„Das macht letztlich die CSU aus!“

„Das CSU-Modell in Bayern lässt sich nicht auf ganz Deutschland übertragen“„Für die Bayern ist es kein Problem, wenn ein Norddeutscher Bundeskanzler ist“

Interview OLIVER HINZ
und STEFAN KUZMANY

taz: Von vielen wird die CSU mit Bayern gleichgesetzt. Wie machen Sie das?

Alois Glück: Das ist gewachsen durch eine sehr tiefe Verankerung der Partei in der Bevölkerung, über die Ortsverbände und die Kommunalpolitik. Damit sind wir gleichzeitig in den ganz verschiedenen Milieus verwurzelt, die es in Bayern gibt. Denn Bayern ist in sich viel vielfältiger, als von außen her wahrgenommen wird. Bayern ist in sich manchmal auch sehr widersprüchlich. Die Spannung von Tradition und Fortschritt ist typisch für das Land und für die CSU. Diese Verbindung ist natürlich auch von der CSU bewusst gepflegt worden, denn es ist die stärkste Klammer, die das gesamte bürgerliche Spektrum politisch bindet. Bei Umfragen sagen achtzig Prozent der Bevölkerung und mehr, die beste Interessenvertretung für Bayern sei die CSU. Das ist ein großes Kapital.

Ein Bundeskanzler Stoiber könnte nicht mehr wie bisher die bayerischen Interessen vertreten.

Diese Spannung hatten wir ohnehin immer, wenn wir in der Bundespolitik mitregiert haben. Da müssen selbstverständlich Entscheidungen akzeptiert werden, in der Partei und auf der Ebene der Landespolitik, die nicht ganz im Interesse Bayerns sind, aber für das Ganze notwendig. Nur wenn die Partei dazu in der Lage ist, ist sie über Bayern hinaus politikfähig.

Die Homo-Ehe zum Beispiel wird von der CSU-Basis abgelehnt. Ein Bundeskanzler Stoiber könnte sie allerdings auch nicht mehr rückgängig machen.

In dieser stark wertorientierten und grundsätzlichen Frage ist abzuwägen: Was ist im Hinblick auf die Realitäten bei politischen Mehrheiten, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse machbar, machbar auch im Sinne von Veränderung der jetzigen Gesetzeslage? Dabei haben wir immer deutlich unterschieden: Wir respektieren diese Formen des Zusammenlebens und auch, dass es dafür verlässliche rechtliche Grundlagen geben muss. Nur die Gleichstellung mit der Ehe – das ist der Knackpunkt.

Sie haben bis nach Karlsruhe geklagt gegen diesen Rechtsstatus. Ist das Wahlkampftaktik, dass Sie das doch so belassen wollen – oder hat sich das Menschenbild der CSU geändert?

Weder – noch. Es ist eine Abwägung, ob man unabhängig von der eigenen politischen Überzeugung eine so gefundene Entscheidung nochmals zurückfährt. Wir werden ohnehin nicht alle Entscheidungen der jetzigen Bundesregierung korrigieren können. An unserer grundsätzlichen Einstellung hat sich dennoch überhaupt nichts geändert. Was sich ja daran zeigt, dass wir in Bayern eine Entscheidung getroffen haben, die Homo-Ehe nicht beim Standesamt behördlich eintragen zu lassen, sondern beim Notar. Das bringt zeichenhaft zum Ausdruck, worum es uns geht.

Das bedeutet doch, dass Ihre Partei eine gesellschaftliche Realität akzeptieren muss, die ihrem eigenen Weltbild nicht entspricht.

Das ist eine Selbstverständlichkeit in einer pluralen Gesellschaft. Die Demokratie lebt ja auch von Kompromissbereitschaft und Kompromissfähigkeit. Das sehe ich ausdrücklich positiv und nicht als notwendiges Übel. Dort, wo es keine Kompromissbereitschaft gibt, treten nur noch Fundamentalismus und Unbarmherzigkeit zutage. Das gilt ja auch im Hinblick auf die Durchsetzungsmöglichkeit und die Verwirklichung christlicher Werte. Hier stellt sich auch die Frage der verschiedenen Rollen von Kirche und Staat. Wir betreiben nicht Kirchenpolitik, wir spielen keine Ersatzrolle für die Kirchen. Es geht uns um die Realisierung von Werten auf der Handlungsebene der Politik. Und die ist oft eine andere Handlungsebene als die der Kirchen.

