Arbeitsbedingungen in Bremen: Ausbeutung statt Nächstenliebe

Das Berufsförderungswerk Friedehorst beschäftigte offenbar über Jahre scheinselbstständige DozentInnen. Das geht aus einem Urteil des Sozialgerichts hervor.

Nur witzig, wenn DozentInnen nicht scheinselbständig sind: EDV-Kurs Foto: dpa

BREMEN taz | Ausbeutung statt christlicher Nächstenliebe scheint lange Zeit das Motto des diakonischen Berufsförderungswerks Friedehorst (BFW) in Bremen-Lesum gewesen zu sein. Die Bildungseinrichtung zur Rehabilitation, Weiterbildung und Integration hat offenbar über einen längeren Zeitraum abhängig Beschäftigte als Honorarkräfte ausgegeben. Das Sozialgericht Bremen hat am Montag in einem Fall geurteilt, dass es sich bei der vermeintlich freien Lehrtätigkeit der EDV-Dozentin Petra E. um eine Scheinselbstständigkeit gehandelt habe.

Das BFW hatte vor dem Sozialgericht gegen einen Bescheid der Rentenversicherung geklagt, die den Bildungsträger dazu aufgefordert hatte, die Sozialversicherungsbeiträge für E. nachzuzahlen. Die ehemalige Dozentin sagte, es hätte in den fünf Jahren ihrer Beschäftigung „stets zwischen 20 und 60 weitere Honorarkräfte bei dem BFW gegeben, die unter ähnlichen Bedingungen“ wie sie gearbeitet hatten.

Die gemeinnützige GmbH ist Tochter der Stiftung Friedehorst. Im norddeutschen Raum hat das BFW neben dem Hauptsitz in Bremen-Lesum weitere 14 Außenstellen. Zur weiteren Beschäftigung von Honorarkräften wollte sich der Träger außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht äußern.

E. hatte von 2008 bis 2013 in Bremen-Lesum als „Honorarkraft“ für Friedehorst gearbeitet, ihre Aufgabe war es, UmschülerInnen und RehabilitantInnen in EDV zu unterrichten. Die Arbeitszeit wurde ihr vorgegeben, ebenso der zu vermittelnde Stoff, selbst an Zeugniskonferenzen sollte sie teilnehmen – alles Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. Trotzdem zahlte ihr Arbeitgeber keine Versicherungsbeiträge.

Ein klassischer Fall

E. sagt über die Beschäftigung bei dem evangelischen Träger: „Es lief nach dem Motto: ‚Friss oder stirb!‘“ Freiheiten habe sie keine gehabt, ebenso wenig andere Lehraufträge. „Ich bin nicht in der Kirche, verhalte mich aber christlicher – christlich steht drauf, Ausbeutung steckt drin.“ Als das BFW 2013 auch noch einseitig ihr Honorar kürzte, habe sie nach Abzug der Versicherungsbeiträge kaum noch von dem Geld leben können. Bei einer Rechtsberatung weist ein Anwalt sie darauf hin, dass es sich bei ihrer Arbeit um einen „klassischen Fall von Scheinselbstständigkeit“ handele.

Daraufhin stellte E. einen Antrag auf Prüfung ihres Status bei der Rentenversicherung, die Ende 2013 entschied, dass es sich tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe. Demnach sollte das BFW sämtliche Versicherungsbeiträge für E. nachzahlen. Doch dagegen klagte die Einrichtung vor dem Sozialgericht, wo der Fall drei Jahre lang lag.

Petra E., Ex-EDV-Dozentin Bei Friedehorst

„Die Arbeit lief nach dem Motto:‚Friss oder stirb!‘“

Bei der mündlichen Verhandlung argumentierte das BFW, die von E. vermittelten EDV-Inhalte seien weder „prüfungsrelevant“ gewesen noch habe es „einseitige Weisungen“ gegeben. Hagen Samel, Geschäftsführer des BFW, argumentierte: „Wir verdienen 70 Prozent mit Reha und nicht mit Ausbildung. Wir sind kein Bildungsträger. Die Aufgabe von Frau E. war es, die Rehabilitation zu flankieren.“ Demnach sei E. nicht relevant für die Ausbildung gewesen, habe eher Dinge wie Kräuterwanderungen mit RehabilitantInnen gemacht.

Samel sei zudem davon ausgegangen, dass E. nicht allein von der Arbeit bei Friedehorst lebe. Und bei den Zeugniskonferenzen hätten die Honorarkräfte ohnehin nur vier Stunden lang „bräsig herumgesessen“ und seien dafür noch bezahlt worden. Mittlerweile säßen „Honnis“ nicht mehr in den Konferenzen. Viele der ehemaligen Honorarkräfte seien zudem eingestellt.

Was dann der Gegenstand des Unterrichts war, wollte die vorsitzende Richterin Klinger wissen. „Die sollten irgendwas machen“, sagte Samel, „Excel, Word, Power Point.“ Die Stoffpläne habe er aus einem „VHS-Buch rauskopiert“. Die Vorgaben habe sie nicht so genau erfüllen müssen, so der Tenor seiner länglichen Ausführung.

Bildungswerk ohne Bildung

Blöd nur, dass er sich daraufhin auf richterliche Nachfrage direkt widersprach: Musste E. sich nun an die Stoffpläne halten oder nicht? „Ja, sie sollte sich dran halten“, räumte Samel ein, aber der sei als Orientierungsrahmen zu verstehen – „so funktioniert jeder Bildungsträger“, sagte Samel und widersprach damit seiner vorherigen Aussage, dass das Bildungswerk Friedehorst ja keine richtige Bildungseinrichtung sei, sondern nur für Rehabilitation.

E. sagte nach dem Urteil: „Ich bin erst mal total erleichtert. Die Argumentation von Friedehorst war hanebüchen und widersprüchlich.“ Das BFW muss nun Sozialversicherungsbeiträge für fünf Jahre nachzahlen. E. ist immer noch verwundert, dass ihre damaligen KollegInnen nicht auch ihre Status überprüfen ließen: „Ich verstehe nicht, dass so viele Menschen das einfach hinnehmen.“

Scheinselbstständigkeit verjährt nach vier Jahren. Sollte etwa ein Unternehmen nach einem solchen Bescheid wie dem von E. weiterhin, also nachweislich wider besseres Wissen, Beschäftigte mit Scheinselbstständigkeit ausbeuten, kann sich diese Verjährung auch auf 30 Jahre erhöhen.

Heiko Schröder, von der Rentenversicherung Nord, zuständig für Arbeitgeberprüfungen, sagte der taz: „Wenn uns ein solcher Fall bekannt wird, gucken wir bei der nächsten Prüfung genauer nach. Bei erneutem Verstoß ist es bösgläubig.“

Ein selbst formuliertes Ziel der gemeinnützigen christlichen Einrichtung Friedehorst ist laut ihrer Website, „christliche Nächstenliebe mit fachlicher Kompetenz zu verbinden und in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen“. Dem darf das Bildungsförderungswerk Friedehorst nun nachkommen, indem es endlich die Sozialversicherungsbeiträge für Petra E. bezahlt.

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