Arbeitsstress und „Downshifting“: Runterschalten hilft

Was tun nach einem Burn-out? Die Arbeitszeit verringern, den Chefjob aufgeben? Viele ArbeitnehmerInnen treten schlicht und einfach kürzer.

Einfach mal einen Gang runterschalten. Oder gleich mehrere. Bild: carokoersche/photocase.com

BERLIN taz | Dass ihre Arbeit krank macht, würde Sabine Hollbusch* so nicht sagen. „Als ich zurückkehrte, war es ein schönes Gefühl, wieder dazuzugehören“, erzählt die 53-jährige Lehrerin an einer Berliner Grundschule, „ich habe Freude an der Arbeit mit den Kindern. Der Job gibt dir auch Würde zurück.“

Hollbusch war in der Schule wegen einer mittelschweren Depression sechs Monate lang ausgefallen. Heute unterrichtet sie wieder Deutsch und Kunst. Wie die meisten Erkrankten ist sie in den Job zurückgekehrt. „Das Wiedereingliederungsmanagement spielt eine immer größere Rolle“, sagt Claudia Drewel-Sprenger, Referentin für Gesundheitsschutz beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Hessen.

Laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes bekommen jährlich bis zu sechs Millionen Menschen eine depressive Störung. Nicht alle fallen auf der Arbeit aus. Doch jeder achte Fehltag beruht laut der DAK-Krankenkasse auf einer psychischen Erkrankung, Tendenz steigend. Immer wichtiger wird die Frage, wie man in den Job zurückkehrt.

Wer in einem Betrieb mit mehr als zehn Mitarbeitern tätig und länger als sechs Monate dort unbefristet beschäftigt ist, genießt Kündigungsschutz auch während einer psychischen Erkrankung.

Kündigungen sind zwar auch während einer Erkrankung möglich, diese unterliegen aber sehr strengen Voraussetzungen.

Es muss sich um eine mindestens mehrmonatige Krankheit oder sehr häufige Kurzerkrankungen handeln mit einer negativen Zukunftsprognose.

Wirtschaftliche Belange des Arbeitgebers müssen durch die Fehlzeiten erheblich beeinträchtigt sein.

Der Betrieb muss nachweisen, dem Beschäftigten keinen anderen, geeigneteren Arbeitsplatz anbieten zu können.

Bei Erkrankungen ab sechs Wochen muss der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. Dabei kann geklärt werden, ob etwa eine Versetzung in eine andere Abteilung möglich ist oder andere gesundheitsfördernde Maßnahmen getroffen werden können.

Dabei kann auch das sogenannte Hamburger Modell vereinbart werden: Dabei zahlt die Krankenkasse dem oder der Angeknacksten weiter Krankengeld, während er oder sie erst stundenweise, dann wieder in Vollzeit an den Arbeitsplatz zurückkehrt. So entstehen dem Arbeitgeber in der Übergangszeit keine Lohnkosten. (bd)

Wenn der private Rückhalt wegbricht

Hollbusch tat dies mit dem „Hamburger Modell“. Am Anfang unterrichtete sie nur wenige Stunden, die Belastung erhöhte sie allmählich. „Ohne diese Möglichkeit, schrittweise wieder einzusteigen, hätte ich es nicht geschafft“, sagt die Lehrerin. Sie war in die Krise gerutscht, als ihr Lebensgefährte eine vorübergehende Affäre begann. „Da brach mir der private Rückhalt weg.“ Der Schuljob allein mache nicht krank, aber „wenn die Balance mit dem Privatleben nicht mehr stimmt, brichst du ein“.

Als sie nach der langen Fehlzeit wieder in die Schule zurückkehrte, standen Blumen auf ihrem Schreibtisch. Trotzdem spreche man „nicht offen“ über die Gründe für den Ausfall, erzählt die Lehrerin. Hollbusch spürte bei den Kollegen eher so etwas wie „eine stille Angst, dass es sie selbst auch treffen könnte“.

Reduzierte Arbeitsbelastung

Die eigentliche Rückkehrarbeit für Hollbusch bestand im „Downshifting“, der Verringerung der Arbeitsbelastung: Sie reduzierte ihre Arbeitszeit auf 18 Unterrichtsstunden in der Woche, bekommt nur 65 Prozent eines Vollzeitgehaltes. Mit ihrem Mann zog sie in eine billigere Wohnung. „Aber wir haben einen Balkon mit Blick ins Grüne.“

Sie lehnte ab, weiter Klassenlehrerin zu sein. „Das war eine große Entlastung.“ Aus vielen Gremien klinkte sie sich aus, „da gab es schon etwas Unmut bei den Kollegen“. Doch zu diesen Abstrichen steht sie.

Das Sozialwesen, die Gesundheitsbranche, die Telekommunikation und Schulen erzeugen besonders hohe Ausfallraten wegen psychischer Erkrankungen, zeigt eine Statistik des Betriebskrankenkassen. Meist kehren die Leute schrittweise zurück.

Die Schwierigkeit, geeignete Arbeitsplätze zu finden

Wer etwa im Callcenter der Telekom bei der stressigen Beschwerde-Hotline gearbeitet hat, beginnt nach einer Krankheitsphase in ruhigeren Abteilungen wie dem Rechnungsbereich, sagt der Telekom-Betriebsratsvorsitzende Heinz Ceyer. Am Ende aber „gehen die meisten Rückkehrer wieder zu ihrer alten Tätigkeit zurück“.

Eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass Unternehmen vor allem bei Mitarbeitern mit psychischen Problemen Schwierigkeiten haben, „geeignete Arbeitsplätze zu finden“. Die Führungskräfte müssten sensibel zwischen zumutbarer „Leistungsabfrage“ und „leidensgerechter Anteilnahme“ agieren: Der psychisch labile Mitarbeiter darf nicht in Watte gepackt werden, um nicht den Unwillen der Kollegen zu erzeugen.

Bestimmte Verfahrensweisen hätten sich bei der Rückkehr bewährt: Die zeitlich gestufte Wiedereingliederung, die Übernahme anderer Aufgaben, der Umzug in ein anderes Zimmer, der Verzicht auf Schicht- oder Nachtdienste, der Wechsel vom stressigen Außendienst in den Innendienst. Oft hilft, in eine weniger verantwortungsvolle Position „abzusteigen“. Manchmal bedeute dies Verdiensteinbußen.

All das ist besser als endlose Auszeiten. „Von unseren Patienten, die bereits vier Monate lang krankgeschrieben sind, schafft es vielleicht nur noch die Hälfte, wieder in den Job zurückzukehren“ , sagt Tom Bschor, Chefarzt der Psychiatrie an der Schlosspark-Klinik in Berlin.

Auch Hollbusch hatte mit dem Gedanken an die Frühverrentung gespielt, „es war wichtig, dass ich diese Möglichkeit hatte, das nahm viel Druck“, sagt die Lehrerin. „Manchmal muss man die Arbeit auch nur als Job sehen dürfen – und nicht als Selbstverwirklichungsding.“

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