Afghanischer Minister erschossen

Der afghanische Vizepräsident und einflussreiche Warlord Hadschi Abdul Kadir, einer der prominentesten Paschtunen in der Regierung, fällt vor seinem Kabuler Ministerium einem Attentat zum Opfer. Als mögliche Täter kommen viele in Frage

aus Kabul JAN HELLER

Die Schüsse fielen am Samstag gegen 12.30 Uhr vor dem Ministerium für öffentliche Arbeiten in Kabul. Minister Hadschi Abdul Kadir, einer der fünf Vizepräsidenten, verließ in seinem schwarzen Landcruiser seine Arbeitsstelle im Plattenbauviertel Mikrorayon. Draußen vor dem Gittertor – die Wachen hatten ihre Waffen abgestellt – warteten zwei Männer und eröffneten mit Maschinenpistolen das Feuer auf den Wagen. Kadir und sein Fahrer waren sofort tot. Ein Leibwächter wurde verletzt. Die Attentäter sollen nach einem Bericht des persischsprachigen Programms des US-Senders Radio Free Afghanistan zuvor mit den Wachen gesprochen haben. Nach bisher offiziell nicht bestätigten Berichten flohen sie in einem Taxi ohne Nummernschild.

Einzelheiten über die Täter sind bislang nicht bekannt. Berichte, einer von ihnen sei gefasst worden, bestätigten sich nicht. Zehn Mitglieder des Wachpersonals wurden zur Vernehmung verhaftet. Der Chef für öffentliche Sicherheit im Innenministerium, General Din Mohammed Dschurat, warf ihnen Vernachlässigung ihrer Pflichten vor. Die Wachen seien nicht von seinem Ministerium gestellt worden, sondern gehörten noch zu Kadirs Amtsvorgänger Abdul Khaleq Fazl. „Ich bin hundertprozentig sicher, dass diese Leute in den Mord verwickelt sind, weil sie nur wenige Meter vom Ort des Attentats entfernt waren und nichts unternahmen, um es zu stoppen“, sagte er.

Das Kabinett von Interimsstaatschef Hamid Karsai trat noch am Samstag zusammen. Es berief eine Kommission aus hohen Ministern, um das Attentat aufzuklären. Gestern fand in Kabul eine Trauerfeier für Kadir statt. Anschließend wurde sein Leichnam in seine Heimatstadt Dschalalabad geflogen, wo er beerdigt wurde.

Karsai trauert über den Verlust „eines prominenten Kabinettsmitglieds und eines Paschtunen“. Außenamtssprecher Omar Samad sprach von einem „Terrorakt“ und vermutete frühere Taliban als Täter. Schon Kadirs Bruder Abdul Haq war im Oktober von den Taliban ermordet worden, als er einen Paschtunenaufstand gegen sie organisieren wollte. In der Kabuler Bevölkerung hält sich die Empörung über den Mord an Kadir aber in Grenzen. „Wir haben zu viele von solchen Morden gesehen“, meint der Fahrer Mohammed Sabur. Kadir sei ja auch „kein Heiliger“ gewesen, bemerkt ein jüngst aus Deutschland zurückgekehrter Afghane.

Der Mord an Kadir ist der zweite an einem afghanischen Minister in diesem Jahr. Mitte Februar wurde Luftfahrtminister Abdul Rahman, der als Initiator einer königstreuen Bewegung galt, auf dem Kabuler Flughafen ermordet. Die näheren Umstände wurden nie geklärt. Pikanterweise gehörte General Dschurat zu den ursprünglich Verdächtigen, tauchte aber bald wieder in seinem Amt auf. Sicher ist nur, dass viele Opponenten der in Kabul dominierenden Nordallianz seither in Furcht leben.

Der jetzt ermordete Kadir war nicht irgendein Minister. Der Paschtune vom Stamm der Ahmadzai war einer der bedeutendsten Warlords und herrschte von 1992 bis 1996 an der Spitze einer Schura (Rat) über die drei Ostprovinzen entlang der wichtigen Straße vom pakistanischen Peschawar über Kadirs Hochburg Dschalalabad in die afghanische Hauptstadt Kabul. Der lukrative Transithandel sowie viele Hilfsorganisationen, die damals vorwiegend vom sichereren Pakistan aus in Afghanistan operierten, ließen Kadirs kleines Königreich – und ihn selbst – prosperieren. Kadirs Schura hieß im Volksmund wegen ihrer intensiven Geschäftskontakte mit dem Golf „Dubai-Schura“.

Kadir war für seine Geschäfte bekannter als für etwaige Gewaltakte. Berichte, er sei selbst in den Heroinhandel verwickelt, verstummten nie, auch wenn er im April selbst gegen Opiumbauern in seiner Heimat vorging, nachdem die Regierung Karsai dies zu ihrer Politik gemacht hatte. Dabei dürfte sich Kadir weitere Feinde gemacht haben.

Kadirs erste Herrschaftsperiode endete, als ihn die Taliban 1996 aus Dschalalabad vertrieben. Er kehrte erst nach deren Fall Ende 2001 dorthin zurück, als nominelles Mitglied der bis zu dessen Tod von Ahmed Schah Massud geführten Nordallianz. Doch Kadir war nicht mehr unangefochten. Mit den Kommandeuren Hadschi Mohammed Saman und Hasrat Ali hatte er zwei Rivalen bekommen, die um die Vormacht in und um Dschalalabad konkurrierten. Beide spielten bei der Einnahme der Höhlenfestung Tora Bora für die USA eine wichtige Rolle.

Saman, der dem Exkönig nahe stand, wurde dieses Frühjahr ausgebootet und ging zurück nach Pakistan. Hasrat Ali, der unter Kadir Chef der Sicherheitskräfte in Ostafghanistan war und das Vertrauen der Nordallianz-Führung genießt, sah den Weg zum Gouverneurssessel frei, als Karsai Kadir als Minister und Vizepräsident in die neue Regierung berief – mit der Auflage, in Kabul zu amtieren. Vor zwei Tagen entwaffnete Hasrat Ali Anhänger von Kadirs Sohn Hadschi Saher, die die Straße zwischen Dschalalabad und der pakistanischen Grenze kontrollierten.

Kadir erregte auch den Zorn anderer: Vor der Loja Dschirga setzte er Nordallianz-Emmissäre fest, die in seinem Einflussbereich Stimmen kaufen wollten. Zuletzt ging er gegen Kommandeure der Hisb-i Islami (Islamische Partei) vor, die mit der Nordallianz rivalisiert und sich mit ehemaligen Taliban verbündet hatten. Im April wurde in Dschalalabad ein Attentat auf Verteidigungsminister Mohammed Kasim Fahim versucht. Auch diese Täter wurden nicht gefunden.

Wenn Kadir überhaupt einer Fraktion zuzuordnen war, dann konnte der Paschtune als einer der wichtigsten Verbündeten Karsais gelten, der selbst über keine nennenswerte ethnische Basis in Afghanistan verfügt. Die vielen möglichen Motive werden eine Aufklärung dieses wahrscheinlich politischen Mordes erschweren.

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