Arbeitsmarkt in Deutschland: Hauptsache, die Statistik stimmt

Immer mehr Arbeitslose werden von der Arbeitsagentur in Zeitarbeit vermittelt. Inzwischen kommt Kritik auch aus der Agentur selbst.

Seine Statistik zeigt nach oben: BA-Vorstandsvorsitzender Frank-Jürgen Weise. Bild: dpa

BERLIN taz | Eberhard Einsiedler liebt klare Worte. Bereits 2009 bemängelte der Mitarbeitervertreter der Bundesagentur für Arbeit (BA) in einem offenen Brief den „Zahlenfetischismus“ der Behörde. „Pfeifen sie Ihre Zahlenknechte zurück“, appellierte der Vorsitzende des Hauptpersonalrats damals an seinen Chef, den BA-Vorstandsvorsitzenden Frank-Jürgen Weise.

Nun hat Einsiedler erneut harsche Kritik am Kurs seines Hauses geübt – unter anderem daran, dass die Arbeitsagenturen Erwerbslose so häufig in Leiharbeit vermitteln. „Einzelne Agenturen erwirtschaften bis zu 70 Prozent ihrer Besetzungserfolge über Leiharbeit“, schreibt Einsiedler in einem Diskussionspapier. Das mache „eine selbstkritische Betrachtung dringend nötig“.

Hintergrund für Einsiedlers Einspruch ist, dass die Bundesagentur für Arbeit derzeit unter dem Schlagwort „BA 2020“ ihre Ausrichtung diskutiert. Und da gibt es nach Meinung Einsiedlers, der seit 1988 auf seinem Posten sitzt, einiges umzusteuern.

So bemängelt er auch diesesmal, dass die BA zu viel auf vermeintliche Erfolgszahlen statt auf die Qualität der vermittelten Jobs schaue. „Steuern nach Zahlen ist wie malen nach Zahlen. Es kommt keine Qualität zustande.“ Dass die BA in rasant steigendem Ausmaß den Arbeitslosen eine Stelle in der Leiharbeit nahelege, unterfüttert er mit eindrucksvollen Daten.

Mehr Jobvorschläge, noch mehr Leiharbeit

Die Zahl der Jobvorschläge, die die Vermittler machen, hat sich danach von 2007 bis 2011 mehr als verdoppelt: Knapp 19 Millionen Stellen schlugen die Agenturen den Arbeitslosen in den fünf Jahren vor. Allerdings: Die Hälfte davon, rund neun Millionen, entfielen inzwischen auf die Leiharbeit. Dabei machte diese in den letzten Jahren gerade einmal rund ein Drittel aller bei der BA gemeldeten Stellen aus.

Die Zahl der vorgeschlagenen Leiharbeitsstellen habe sich zwischen 2007 und 2011 „mehr als verdreifacht (276 Prozent)“, die Zahl der erfolgreich besetzten Leiharbeitsstellen sei im gleichen Zeitraum um 242 Prozent gestiegen. Der Anstieg der Vermittlung in „reguläre“ Arbeit „fällt dagegen mit 39 Prozent vergleichsweise bescheiden aus“.

Noch etwas stimmt nachdenklich: Obwohl die Agenturen den Erwerbslosen mehr Jobangebote präsentieren, bewege sich der Anteil der erfolgreichen Vermittlungsvorschläge „konstant auf niedrigem Niveau mit fallender Tendenz seit Jahren (2011: 2,1 Prozent)“, so Einsiedler.

Leiharbeit, so seine Kritik, integriere Beschäftigte nicht nachhaltig in den Arbeitsmarkt. Für mehr als sechs von zehn Menschen sei nach zwölf Monaten diese Phase sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wieder vorbei, wenige fänden durch Leiharbeit also zu einer dauerhaften Anstellung, schreibt der BA-Mitarbeiter in seinem Papier, das im Dezember auf der Website Nachdenkseiten veröffentlicht wurde. Einsiedlers Plädoyer: Statt per „Kontrolldruck und Sanktionen“ eine „schnelle Integration oder sonstige Abmeldung zu erzielen“ müsse es der BA darum gehen, „Sicherheit einzulösen“, also Arbeitslose in auskömmliche und langfristige Jobs zu vermitteln.

„Ganz normale Arbeit“

Bei der BA reagiert man auf die Kritik gelassen: „Der Vorstand hat mit dem Personalrat zusammengesessen, und Teile der Anregungen von Herrn Einsiedler wurden in die BA-Strategie aufgenommen“, sagte Sprecherin Ilona Mirtschin zur taz. Sie verwies zugleich darauf, dass Leiharbeit und befristete Beschäftigung „ganze normale Arbeit ist. Wir können uns ihr nicht verschließen, das hat die Politik so bestimmt.“

Nach Aussagen von Mirtschin hat die Bundesagentur an mehreren Stellen ihr Positionspapier „BA 2020“ nachjustiert. So sei beispielsweise der Satz, die Zeitarbeit sei „ein wichtiger Akteur auf dem Arbeitsmarkt“, gestrichen worden.

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