zwischen den rillen
: Flagge zeigen: „Europa gegen Amerika“ von Mutter

Hallo Sachzwang!

Er hat Micky-Maus-Ohren mit eintätowiertem Dollarzeichen. Vor ihm liegt die Weltkugel auf einem Tablett, als Tischdecke dient die US-Fahne, zum Essen benutzt er ein Messer, dessen Klinge die Inschrift „Todesstrafe“ trägt. „Das ist der Todfeind“, steht neben dem Gesicht von George W. Bush, im Hintergrund brennen Hochhäuser. Das ist Teil von „Europa gegen Amerika“, wie es sich Mutter-Sänger Max Müller auf Zeichnungen im Booklet der neuen CD vorgestellt hat, einige Wochen vor dem Attentat auf das World Trade Center. Das Bild kann man trotzdem weiter als T-Shirt-Motiv bestellen.

Dumm gelaufen oder dumm gedacht? Man weiß es nicht so genau. Schließlich hat sich die Berliner Band Mutter bislang stets bemüht, weit vorne zu sein, am Umschlagspunkt von Wirklichkeit und Provokation. Die letzte Platte hieß „Nazionali“, ein gefundenes Fressen für eine Menge musikjournalistischer Bedenkenträger, die darin eine Anspielung auf Deutschpop als Durchmarsch rechts der Mitte sahen. In Zeiten von Holocaust-Mahnmal-Debatten und Dolgenbrodt-Prozessen waren das 1996 natürlich viele.

Doch der Fehler lag bei den Interpreten. Kaum einer wusste jedenfalls, dass es eine gleichnamige italienische Zigarettenmarke gibt: Die Band hatte ihre Platte damals in dem kleinen toskanischen Ort Monterotondo aufgenommen – Faschismusverdacht bei der Toskana-Fraktion? Tatsächlich funktionierte „Nazionali“ durchaus als moralische Handreichung, als Prüfstein der eigenen Klischeevorstellungen. Umgekehrt wurde anhand der Überreaktion sichtbar, wie leicht in Deutschland aus unscharfen Deutungen hysterische Zuschreibungen werden können – das gilt von Antifa bis zum politisch korrekten Betroffenheitsbürger. Auch „Europa gegen Amerika“ passt in diese Schräglage der Meinungen, so wie die Zweifel an Bush vor einem Monat noch dramatisch waren.

Die Referenzen, mit denen Mutter arbeiten, sind dagegen sehr viel schwieriger auszumachen. Hier ist nichts etwas anderes als das, was es bedeutet. Kein Text, der von Max Müller nicht auf Subjekt, Prädikat und Objekt heruntergekocht und in Versform gehärtet worden wäre. Das macht die Trennlinie zwischen Thomas-Bernhard’scher Ich-Zellen-Prosa und schüchternen „Liebes Tagebuch“-Texten extrem unscharf. Dann heißt es etwa in „Wir waren niemals hier“: „Nachdem Du gesehen hast, was Du sehen wolltest, vergisst Du es, oder Du machst ein Foto, damit Du Dich später erinnern kannst.“ Das hört sich nach einer banalen Urlaubserfahrung an, die einerseits den größten gemeinsamen Nenner aller Touristen benennt und doch völlig verdreht als vages Möglichkeitsversprechen umherspukt. Das eine nennt man Knipserglück, das andere Melancholie.

Bei dieser Dichte der Zustandsbeschreibungen ist der Rock-Realismus vor allem ein Minimalmodell, jeder Satz bleibt praktisch ironiefrei. Man muss nicht einmal Partei ergreifen, um den Refrain von „Krieg ist vorbei“ zu verstehen: „Krieg ist vorbei, ein neuer beginnt, dort sind die Opfer.“ Genau in dieser Hinwendung ans unverrückbar Sachzwanghafte wird das Spiel aber ungemein sprachlich, es funktioniert wie ein zersplitterter Spiegel, der all die Dinge entstellt zurückwirft – Menschen, Tiere, Situationen. So auch im Video zum Lied, das die Band als langhaarige Kellerrocker zeigt, und dazu eine irre Psychotour mit abschließendem Selbstmord.

Eine Brechung der sich in der Eins-zu-eins-Übertragung einigelnden Gedankenschlaufen besorgt derweil auch die Musik. Je enger die Wörter an den Gegenständen kleben, desto weitläufiger wird der Sound: Noise, Feedback-Geschnatter, Depro-Folk und Tanzteemelodien. Damit entstehen offene, freie Räume um die Stimme von Max Müller, in denen er sich austoben oder einfach nur versteckt nuscheln kann. Manchmal meint man, dass Mutter dank ihres Eklektizismus in den Achtzigerjahren stehen geblieben wären. Dann stellt man – hoppla – fest: Die Eighties sind ja schwer in Mode. Und noch später ist es auch egal, weil sich die Songs von Mutter wenig verändert haben in den 15 Jahren seit ihrer Gründung, nur immer mehr verfeinert. Wer die Idee von musikalischer Reife mag, merkt an den Sprüngen von Platte zu Platte, dass Mutter mittlerweile ganz beatlesmäßig beim „Weißen Album“ angelangt sind. Wer allerdings die Texte als Selbsteinschätzung der Band ernst nimmt, muss bei den Zeilen aus „ach“ Zweifel an der Strategie des allmählichen Erfolgs durch Professionalisierung kriegen: „In der Hoffnung, eines Tages, treffen alle wir uns dort, ganz zerfressen von dem Ehrgeiz, nach dem unbekannten Ort“. Der Song beginnt mit Mundharmonika und erinnert nicht an Lennon/McCartney, sondern an Velvet Underground. Aber ich kann mich auch irren. HARALD FRICKE

Mutter: „Europa gegen Amerika“. (What So Funny About; EFA)