,“ sagt eine Demonstrantin Bild: Daniel Zylbersztajn

LONDON taz | Man könnte meinen, jetzt, wo der Sommer doch noch eingekehrt ist und Bradley Wiggins das gelbe Trikot an die Themse gebracht hat, sind alle Londoner rechtzeitig auf olympische Linie gebracht. Am Samstagnachmittag, einen Tag nach der furiosen Eröffnungszeremonie im Olympiastadion, finden sich dennoch rund 500 Menschen an der Mile End U-Bahnstation im Londoner Bezirk Tower Hamlets ein, die ihrem Unmut über das Großereignis Gehör verschaffen wollen.

Das Counter Olympics Network hat unter dem Motto „Keine Limos, keine Logos, keine Raketen“ zur Demo gegen das Olympia der Konzerne aufgerufen. Die Teilnehmerinnen ziehen quer durch den Stadtteil Bow, das unmittelbar ans Olympiagelände angrenzt.

Nicht wenige von ihnen gehören dem üblichen Londoner Protestpersonal an; unvermeidbar ist der Auftritt der Socialist Worker mit ihren standardisierten Schwarz-Weiß-Plakaten, dahinter ein ziemlich kleiner Block von Anarchisten mit Anonymous-Masken. Der Protest richtet sich nicht nur gegen problematische Olympia-Sponsoren wie Dow Chemical und BP.

Generell werden auch die massiven, öffentlichen Ausgaben für die Spiele in Zeiten harter Sparmaßnahmen im Sozialbereich problematisiert. Geradezu ermutigt durch die Eröffnungszeremonie mit ihrer fast schon subversiven Huldigung des staatlichen Gesundheitssystems, fordern die DemonstrantInnen gleich auch noch das Ende der Privatisierungspolitik der konservativen Regierung.

Splitterpartei im Königreich

Auf der Demo sind mit einigen Londoner Ortsvereinen auch die Grünen vertreten, in Königreich immer noch eine Splitterpartei. Mitglied Mark Dawes findet vor allem die Olympia-Sponsorenschaft von Coca Cola und McDonald's skandalös. „Das widerspricht dem Bemühen, Kinder zum Sport zu animieren. Deren Fettleibigkeit nimmt immer stärker zu“, so Dawes.

Die Grünen aus Lewisham fokussieren ihren Protest auf die Boden-Luft-Raketen, die das Militär zum Schutz vor Terrorattacken per Flugzeug mitten in die Wohngebiete des Südlondoner Bezirks stationiert hat. Aber eben nicht nur dort: Die Demo macht am Bow Quarter Halt, einer zur geschlossenen Wohnanlage für Besserverdienende umgebauten Streichholzfabrik aus viktorianischer Zeit.

1888 hatten hier Arbeiterinnen erfolgreich für besseren Gesundheitsschutz gestreikt. Auf einer ihrer Wassertürme hat das Militär ebenfalls Raketen in Stellung gebracht. Während die DemonstrantInnen diese Maßnahme als bedrohlich empfinden, äußern einige Anwohner am Rand des Protests, sie würden sich durch die Raketen nicht gestört fühlten, die erhöhte Präsenz von Sicherheitspersonal sei sogar positiv.

„In meinem Haus sind selbst die Glühbirnen im Flur gestohlen worden, ich hoffe, auf die Raketen wird besser aufgepasst,“ sagt allerdings Celia Forbes, die gegenüber vom Bow Quarter wohnt. Spontan hat sie sich in die Demo eingereiht, als sie den Lärm von der Straße mitbekommt.

In Richtung Berlin verschwinden

„Nationalismus und Wettbewerbssport sind wirklich nicht mein Ding“, erklärt sie und fügt hinzu, dass sie deshalb auch für ein paar Tage in Richtung Berlin verschwinden wird. Als die Demo ein Busdepot passiert, beschweren sich die Fahrer, dass sie wegen der blockierten Straße mit ihren Bussen nicht aus der Garage raus können.

Doch die Demo stößt mit ihren Anliegen bei den Passanten auf der Straße nicht nur auf Ablehnung. Viele sind nur nicht informiert darüber, welche Konzerne die Spiele sponsern. Zumindest finden sie es richtig, dass hier das Demonstrationsrecht ausgeübt werden kann.

Anders als in den Olympiastädten Peking oder Sotchi. In Sotchi werden die Winterspiele 2014 stattfinden, was einer Gruppe folkloristisch gekleideter Demonstranten gar nicht passt. Mangel an Meinungsfreiheit oder auch die olympischen Umweltzerstörungen im Kaukasusgebirge sind aber gar nicht ihr Hauptthema. Sie stellen sich als Mitglieder von American Circassian of Diaspora heraus, im US-Exil lebende Tscherkessen.

Die wurden schon im 19. Jahrhundert von den Russen aus dem Kaukasus vertrieben oder in Massen umgebracht. In Sotschi fand eine der letzten Schlachten zwischen Russen und Tscherkessen statt. „Die Olympischen Stadien sind auf den Knochen unserer Vorfahren errichtet worden, das ist unmoralisch,“ erklärt eine der Frauen in Tracht.

Rabiates Vorgehen gegen Fahrraddemo

Die Gruppe gehört inzwischen zum Anti-Olympia-Protest-Establishment. Bei den Spielen 2010 in Vancouver hat sie sich ebenfalls unter lokale Demos gemischt. Die Polizei hält sich sichtbar im Hintergrund. Lediglich eine Person wird kurz in Gewahrsam genommen und aufgrund des Verdachts auf Waffenbesitz einer Leibesvisitation unterzogen.

Am Abend der Eröffnungszeremonie waren die Sicherheitsbehörden rabiater gegen eine Fahrraddemo von Critical Mass mit 700 TeilnehmerInnen vorgegangen, die zu nah an das Olympiagelände gekommen war. Beamte hatten zwei Kessel gebildet und insgesamt 116 Leute vorübergehend verhaftet. Kvle Winters, der sich als Occupy Aktivist zu erkennen gibt, war unter ihnen, er kommt direkt aus dem nächtlichen Arrest auf die Demo, noch mit zerrissenen T-Shirt.

Dass sich die bis vor kurzem so reservierte Haltung der britischen Öffentlichkeit gegenüber Olympia so schnell geändert habe, zeige, wie gut die massive Propagandamaschine aus Medien und Regierung am Ende doch funktioniert, meint Winters. Olympia habe für eine karnevaleske Atmosphäre gesorgt, mit der die Londoner gekauft werden.

Adidas bekommt sein Fett weg

„Die Leute, die wirklich das Geld benötigen, dass in die Spiele geflossen ist, bleiben unsichtbar. Würden sie auf die Straße gehen, wäre es mit dem Karneval allerdings vorbei“, ist sich Winte sicher. Die Demo endet im nördlichen Mile End Park, wo auf einer Abschlusskundgebung auch noch mal der Sporthersteller Adidas wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in den für ihn anfertigenden Textilfabriken in Asien sein Fett weg bekommt.

Am Freitag hat eine Handvoll Aktivisten eine alternative Fackel durch den Osten Londons getragen. Die wird auf der kleinen Bühne nun feierlich an die Anti-Sotchi-Gruppe weitergegeben, die daraufhin einen recht spektakulären tscherkessischen Tanz hinlegt.

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