Zuwanderung ist ebenfalls ein sehr sensibles Thema im Freistaat. In Bayern erlebt man sehr stark die Abgrenzung zwischen dem, der Bayer ist und dem, der keiner ist.

Das ist längst nicht mehr Lebenswirklichkeit. Die schönsten Trachtenanzüge haben bei uns die Preußen, sagt ein geflügeltes Wort. Und ein anderes sagt: In München macht nur Karriere, wer kein Münchner ist. Im Übrigen ist es für die Bayern überhaupt kein Problem, wenn ein Norddeutscher Bundeskanzler oder Kanzlerkandidat ist – was Norddeutschen anscheinend ein bisschen schwerer fällt in umgekehrter Richtung. Das bayerische „Leben und leben lassen“ gilt auch gegenüber anderen Landsmannschaften.

Woran liegt es, dass die Norddeutschen Probleme mit den Bayern haben?

Ich weiß es nicht und ich will sie auch nicht diskriminieren. Aber vielleicht sind wir ein Stück liberaler und offener.

Was ist denn die größere Integrationsleistung: einen Preußen zu integrieren oder einen Inder?

Natürlich ist es eine größere Integrationsleistung und auch das größere Integrationsproblem, Menschen aus anderen Kulturkreisen zu integrieren. Wir haben ja relativ wenige Probleme zum Beispiel mit Menschen aus Mittel- und Osteuropa – abgesehen von der Sprachproblematik etwa der Russlanddeutschen. Vor dreißig Jahren gab es im Gegensatz zu heute noch viele Schwierigkeiten, Jugoslawen, Spanier, Italiener, Griechen zu integrieren. Das ist längst alles passé.

Im Kommunalwahlkampf hat Stoiber aber gesagt, dass er hier keine Polen und keinen Ukrainer als Zuwanderer haben will.

Das müssten Sie mir erst einmal zeigen, wo er das gesagt hat.

Das war im Hofbräuhaus.

Das halte ich nicht für möglich. Wenn, dann ist es differenzierter, nämlich dass wir sehr wachsam sein müssen bei der EU-Erweiterung im Hinblick auf die Zuwanderung von billigen Arbeitskräften aus diesem Bereich. Das ist aber nichts gegen die Menschen aus diesem Kulturkreis, sondern ein arbeitsmarktpolitisches Problem und hat von daher gesehen einen völlig anderen Maßstab.

Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass sich die CSU absichtlich missverstehen lässt von Leuten, die sagen, mit Ausländern wollen wir sowieso nichts zu tun haben.

Nein, unsere Positionen sind schon eindeutig. Sie werden als Redner immer erleben, dass Menschen in ihrer Wahrnehmung ausfiltern, was die Bestätigung ihrer eigenen Position ist. Ich habe das früher mit Erstaunen bei Reden von Franz Josef Strauß beobachtet. Und es ist mir auch selbst schon passiert, dass Menschen sich bestätigt fühlten, wo ich es persönlich überhaupt nicht so gemeint habe. Das ist jedenfalls keine bewusste Strategie der CSU. Jede größere Volkspartei bringt eine wichtige Integrationsleistung und ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Demokratie. Das heißt, dass größere Parteien immer ein Stück Kompromisscharakter in sich haben, manchmal könnte damit auch ein Stück Unschärfe verbunden sein. Am Schluss wird sich das im Regierungshandeln immer konkretisieren müssen.

Lässt sich das Modell CSU in Bayern auf ganz Deutschland übertragen?

Nein. Das hängt mit gewachsenen Strukturen in Bayern zusammen. Die lange Tradition, die starke Identifikation der bayerischen Bevölkerung ganz unterschiedlicher sozialer Prägung mit diesem Land prägen dieses Bild. Diese Tradition können zum Beispiel Bundesländer, die erst in der Nachkriegszeit entstanden sind, kaum haben. Dort ist es eine häufig regional begrenzte Identität. Die allerdings für Menschen von großer Bedeutung ist, wie wir bei der Diskussion der Zahl der neuen Bundesländer in der DDR erlebt haben. Nach rein rationalen Gesichtspunkten ist die Zahl der Bundesländer zu groß, aber von den Menschen gab es einen unheimlich starken Druck, historische Strukturen als Identifikationsraum wieder aufleben zu lassen.

