Archaische Seelensuche: Das Ich des Adlers

Zu viel Experiment, zu abstrakt: Die frühen Werke von Richard Haizmann waren den Nazis zu modern. Jetzt zeigt ihn das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Wie Abdrucke von Felszeichnungen aus lang vergangener Zeit: "Stier" aus dem Jahr 1931. Bild: Museum für Kunst und Gewerbe

HAMBURG taz | Der sehr stilisierte Porträtkopf von Max Sauerlandt, schmal wie ein in den Raum gedrehtes Relief, öffnet am Beginn dieser Ein-Raum-Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ein Kapitel norddeutscher Kunstgeschichte. Denn der hier im Eisenguss verewigte Kunsthistoriker, der von 1919 bis 1933 Direktor des Hauses war, war auch ein großer Förderer des Künstlers Richard Haizmann: Er richtete dem Autodidakten 1926 eine Ausstellung aus, nur zwei Jahre nachdem dieser begonnen hatte, Kunst zu machen. So knüpft die Ausstellung von dessen frühen Zeichnungen und Skulpturen im kleinen Ausstellungsraum des Museums (Haspa-Galerie), in dem stets Teile der Sammlung einer Hamburger Sparkasse gezeigt werden, an gute Tradition an.

Das innere Feuer

Richard Haizmann wurde 1895 in Villingen im Schwarzwald in einer tiefreligiösen Familie geboren. Direkt nach dem Gymnasium ging er 1914 als Freiwilliger in den Weltkrieg. 1917 bis 1920 verbrachte er in französischer Kriegsgefangenschaft. Dort im Lager lernte er einen Kreis kunstbeflissener Offiziere kennen, die sein weiteres Leben stark beeinflussten.

In Hannover wurde er Mitarbeiter einer Galerie, dann ging er nach Hamburg und eröffnete 1922 seine eigene Galerie, das „Graphische Kabinett“. Gleich zu Beginn stellte er unter anderem Vincent van Gogh und Emil Nolde aus. Doch immer stärker spürte er ein „inneres Feuer“ und beschloss nach zwei Jahren, selbst als Künstler zu arbeiten.

Schon über seine ersten Zeichnungen von eiförmig vereinfachten Köpfen mit meditativ geschlossenen Augen sagte Max Sauerlandt: „Das sind Wesen einer frühen Kultur, die noch ganz mit Gott verbunden war. Geheimnisvoll, aber nah und fern zugleich. Nie habe ich so etwas gesehen.“ Ganz sicher trifft hier der Begriff „archaisch“ zu, speziell im Verweis auf diese frühe Form altgriechischer Plastik. Auch ein Einfluss asiatischer Kunst scheint anzuklingen. Doch es gibt noch eine weitere, eher religiöse Inspiration: Eine strenge schwarze Maske von 1928, genannt „Das geistige Porträt Rudolf Steiners“, verweist auch darauf, wie weitgehend Haizmann von der Theosophie und Anthroposophie beeinflusst war. So sind die stark formalisierten Köpfe seiner zahlreichen Pastelle nicht nur damals zeitgemäße Formreduktionen, ihr geisterhafter Eindruck ist durchaus inhaltlich gemeint, war Haizmann doch auf der Suche nach der Darstellung des „Astralleibes“, jener eigentlich unsichtbaren Erscheinungsform der Seele.

Immer wieder sind auch Tiere Thema für ihn. Er möchte einer geheimnisvollen „inneren Form“ dieser Wesen nachspüren, versucht dem „Ich des Adlers“ Ausdruck zu geben. Zwar ist die so betitelte Metallplastik von 1931 ein Entwurf für ein Gefallenen-Denkmal zum Ersten Weltkrieg, doch die weich geschwungene Form ist zeitlos. Und, wie manche der kleineren Tierplastiken, durchaus mit den Skulpturen von Hans Arp und Constantin Brancusi, ja mit Henry Moore vergleichbar.

Neu in damaliger Zeit waren auch die Materialdrucke, bei denen Alltagsfundstücke benutzt wurden. Haizmann erstellt damit vage an abstrakte Tierdarstellungen erinnernde Flächen, die wie Abdrucke von Felszeichnungen aus grauer Vorzeit wirken. Eine Wand füllen acht Lithographien von 1925 mit Tiercharakteren, die zugleich eine Mustermappe für Wege der Abstraktion sein könnten: Da gibt es eine aus einem fast krakeligem Liniengeflecht entwickelte Katze, ein aus fünf Strichen fragil angedeutetes großes Insekt und einen Elefanten, dessen grobe, rein flächig verstandene Form mit weiteren, den Umriss aufnehmenden Linien ausgefüllt ist. Ein massiger Stier wird dagegen in erdig rotbraunen Flächen gegeben, fragile Schwarz-Weiß-Formen bilden ein graziles Reh.

Zu neugierig für die Nazis

Besonders ungewöhnlich ist der „Laufende Vogel“, der zwischen aus dem Hintergrund ausgesparten weißen Wolken dargestellt ist und dessen gerade Form vom Schnabel über den Rücken bis zum Schwanz hier in der Nähe der Design-Abteilung des Museums auch an einen Entwurf für einen Tisch denken lässt.

Bei dieser Experimentierlust und metaphysischen Suche, bei dieser Modernität, die in den 30er-Jahren einen internationalen Vergleich nicht scheuen musste, ist es naheliegend, dass die Nationalsozialisten die Werke von Richard Haizmann für „entartet“ erklärten. Max Sauerlandt war gleich 1933 entlassen worden, er konnte nicht mehr verhindern, dass 1937 auch 39 Arbeiten Haizmanns aus dem Museum beschlagnahmt wurden.

Richard Haizmann zog sich nach Nordfriesland zurück, in die Nachbarschaft von Emil Nolde. Wie viele der ab 1933 verfemten Künstler konnte er nach 1945 aber nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Er starb 1963 in Niebüll. Dort ist im ehemaligen, 1927/28 erbauten Rathaus seit 1986 das Richard-Haizmann-Museum untergebracht, das sich um den Nachlass kümmert.

Richard Haizmann – Frühe Zeichnungen und Skulpturen: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr; Donnerstag, 10 bis 21 Uhr, Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz. Bis Mai 2015
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.