Kinderbetreuung lohnt sich für alle

„Zukunftsfaktor Kinder“: Eine Tagung in Berlin widmete sich der Ganztags-Kinderbetreuung im Nationenvergleich. Studien in der Schweiz und den USA brachten es an den Tag: Jeder dort investierte Franken oder Dollar rentiert sich vier- bis achtfach

aus Berlin UTE SCHEUB

Das patriarchalische Familienmodell mit seinen Ganztagsmüttern und Halbtagsschulen ist ein abgewirtschaftetes Pleiteunternehmen. Das war, zumindest indirekt, das Fazit der internationalen Konferenz „Zukunftsfaktor Kinder“, die am vergangenen Wochenende vom Bundesfamilienministerium und von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin ausgerichtet wurde.

Denn Investitionen in Ganztagsbetreuung und -schule rechnen sich. In der Schweiz liegt jetzt die erste fundierte Studie vor, die im Falle der Stadt Zürich Kosten und Nutzen für Investitionen in die Kinderbetreuung gegeneinander aufgerechnet hat. Das überraschend deutliche Ergebnis liegt bei 1:3,5 bis 1:4. Pro investiertes Fränkli fließen also drei bis vier Franken an die Gesellschaft zurück. Die Mütter können mindestens halbtags arbeiten gehen, zahlen Steuern und konsumieren mehr. Die Firmen verfügen über mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Der Betreuungssektor vergrößert den Arbeitsmarkt. Die Kinder werden früher gefördert und haben später mehr Chancen auf höhere Lebenseinkünfte, erklärte Ökonomieprofessor Stefan Sell mit Verweis auf die Studie.

Im Traumland der Kinderbesitzer, in Frankreich, ist man schon weiter. Zwar fehlt es auch dort an Betreuungsplätzen vor allem für Krippenkinder, doch in der École maternelle werden 99 Prozent aller 3- bis 6-jährigen Kinder mit ausgearbeiteten pädagogischen Programmen auf die Schule vorbereitet. Die Vorschule geht bis 16.30 Uhr, bis 18 Uhr werden die Kinder betreut. Alle Leistungen sind kostenlos, nur das Essen und die Zusatzbetreuung muss bezahlt werden.

Selbstverständlich ist auch die „richtige“ Schule in Frankreich eine Ganztagsschule. Die Mütter danken es mit einer Erwerbsquote von 71 Prozent und einer Geburtenrate von stolzen 1,9. Die Überalterung wird in Frankreich daher auch nicht so dramatisch ausfallen wie in anderen europäischen Ländern.

Auch die Weitsichtigeren unter den US-Unternehmern wollen jetzt in diese Richtung marschieren. Das Committee for Economic Development, berichtete Sell, habe vor kurzem in einem Papier die kostenlose „Vorschule für alle“ als „Investition in eine produktive und gerechte Zukunft“ gefordert. Langzeitstudien unter sozial benachteiligten Kindern ergaben nämlich eine noch höhere „Bildungsrendite“ als in der Schweiz.

Laut „Perry Preschool Project“ erzielt jeder in Vorschulprogramme investierte Dollar einen Nutzen von sieben Dollar, höhere Steuereinnahmen durch höhere Erwerbsbeteiligung noch nicht mitgerechnet. Kinder aus sozialen Unterschichten, die an hochklassigen Vorschulprogrammen teilgenommen hatten, waren später signifikant weniger kriminell auffällig und hatten höhere Einkommen.

Deshalb ist jetzt auch die patriarchalische Schweiz aufgewacht. Auf Initiative der in Berlin anwesenden Nationalrätin Jacqueline Fehr wurde dort im April ein neues Bundesgesetz zur Förderung von Ganztagseinrichtungen verabschiedet. Kitas und Schulen, die auf Ganztagsbetrieb umstellen, werden innerhalb der nächsten zehn Jahre mit 100 Millionen Franken Zuschuss und weiteren 100 Millionen Franken Darlehen gefördert. Voraussetzung: Sie können nachweisen, dass zwei Drittel ihrer Kosten anderweitig gedeckt sind – durch Beiträge von Eltern, Kommunen oder Unternehmen. Die Gelder werden von einer Bundesbehörde verwaltet und gehen direkt an die Kindergärten oder Schulen.

Wäre das nicht auch ein Modell für Deutschland? Nicht wenige auf der Konferenz sahen das so, weil damit der „gordische Knoten“ im deutschen Föderalismus gelöst werden könnte. Für den Schulbereich sind die Länder zuständig, für den Kitabereich teilweise, also gibt es einen Wirrwarr unterschiedlicher Finanzierungsmodelle.

Fazit der Tagung: Wenn man nach Pisa den nötigen „Quantensprung“ in der Bildung schaffen will, dann reichen die vom Bund bislang in Aussicht gestellten 4 Milliarden Euro für Ganztagsbetreung nicht aus. Die Bund-Länder-Finanzstruktur muss umgekrempelt werden. Stefan Sell und andere schlugen vor, entweder das Schweizer Modell zu übernehmen oder eine „Familienkasse“ einzurichten, die Betreuungsgutscheine für Eltern ausgibt.