Das Szenario: GAU in Biblis

Heute findet im Rhein-Neckar-Raum die größte Katastrophenschutzübung statt. Sie soll die Beherrschbarkeit einer nuklearen Katastrophe suggerieren. Keine direkte Verbindung zu Anschlägen

Aus Biblis KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Das Szenario ist klar: GAU in Biblis, Ursache unbekannt. 1.200 Mann und ein Einsatzbefehl: Verletzte bergen, Leichen einsammeln, Evakuierung einleiten. Kommandozentrale ist die Kreisverwaltung in Groß-Gerau. Und oberste Kommandeure auf hessischer Seite sind Innenminister Volker Bouffier (CDU) und Landrat Enno Siehr (SPD). Doch weil das Platzen eines der beiden Atommeiler von Biblis eine Todeszone mit einem Radius von 50 Kilometern zeitigen wird, ist auch das Bundesland Rheinland-Pfalz involviert: in die größte Katastrophenschutzübung aller Zeiten im hessischen Ried.

Die läuft morgen an. Und Innenstaatssekretär Udo Corts (CDU) lädt schon einmal zum Fotoshooting an die Autobahnraststätte Büttelborn (BAB 67). Dort wird eine von fünf „Notfallstationen“ eingerichtet; und ketchupverschmierte THW- und Rotkreuzhelfer werden die Schwerverletzten mimen. Angesichts der Weltlage ein bizarre Veranstaltung. Zumal der Strahlentod leise kommt – und unsichtbar.

Angeblich schon vor zwei Jahren wurde die länderübergreifende Katastrophenübung geplant. Kritiker werfen den Planern vor, realitätsfremd zu sein: Die Todeszone wurde auf einen Radius von zwanzig Kilometern verkleinert; Städte wie Mainz, Darmstadt, Mannheim oder Worms wurden ausgeblendet. Experten aus dem Darmstädter Ökoinstitut warnen seit Jahrzehnten: Bei einem GAU in Biblis mit direkten Auswirkungen auf rund zwei Millionen Menschen im dicht besiedelten Rhein-Neckar-Raum gibt es nichts mehr zu schützen. Erst vor wenigen Wochen hatten AKW-Gegner gegen den Castortransport aus Block B nach La Hague protestiert. Seit Monaten wehren sie sich gegen den Bau eines Zwischenlagers in Biblis .

Seit dem Anschlag von New York hat die Anti-Atom-Bewegung neue Argumente: Block A ist nicht einmal ansatzweise gegen Flugzeugabstürze gesichert; das Zwischenlager soll in einer Blech- und Stahlkonstruktion stehen – mit nur millimeterdickem Dach. Die Organisation Internationale Ärzte gegen die Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW) warnt nachdrücklich vor Flugzeugabstürzen auf deutsche Atomkraftwerke. IPPNW liegt eine Liste mit Sicherheitsdefiziten in acht bundesdeutschen Atommeilern vor, die der international renommierten Organisation „aus Regierungskreisen“ zugespielt worden sei. Neben Biblis Block A und B werden darin die AKWs Obrigheim, Stade, Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg 1 und Krümmel genannt.

Die Katastrophenschutzübung, deren Absetzung „aus Gründen der Pietät“ auch bei der Landesregierung diskutiert wurde, diene lediglich der „vordergründigen Beruhigung der Bevölkerung“, sagte BBU-Vorstandsmitglied Eduard Bernhard: „Wer den Menschen durch eine Katastrophenschutzübung vorgaukelt, die Folgen eines Super-GAUs für Leben, Gesundheit und Eigentum seien zu bewältigen, handelt verantwortungslos.“ Mit Verweis auf die bereits angelaufene Vorbereitung der Übung wurde eine Absetzung verworfen: von den zuständigen Landespolitikern, aber auch von Rettungsdiensten und Polizei. Baden-Württemberg allerdings macht nicht mit beim länderübergreifenden Event: Anders als die Regierung Koch hat die Regierung Teufel alle Atommülltransporte vorerst abgesagt.