Hungern um ein paar Worte

Seit zwei Tagen verweigern rund 50 Gefangene der JVA Tegel jegliche Kost. Ihr Ziel: Ein Gespräch über die Haftbedingungen mit einem Vertreter der Justizverwaltung. Doch Senator Wieland ist im Urlaub

von PETRA WELZEL

Der rot-grüne Senat hat seinen ersten Hungerstreik – und tut sich schwer zu reagieren. Stunden reichte man sich gestern im Amtssitz von Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) die Forderung der Streikenden hin und her und gab schließlich folgende Stellungnahme ab: „Wir stehen in Gesprächen mit den Gefangenen.“

Schön wäre das, denn es ist das einzig erklärte Ziel der nach letztem Stand rund 50 hungernden Gefangenen, „einen Vertreter der Senatsverwaltung für Justiz zu einem Gespräch zu bewegen“. Doch soweit ist es noch nicht. Wolfgang Wieland ist im Urlaub, ließ aber mitteilen, ein Besuch im Gefängnis sei bisher nicht geplant. Und Wieland Herrmann, der die Erklärung für die Insassen der Teilanstalt III in Tegel unterzeichnet hat, wurde bislang nur mehrfach von seiner Gruppenleiterin angesprochen, den Hungerstreik abzubrechen.

Pikanterweise ist Herrmann Mitglied der Partei des Justizsenators. Alle Versuche, ein Gespräch mit Wieland oder einem Vertreter zu erreichen, schlugen aber bisher fehl. Jetzt hungern er und andere, um „die Zustände in Tegel nicht länger hinzunehmen“. Was die Lage in der Vollzugsanstalt auszeichne, seien die andauernde Überbelegung und die fehlende Resozialisierung. In dem Schreiben der Gefangenen heißt es weiter: „Durch den praktizierten Verwahrvollzug, werden Rückfalltäter produziert, welche nach jahrelanger Haft völlig perspektivlos und voller Wut und Aggression auf die Allgemeinheit losgelassen werden.“

Die Fakten sprechen für sich: Immer mehr Sozialarbeiterstellen werden von Vollzugsbeamten ohne Qualifikation übernommen. Mit 1.700 Inhaftierten auf 1.536 Haftplätzen ist die JVA Tegel seit Jahren überbelegt. Acht Quadratmeter für zwei Gefangene sind nicht selten. Schon 1989 waren 800 Insassen in einen Arbeits- und Hungerstreik getreten, um auf die Haftbedingungen aufmerksam zu machen. Geändert hat sich nichts.

Seit diesem Sommer dürfen die Gefangenen in der Teilanstalt II nur noch drei Minuten am Tag duschen, um Wasser zu sparen. In einem der Neubauten werden für viel Geld Mischbatterien mit Zeitschaltuhren getestet, aus denen das Wasser nur tröpfelt. Gespart wird auch an der Anstaltskost. Obst und andere Kostzulagen wurden gestrichen.

Die schon einmal 1989 nach der Wende ins Visier genommenen großen rot-grünen Reformvorhaben des Strafvollzugs und der Haftbedingungen wurden nur mit der „Zögerlichkeit mancher älterer Damen beim Betreten der Fahrbahn auf den Weg gebracht“, wie es Renate Künast seinerzeit für die Alternative Liste formulierte, und blieben dann im Verkehrsstau christdemokratischer Politik stecken.

Die jetzt in Haus III Hungernden, denen sich gestern auch Insassen aus Haus I und II anschlossen, wollen jetzt noch einmal wissen, was sie von einem rot-grünen Senat zu erwarten haben. Der hält sich bedeckt.

Der Pressesprecher der Anstaltsleitung, Lars Hoffmann, kommentierte die Lage mit den Worten: „Wenn mich heute Früh niemand von der Presse angerufen hätte, dann wüsste ich gar nicht, dass wir einen Hungerstreik haben.“ Reagiert hat man inzwischen allerdings: Einem Streikenden wurde sein Helferstatus und damit eine ganztäglich geöffnete Zelle gestrichen, einem eine Verlegung angedroht, und alle wurden von sämtlichen Sportveranstaltungen ausgeschlossen.