Jüdischer Appell im Kopftuchstreit

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremerhavens warnt vor Diskriminierung von Kopftuch-Trägerinnen. Der Kippa-Träger unterrichtet an einer staatlichen Schule: „Woher weiß man, dass ich nicht nach Hebron fahre und Araber totschieße?“

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremerhavens stärkt gläubigen Musliminnen den Rücken. Kopftuch-tragenden Frauen das Unterrichten an staatlichen Schulen zu verbieten, sei diskriminierend. „In dubio pro reo“, fordert Günter Schmitt klare Begründungen für die Ablehnung im Einzelfall. Der 57-Jährige, Oberhaupt einer 46 Köpfe zählenden Gemeinde, unterrichtet seit 16 Jahren als angestellter Lehrer an der Marineoperationsschule, die dem Bundesverteidigungsministerium untersteht. Dass er dort die Kippa trägt, ist für ihn selbstverständlich. Den Ausschluss-Beschluss des Magistrats gegen Kopftuchträgerinnen an staatlichen Schulen lehnt er ab.

taz: Noch hat das Verfassungsgericht den „Kopftuchstreit“ nicht entschieden. Schon besteht der Magistrat auf Neutralität, weswegen sogar Studentinnen mit Kopftuch nicht einmal mehr ein Praktikum an staatlichen Schulen in Bremerhaven machen dürfen. Sie sind dagegen, auch wenn der Magistrat sich auf das Bundesverwaltungsgericht beruft?

Günter Schmitt: Das darf man doch in diesem Land. Ich werde wohl nichts an dieser Angelegenheit ändern können, aber es muss ja Menschen geben, die hier auf Differenzierung drängen, wenn es um das religiöse Bewusstsein der Einzelnen geht. Das Bundesverwaltungsgericht kann ja auch nicht eingreifen, wenn christliche Lehrkräfte ein Kreuz um den Hals oder am Revers tragen. Oder um es zu steigern, Nonnen im Habit oder katholische Geistliche im vollen Ornat zeigen, wer sie sind.

Muss man da nicht unterscheiden, wenn es um Religionsunterricht geht, bei dem oft katholische Geistliche katholische Kinder unterrichten?

Das muss man sicher. Aber grundsätzlich muss man mal festhalten, dass auch die christlichen Geistlichen nicht missionieren und beeinflussen wollen. Genauso ist es doch mit dem Kopftuch. Es muss „in dubio pro reo“ gelten. Wenn man weiß, dass eine junge Frau gegen das demokratische System oder Recht agitieren oder indoktrinieren würde, ist klar, dass sie nicht auf Schüler losgelassen werden kann. Aber das wissen wir eben gar nicht. Erst wenn wir sicher wären, können wir nein sagen. Anders gesagt: Woher weiß man, dass ich nicht nach Hebron fahre und am Freitagabend ein paar Araber totschieße? Auch ich unterrichte mit der Kippa auf dem Kopf.

Ist es nicht – böse gefragt – so, dass Sie jetzt fürchten, die Kippa in der Schule auch absetzen zu müssen, nach dem Motto: Gleiches Recht für alle?

Die müsste man mir mit Gewalt vom Kopf reißen! Man müsste mich rausschmeißen.

Was würden Sie empfinden, wenn man Ihnen eine solche Ablehnung signalisieren würde?

Eine große Enttäuschung. Man hat doch alles dafür getan, dass Juden wieder in Deutschland leben und es hat sich positiv entwickelt. Wenn man jetzt die Kippah verbietet ... was würde man mit dem Landesrabbiner machen? Der hat eine Professur in Bremen.

Rechnen Sie mit solchen Aufforderungen?

Nein. Wir sind in diesem Land auch eine Minderheit. Aber was mich ärgert, ist, dass alle so tun, als würden quasi die Innere Sicherheit und der innere Friede durch ein Kopftuch gestört. Das ist eine Beschneidung der religiösen Freiheit. Nehmen wir die Gesetze des Talmud, die für den Sabbat streng vorgeben, dass man nicht arbeiten oder keinen kreativen Prozess starten darf – aber darüber stehen höhere Werte, die das Gesetz quasi „brechen“ können. Wenn es um das Wohlbefinden oder die Gesundheit eines Menschen geht, dann – so steht es im Talmud – „gehe hin und wärme ihm das Wasser“. Man muss den Mut haben, bestimmte Vorgaben nicht anzuerkennen – so wie der Bremerhavener Schuldezernent Wolfgang Weiß ihn gezeigt hat.

Wie sehen Sie die Situation, in der die Musliminnen gegenwärtig sind?

Ich fühle mit ihnen. Was die Menschen hier oft nicht wissen, ist doch, dass ihr christlich-judäisches Kulturerbe aus der Symbiose des Islam und des Judentums in Spanien vom 11. bis in das 15. Jahrhundert hinein gewachsen ist. Das wollen Sie wohl auch nicht wahr haben.

Besteht über Ihre Haltung eigentlich Einigkeit innerhalb der jüdischen Gemeinde?

Grundsätzlich ist Diskriminierung für uns Juden eine fürchterliche Sache und wir wollen, dass auch andere Menschen keine Diskriminierung erleben. Jeder Mensch muss als Mensch gesehen werden.

Fragen: Eva Rhode