Sie wollen keine Bundesländer mehr abschaffen?

Nein, die Frage stellt sich überhaupt nicht. Zukunftsorientiert geht es im Rahmen der Föderalismusreform darum, zwischen Bund und Ländern zu einer anderen Aufgabenverteilung zu kommen.

Würde Deutschland föderaler werden, wenn Stoiber Bundeskanzler wäre?

Ich halte es für dringend notwendig, dass wir zu einer Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen, die einerseits der Bundespolitik mehr selbstständigen Handlungsspielraum gibt, wo nicht immer in einem solchen Maß die Zustimmung der Bundesländer notwendig ist, und die andererseits den Bundesländern selbst mehr Handlungsfreiheit einräumt, etwa in Fragen der Kulturhoheit. So gesehen müssen wir föderalistischer werden. Aber nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit des Bundes in den Fragen, in denen ein gemeinsames Handeln notwendig ist – sei es innenpolitisch oder international.

Und im Gegenzug würde Bayern bündnistreuer werden und zukünftig auf Sonderwege verzichten?

Bayern hat sich in der Bündnistreue noch nie von anderen übertreffen lassen.

Für viele Menschen in den neuen Bundesländern befriedigt die PDS die Sehnsucht nach Identität. Da sind sich PDS und CSU ähnlich.

Nein. Weil die CSU keine Regionalpartei ist und weil die CSU vor allem keine Partei ist, die ihre Identität aus der Vergangenheit und mit Bezug auf die Vergangenheit sucht. Die PDS ist eine vergangenheitsorientierte Partei und bietet insofern einem Teil der Menschen im Osten auch einen Bezugspunkt. Hinzu kommt, dass die PDS vielleicht von allen Parteien im Osten am stärksten in der Bevölkerung verankert ist, in ihren Strukturen, in ihrer Handlungsfähigkeit und natürlich auch mit viel Geld im Rücken. Die CSU bezieht ihre wesentliche Stärke daraus, dass sie in einer phänomenalen Weise über Jahrzehnte hinweg in der Lage war, sich entsprechend den Zeichen der Zeit immer wieder weiterzuentwickeln. Die dynamische Entwicklung Bayerns hängt wesentlich damit zusammen, dass die zur jeweiligen Zeit Verantwortlichen die Zeichen der Zeit gut aufgenommen haben. Und diese besondere Fähigkeit der CSU, auf der einen Seite wertorientiert und auf der anderen Seite auch pragmatisch im Handeln zu sein, also eine grundsatzorientierte Partei ohne ideologische Starre und Fixierung zu sein – das macht letztlich die CSU aus. Das bedeutet natürlich immer auch Spannung und Lernprozess. Was ich an der Partei selbst bewundere, ist diese anhaltende Fähigkeit, an Lernprozessen teilzunehmen. Wobei in den Neunzigerjahren Edmund Stoiber sicher auch eine der besonders dynamischen Kräfte in diesem Bereich war. Er war die Antwort auf eine gewisse Stagnationsphase, die in den letzten Jahren mit Max Streibl verbunden war, quasi personifiziert. Und Edmund Stoiber ist derjenige, der immer sehr offen ist, Signale der Veränderung aufzunehmen. Die PDS dagegen kämpft andauernd gegen moderne Entwicklungen.

Herr Stoiber hat sich in den letzten Jahren sehr geändert, besonders seit seinem Antritt als Kanzlerkandidat. Wieso?

Zu den besonderen Stärken von Edmund Stoiber gehört es, dass er die Fähigkeit hat, sich immer wieder auf neue Aufgaben einzustellen und sich in diesem Prozess auch zu verändern – was nicht allen Menschen gegeben ist. Als Generalsekretär war er das berühmte blonde Fallbeil, der Polarisierer. Als Leiter der Staatskanzlei der politische Manager, damals sehr stark noch in der Anbindung an Franz Josef Strauß. Als Innenminister hat er sich hervorragende Kompetenz in Fragen der inneren Sicherheit erworben. Und er hat sich mit der Aufgabe Ministerpräsident wiederum sehr stark verändert und weiterentwickelt. Da war ihm völlig klar: Er ist jetzt der Ministerpräsident aller Bayern.