Romantisch, rebellisch – regierungsfähig?

Osttimors mit großer Mehrheit gewählter Präsident Xanana Gusmão sagt über sich selbst: „Ich bin kein Politiker“

Xanana Gusmão tritt mit der Unabhängigkeit Osttimors am 20. Mai sein Amt als Präsident des jüngsten Staates der Erde an. Über sich selbst sagt er, dass er lieber Blumen pflege, fotografiere und sich um seine Familie kümmere, als Politik zu machen. Damit sorgt der attraktive legendäre Guerillakämpfer für neue Stoßseufzer bei der weltweiten weiblichen Fangemeinde.

Bei Politikern sorgte Gusmão in letzter Zeit eher für Verwirrung. Im April 2001 trat er als Präsident der Nationalversammlung zurück. Kritiker meinen, er habe diese geführt wie ein General. Gusmão sagt, auch andere verdienten eine Chance. Er spiele nur, hieß es, oder: Er wisse nicht, was er wolle. Außerdem fehle Gusmão die Geduld, sich mit den Kleinigkeiten im Regierungsgeschäft zu beschäftigen. Da trifft es sich, dass die neue Verfassung dem Präsidenten jetzt ohnehin nur begrenzte Macht einräumt.

Viele Mythen ranken sich um den charismatischen Gusmão. Nach Jesuitenkolleg und höherer Schule dient er drei Jahre in der portugiesischen Kolonialarmee. Nach der indonesischen Invasion im Dezember 1975, die in den nächsten 25 Jahren ein Drittel der Bevölkerung Osttimors auslöschen wird, flieht er mit zehntausenden in die Berge. Von dort aus liefert sich die Fretilin, deren militärischen Flügel Gusmão ab 1978 leitet, erbitterte Kämpfe mit den indonesischen Besatzern.

Der in seiner Heimat nur liebevoll Xanana genannte Rebell wird im Urwaldkampf zum bewunderten Volkshelden, dem es immer wieder gelingt, dem Feind zu entwischen. Die Menschen erzählen sich, er könne sich unsichtbar machen oder sich in ein Tier verwandeln. Schwer nierenkrank und völlig erschöpft gerät er 1992 doch in die Fänge der indonesischen Armee. Das verhilft ihm zur lebensrettenden medizinischen Behandlung, bringt ihm aber eine zwanzigjährige Haftstrafe ein. Gusmãos Legende erfährt weitere Nahrung, er schreibt Gedichte hinter Gittern und bemalt seine Zelle. Die Welt spricht vom asiatischen Che Guevara oder von Osttimors Mandela.

Tatsächlich wandelt sich Gusmão vom Rebellen zur Integrationsfigur. Schon im Gefängnis lernte er Englisch und Indonesisch, um auch die Besatzer zu verstehen. Nach dem Sturz des indonesischen Diktators Suharto 1998 wird Gusmãos Haftstrafe zunächst in Hausarrest umgewandelt. 1999 wählt Osttimor im UNO-Referendum die Unabhängigkeit, mindestens tausend Menschen fallen der anschließenden Rache proindonesischer Milizen zum Opfer.

Wenige Wochen später darf Gusmão heimkehren. Die Bevölkerung empfängt ihn mit Freudentränen. Für sie ist klar, es gibt nur einen Kopf der neuen Nation: Gusmão. Cipriana Parrera, Mitglied des Übergangsparlamentes, begründet das: „Xanana hat mit dem Volk und für das Volk gelitten. Nur ein Staatsoberhaupt mit dieser Erfahrung wird wirklich Verständnis für die Probleme des Volkes haben.“

Beim Präsidentschaftswahlkampf sagte Gusmão, worauf es ihm jetzt ankomme: die Versöhnung mit Indonesien fördern, die Flüchtlinge schnell und sicher heimholen und ausländische Investoren gewinnen. Keiner hat dafür so viel Potenzial wie Gusmão – darüber herrscht Einigkeit in Osttimor und dem Rest der Welt. Blumen, Fotos und die Familie werden noch ein bisschen warten müssen.

ANETT KELLER