Ein Libertärer in der Hölle

Da haben Sie den „Liebessalat“: Joseph von Westphalen schreibt über wahre Begierde

Joseph von Westphalens großes Thema ist die Liebe. Nicht die hehre, die eine und einzige, sondern die Liebe, der man im Laufe seines Lebens häufiger mal über den Weg läuft, wenn man nicht allzu monogam ist. Auf diesem weiten Feld ist Viktor zu Gange, die Hauptfigur im Roman „Der Liebessalat“, wobei sich Joseph von Westphalen kaum die Mühe macht, allzu sehr zwischen sich und seinem Romanhelden zu unterscheiden. Viktor ist Schriftsteller und Liebhaber alter Jazzmusik, ist ab und zu als DJ unterwegs und als solcher mit der Frage beschäftigt, wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt. Viktor denkt in recht auffälliger Weise, was auch Westphalen denkt, und tut „seit Jahren literarisch nichts anderes, als seine Liebesangelegenheiten öffentlich zu ordnen und zu tarnen und damit Geld zu verdienen“.

Joseph von Westphalen und sein Alter Ego Viktor sind als große Frauenliebhaber ständig auf der Suche nach dem Zauber einer neuen Begegnung, und für beide besteht genau darin der eigentliche Sinn und der Antrieb ihres schriftstellerischen Schaffens. Und tatsächlich hat Westphalen schon einmal einen Roman in der Hoffnung verfasst, die unbekannte Schöne, in die er sich während einer Lesung verguckt hatte, möge seinen Roman und die von ihr handelnde Passage lesen und sich bei ihm melden. Ein charmantes Unterfangen, das sogar funktionierte und dem Autor wieder Stoff für den nun vorliegenden Roman lieferte.

Der Roman als lange Mitteilung, als Brief an die Angebetete, eine altmodische, aber bewundernswürdige Form des Liebeswerbens. Und genau darin besteht die Arbeitsweise Viktors und auch die von Westphalens, denn im Brief an eine neue Flamme wächst der Autor über sich hinaus. Aus dem Roman spricht wahre Leidenschaft, wahrer Liebeskummer, wahre Begierde, und davon will man als Leser schließlich wissen. Westphalen versteht es, diese großen Gefühle auferstehen zu lassen, ohne kitschig zu werden.

Allein und ohne Frau, so schreibt Westphalen einmal über Viktor, „wäre er im Handumdrehen verhungert, verblödet, verrottet“. Die Frau als essenzielles Bedürfnis, das Viktor dazu verführt, schon fast manisch mit immer „mehr Frauen herumzuzündeln“. Und dieses Herumzündeln führt Viktor schließlich in eine existenzielle Krise. Er überschüttet die nur einmal kurz gesehene Penelope mit Briefen, aber da sie Viktor über ihre Gefühle im Unklaren lässt, wächst die fast mystische Aura um die Angehimmelte. Je weiter sie sich entfernt, desto begehrlicher erscheint sie. Viktor beginnt, seinen Beruf zu vernachlässigen, es entgleitet ihm immer mehr die Kontrolle über sein Liebesleben mit den anderen Frauen und er verzehrt sich sehnsüchtig nach Penelope, in der immer mehr die ganz große Liebe aufscheint, die Viktor als überzeugter Libertärer bislang strikt abgelehnt hat.

Aber Westphalen wäre nicht Westphalen, wenn er dieser fixen Idee nachgeben würde. Er führt seinen Helden ein bisschen durch die Hölle, um ihn zu läutern und gleichzeitig das Lächerliche zu zeigen, das hinter der schmachtenden Liebe zum Vorschein kommt und sich bei Viktor als Selbstmitleid entpuppt.

Westphalens „Liebessalat“ ist nicht gerade mit Handlung vollgestopft, dennoch erzeugt er große Spannung. Und da es sich um einen klassischen psychologischen Roman handelt, in dem sich das meiste im Kopf des Protagonisten abspielt, muss man anerkennen, dass von Westphalen eine Erzählung gelungen ist, für die man sich gerne mal ein paar Nächte um die Ohren schlägt. Ein Buch für Liebende und solche, die es werden wollen.

KLAUS BITTERMANN

Joseph von Westphalen: „Der Liebessalat“. btb , München 2002, 479 Seiten, 22,90 €