Antikapitalistin zu Tsipras‘ Referendum: „Ja bedeutet Sendepause für uns alle“

Wenn die Griechen am Sonntag abstimmen, haben auch in Deutschland Aktivisten Angst um ihre Zukunft. Margarita Tsomou erklärt, wieso.

Auf einem Schrank ist ein Schild zu sehen. Aufschrift: "Bleibe ruhig, ruf einen Griechen."

Die Idee ist ja gut, aber was, wenn das auch nichts mehr nützt? Foto: dpa

taz: Frau Tsomou, die griechische Regierung will das Volk abstimmen lassen. Lacht da Ihr Revoluzzerherz?

Margarita Tsomou: Natürlich lässt sich die Geste feiern, die Bevölkerung als politische Akteure in die Verhandlungen einzubeziehen. Das ist demokratisch. Aber wir müssen uns ja nichts vormachen: Ein erfolgreiches „Ja“ im Referendum bedeutet Sendepause für alleKapitalismuskritiker.

Wieso das?

Ein „Ja“ wäre die demokratische Legitimitation und der Freischein für die Sparpolitik der Europäischen Union. Damit wäre in Europa die letzte Bastion für progressive Politik gefallen. Tsipras würde abtreten.

Ja und?

Wegen ihrer Nähe zu sozialen Bewegungen war Syriza für viele linke Protestbewegungen in Europa eine große Hoffnung, aber auch eine Projektionsfläche. Ihr Erfolg oder Misserfolg strahlt in die sozialen Bewegungen Europas aus.

Wie nehmen Sie denn die Rolle Syrizas unter deutschen Kapitalismuskritikern wahr?

Hier wird vieles idealisiert. Die deutschen Linken sind etwa viel stärker auf Parteilinie mit Syriza als die Griechen selbst. Um sich zu solidarisieren, folgt die deutsche Linke der griechischen Linken. Wenn die Griechen nein sagen, sagen auch die Deutschen nein.

Jahrgang 1977, ist Künstlerin, Aktivistin und Journalistin. Die Herausgeberin des „Missy Magazins“ besitzt einen deutschen und einen griechischen Pass. Sie verfügt über gute Kontakte zur griechischen Regierungspartei Syriza und den dortigen sozialen Bewegunge und unterstützte in Deutschland die griechische Solidaritätsbewegung, unter anderem im Rahmen der Blockupy-Proteste in Frankfurt.

Sollten sie denn lieber „Ja“ zu den Auflagen der Gläubiger sagen?

Natürlich nicht. So gut wie alle progressiven Griechen mobilisieren für das große „Nein“. Auch unter jungen, undogmatischenKünstlern oder Musikern, die Syriza kritisch gegenüberstehen, gibtes diese Tendenz. Für sie bedeutet ein „Ja“ beim Referendum, dasssie für die kommenden zehn Jahre einer postdemokratischenRegierungsform zustimmen, bei der über die Politik nicht mehr beigriechischen Wahlen abgestimmt wird. Es gibt in Griechenland eineTendenz dazu, diesen Bruch als Erlösung zu sehen. Das Problem istnur: Die Leute erfahren nicht, was dieser Bruch ganz konkret bedeutet.

Wie meinen Sie das?

In Griechenland haben alle, die Angst vor dem „Ja“ haben, auch Angst vor dem „Nein“. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat in seinerAnsprache an die Bevölkerung mit keinem Satz gesagt, was dieses Nein der Bevölkerung zu den europäischen Vorschlägen genau bedeuten würde. Seine Botschaft lautet: Sendet mit Eurem „Nein“ ein Signal für ein Europa der Demokratie. Das mag politisch wünschenswert sein. Er sollte aber auch sagen: Wir werden dann eventuell zunächst mal alle nur von solidarischen Ökonomien leben, mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Die WählerInnen müssten darauf vorbereitet werden und überlegen, ob und vor allem wie sie diese Verantwortung zur Selbstorganisierung auf sich nehmen wollen.

Was soll das sein: Solidarökonomie?

Seit Jahren wächst in Griechenland ein Netz von nicht-monetären Ökonomien: soziale Kliniken, Umsonsapotheken, alternative Währungen und Tauschmärkte. Meine Eltern etwa haben gemeinsam mit Nachbarn eine Recyclingfirma gegründet, weil der Staatdafür nicht genug Geld hat. Da brauchte es keinen Bürgermeister und keine Regierung. Die Leute organisieren sich in einer neuen Weise und so entsteht auch ein neues Politikempfinden. Sie sind nicht mehr nur Konsumenten, sondern teilhabende Bürger, die selbst eine neue Form des Staates herstellen. Das ist beeindruckend...

...und hört sich etwas romantisch an. Es ist doch vor allem die pure Not, die die Menschen dazu treibt. Sie stehen vor Geldautomaten und es kommt nichts raus.

Natürlich ist Not ein entscheidender Aspekt. Man muss da nichts romantisieren. Ich will nur sagen: Es gibt inmitten dieser Krise etwas Neues: die Erfahrung der Selbstaktivität und gegenseitigen Hilfe. Viele der Menschen haben gerade in den letzten Jahren erst gelernt, was es bedeutet, solidarisch zu sein, nachdem ihnen zuvor jahrelang keine Regierung helfen konnte. Das erklärt auch, weshalb ein „Nein“ beim Referendum für viele naheliegend ist. Aus Deutschland heraus gibt es eine Tendenz zur Beurteilung der Krise aufgrund des eigenen Status Quo. Ich glaube aber, man muss diese griechische Kollektiverfahrung begreifen, um zu verstehen, was da am Sonntag passiert.

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