„Einkommensunterschiede schaden der ganzen Nation“

Brigitte Young, Politikökonomin und einzige weibliche Sachverständige in der Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“, über „Genderbudget“ und Weltmarkt

taz: „Gender“ und „Budget“ – das klingt für viele nach gähnender Langeweile. Wie würden Sie jungen Leuten diesen Begriff schmackhaft machen?

Brigitte Young: Ich finde diesen Begriff auch problematisch. Bisher gibt es keine adäquate Übersetzung ins Deutsche, aber unübersetzt bleibt die Sache im akademischen Milieu hängen. Es geht schlicht um die Verteilung der öffentlichen Güter. Wird der Militärhaushalt massiv erhöht, profitiert vor allem die Waffenindustrie, und nur die Seite der „militärischen Sicherheit“ wird bedient. Wird die staatliche Kinderbetreuung ausgebaut, investiert man in „menschliche Sicherheit“. Durch den Konjunktureinbruch der Neunzigerjahre und die geringeren Steuereinnahmen wächst der öffentliche Haushalt nicht mehr. In den Sechziger- und Siebzigerjahren gab es noch was zu verteilen, das ist jetzt vorbei. Wer sich dem neoliberalen Diktat von monetären Stabilitätskriterien nicht beugen will, kriegt einen „blauen Brief“ aus Brüssel. Also heißt es darauf zu achten, dass nicht vor allem die Teile des öffentlichen Haushalts gekürzt werden, die Frauen und die „menschliche Sicherheit“ betreffen: Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit, Sozialleistungen.

Frauen sind also wieder einmal die armen Opfer, die Vater Staat schützen muss?

Eben nicht. Es geht hier nicht um Moral, sondern um Effizienz. Große Status- und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern schaden der gesamten Nation. Wenn man in die Kinderbetreuung investieren würde, könnte man gerade in Deutschland eine Menge Humankapital freisetzen: junge, gut ausgebildete Frauen, die arbeiten wollen, aber in die Mütterfalle geraten sind.

Wie erklären Sie sich, dass bisher jede deutsche Regierung, auch die rotgrüne, weibliche Humanressourcen verschleudert?

Das hat mit dem deutschen Mutterbild zu tun. In Umfragen finden 65 Prozent der Männer, aber auch 62 Prozent der Frauen, Kinder bis zu drei Jahren sollten besser zu Hause betreut werden. Viele Frauen glauben, sie seien „Rabenmütter“, wenn sie sich daran nicht hielten. Diesen Begriff gibt es in keiner anderen Sprache, das ist ein deutsches Syndrom. Nach der Vereinigung hofften ja viele Politiker, dass die hohe Erwerbslosenquote sinkt, weil die ostdeutschen Frauen sich an den Herd zurückziehen. Das Gegenteil ist der Fall: Langsam, aber sicher wächst auch bei den westdeutschen Frauen die Erwerbsquote.

Müsste man Wim Duisenberg als Chef der EU-Zentralbank durch eine feministische Ökonomin ersetzen?

Eine Person allein kann wenig ändern. Überangepasste Frauen sind zum Teil schlimmer als die Männer. Es müssen die gesamten Strukturen geändert werden. Die Harvard-Industriesoziologin Ross Kanther fand bereits in den Siebzigerjahren heraus: Solange in einer Organisation weniger als 40 Prozent Frauen sind, verändert sich nicht viel.

Dann nehmen wir mal an, überall säßen jetzt feministische Ökonominnen. Wie sähe ihr Gender-Budget für Deutschland aus?

Unter anderem würde vom Kindergarten über Ganztagsschulen bis zu den Unis viel mehr in Bildung und Forschung investiert. Das hebt das Gesamtniveau der Nation und ermöglicht Männern wie Frauen die selbstbestimmte Wahl zwischen Familie und Beruf. Aber bei uns sinken oder stagnieren die öffentlichen Ausgaben besonders im Bildungsbereich, was wiederum jede Menge Folgekosten nach sich zieht. Ein Beispiel: Die verbliebenen Sekretärinnen an den Unis stehen unter gewaltigem Stress, und dies erhöht die Krankheitsrate. Ein Gender-Budget würde den scheinbar geschlechtsneutralen Hauptstrom der Budgetausgaben mit Gender-Kriterien unter die Lupe nehmen. Ein Hauptziel der Gender-Budgets ist es, strukturelle Veränderungen hervorzurufen: an der vorherrschenden Budget-Orthodoxie, aber auch an der Art und Weise, wie Entscheidungen über ökonomische und soziale Prioritäten gefällt werden.

Die Neuseeländerin Marylin Waring machte als eine der Ersten auf die Absurdität aufmerksam, dass Unfälle und Katastrophen, nicht aber Kindererziehung das Bruttosozialprodukt steigern. Muss Gender-Budget eine neue Rechnungsführung erfinden?

Dies würde bedeuten, die Beziehung zwischen makroökonomischer Politik und sozialen Rahmenbedingungen neu zu denken, eine Forschungsrichtung, die unter dem Begriff „Engendering der Makroökonomie“ bekannt geworden ist – wieder so ein schrecklicher Begriff. Es geht darum, die unbezahlte, also unsichtbare Arbeit sichtbar zu machen. Die unbezahlte Arbeit macht doch erst möglich, dass die bezahlte effizient funktioniert. INTERVIEW: UTE SCHEUB