Geleugnete Gewalt

Vier Tötungsdelikte an schwulen Männern in nur drei Monaten: Aktivisten fordern mehr Öffentlichkeit

Innerhalb von drei Monaten sind in Berlin vier Schwule bei Verbrechen zu Tode gekommen. Statistisch gesehen lasse sich daraus noch kein neuer Gewalttrend gegen Schwule ablesen, so Jochen Sindberg, Leiter der Mordkommission. Trotzdem hat die Häufung aufgeschreckt, legt sie doch offen, dass das Thema „Gewalt an Schwulen“ in bestimmten gesellschaftlichen Milieus, selbst in jenem, aus dem die Opfer stammen, noch immer ein Tabu ist.

Alle vier Getöteten waren nicht sehr begütert und starben in ihren Wohnungen. Alle waren erheblich älter als die Täter und hatten diese mitgenommen, mit dem Ziel, Sex mit ihnen zu haben, während die Täter überwiegend Raubabsichten hegten.

Schon lange ermutigen Bastian Finke und seine Kollegen vom Schwulen Überfalltelefon von Gewalt betroffene Homosexuelle, Anzeige zu erstatten. In etwa der Hälfte der 200 untersuchten Fälle wird dies nicht getan, obwohl mit Uwe Löher auch bei der Polizei ein Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen tätig ist. Die Aktivisten schätzen: Nur ca. 20 Prozent der Verbrechen werden gemeldet.

Homosexuelle, die aufgrund ihrer Sozialisation ihr Schwulsein verbergen, werden offenbar schneller Opfer von Verbrechen. Verschwiegenheit schütze dabei nicht nur die Privatsphäre, sondern auch die Täter, so Sindberg. Aus Sicht Finkes müsste viel mehr Aufklärungs- und Präventionsarbeit geleistet werden. Es müsste ein öffentliches Klima geschaffen werden, das es Männern ermöglichte, ihre Opfererfahrungen aufzuarbeiten. Durch Schamgefühle werde dies vielfach verhindert – aber auch durch die Annahme, dass Mannsein und Opfersein unvereinbar seien. So bleibt das Tabu um die Verbrechen an Schwulen ungebrochen. WALTRAUD SCHWAB