In Bayern das türkische Vaterland lieben

Bayerns Islamunterricht wird von Lehrern bestritten, die der Freistaat aus der Türkei einfliegen lässt. Sie benutzen türkische Lehrbücher und verpflichten sich, „der Ehre des türkischen Volkes“ zu dienen. Kultusministerium: Kein Problem, die Lehrer unterstehen auch der „bayerischen Schulaufsicht“

aus Nürnberg BERND SIEGLER

Haydan Isik ist außer sich. „Die Jugendlichen werden hier vergiftet“, sagt er, „und die bayerische Regierung will nur vertuschen, verdecken und vernebeln.“ 25 Jahre lang hat Haydan Isik in der Nähe von München türkische Realschüler unterrichtet. 25 Jahre lang war er entsetzt darüber, was seine aus der Türkei abgeordneten und vom Freistaat Bayern bezahlten Kollegen unterrichten. Die importierten Islamlehrer vermitteln ihren Stoff im so genannten muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und in der „islamisch religiösen Unterweisung“. Im Bayerischen Kultusministerium aber gibt man sich gelassen. „Die türkischen Lehrer unterliegen der bayerischen Schulaufsicht“, hofft Ministeriumssprecherin Brigitte Waltenberger auf den segensreichen Einfluss ihrer Kultusbürokratie.

Das Vaterland lieben

Bayern ist auch hier anders als die anderen Bundesländer. Für die rund 60.000 Schüler islamischen Glaubens wird in Bayern eine islamische religiöse Unterweisung als Wahlpflichtfach angeboten. Diese Unterweisung erfolgt nach Recht und Gesetz – dem der Türkei. Der Unterricht in Bayern basiert auf den „vom Ministerium für nationale Erziehung der Republik Türkei erlassenen Richtlinien“.

Leichte Abwandlungen gibt es zwar. Die in den türkischen Originallehrplänen enthaltenen staatsbürgerlichen Inhalte etwa haben die weißblauen Lehrplanbeauftragten nicht aufgenommen. Trotzdem: Erstklässler lernen, dass ein Muslim in seiner Umgebung Ordnung zu halten habe. Die bayerisch-muslimischen Schüler sollen, so heißt es verwirrend, ihr „Vaterland lieben“. In der fünften Klasse wird diese Lektion vertieft – mit dem Thema „Auch im Ausland denken wir an unsere Heimat“.

Haydan Isik hat in den türkischen Schulbüchern viele anstößige Passagen entdeckt: Da werde von der „Heiligkeit des Militärdienstes“ gesprochen. Gegen Griechen, Russen und Armenier würden Ressentiments geschürt. Talaat Pascha, einer der türkischen Befehlshaber des für 1,5 Millionen Menschen tödlichen Feldzuges gegen Armenien, wird als „sehr fleißig und ehrlich“ beschrieben. Er habe einen „guten Charakter“ besessen. Die französische Nationalversammlung hat die türkische Militäraktion, die 1915 in der mesopotamischen Wüste stattfand, erst vor wenigen Tagen als Völkermord eingestuft.

Haydan Isik äußerte seine Zweifel schon früher. Der in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aktive Isik wandte sich 1985 hilfesuchend ans Kultusministerium. Man dürfe nicht verkennen, beschied man ihm damals launig, „dass andere Völker auf Grund ihrer jeweiligen geschichtlichen Entwicklung noch nicht die gelassene Haltung zum nationalistischen Gedanken gefunden haben, wie sie heute in der Bundesrepublik Deutschland verbreitet“ sei. Eigene Lernmittel für türkische Schulkinder würden jedoch „nicht in Erwägung gezogen“.

Zwölf Jahre später, 1997, mahnte auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) beim Kultusministerium eine Veränderung an. Die so genannten Verpflichtungserklärungen seien zu überprüfen. Nach einer dem BLLV vorliegenden Fassung müssen die türkischen Lehrkräfte nämlich in den jeweiligen Generalkonsulaten schriftlich bestätigen, dass sie stets „zum Schutze der Ehre des türkischen Volkes“ handeln. „Anweisungen der Erziehungsattachés an den Konsulaten“ seien zu befolgen – ansonsten drohe den eingeflogenen Lehrern nämlich die „Zurückberufung in die Heimat“. Der BLLV befürchtet, dass den türkischen Lehrern ein „geradezu unterwürfiger Gehorsam“ abgefordert werde. Und zwar doppelt: Die Lehrer sollen dem türkischen Staat dienen – und werden gleichzeitig auf die bayerische Verfassung vereidigt.

Haydan Isik sieht zusätzlich finanzielle Pressionen. „Die Lehrer sind materiell abhängig und das fördert das Duckmäusertum, wenn man nicht zurückgeschickt werden will.“ Immerhin verdienen die türkischen Lehrer in Deutschland das Zehnfache ihrer Kollegen in der Türkei.

Deutsche Inspekteure

Arslan Önal, der Erziehungsattaché im türkischen Generalkonsulat in Nürnberg, sieht das anders. Er streitet jeglichen Druck ab, auch eine Verpflichtungserklärung gebe es nicht. Önal leitet das „Referat für Schulwesen“, kümmere sich aber nur um die „persönlichen Angelegenheiten der Lehrer“. Für die Schulaufsicht seien „deutsche Inspekteure“ zuständig.

Auch im bayerischen Kultusministerium glaubt man nicht, dass der lange Arm der Generalkonsulate bis in die Klassenzimmer reicht. „Wenn sich ein Erziehungsattaché um die Lehrer kümmert, kann er dies tun“, betont Brigitte Waltenberger, „aber die Schulaufsicht obliegt dem Freistaat“. Den 164 derzeit im Freistaat beschäftigten und für fünf Jahre vom türkischen Staatsdienst beurlaubten Lehrern stünden 40 „sprach- und fachkundige bayerische Fachberater“ zur Seite. Sie seien dazu da, den Unterricht ihrer türkischen Kollegen „unabhängig und selbstständig zu beobachten und bewerten“. Sofern es also „Verfehlungen in Richtung Fundamentalismus“ oder Indoktrination gebe, sobald „das Toleranzgebot verletzt wird“, sagt Waltenberger, erfolge „unmittelbar die Rückführung in die Türkei“. In den letzten Jahren habe es aber keinerlei Probleme gegeben.

Für Manfred Schreiner, den Ausländerbeauftragten des BLLV, reicht das nicht aus. „Wenn der Lehrer seine Klassenzimmertüre hinter sich zugemacht hat, weiß man nie, was gesagt wird.“ Aus Gesprächen mit türkischen Lehrern weiß er, dass bei den Konsulaten entsprechende Verpflichtungserklärungen abgegeben werden müssen. Aber warum sind von türkischen Eltern bislang keine Beschwerden über die Lehrer gekommen? Schreiner erklärt sich das mit dem türkischen Ehrbegriff: „Ein Türke beschwert sich nicht bei einer deutschen Stelle über einen türkischen Lehrer.“

Zusammen mit dem BLLV plädiert Schreiner dafür, dass Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland „an deutschen Universitäten im Rahmen des Lehramtsstudiums ausgebildet werden“ müssten. Nur so könne man verhindern, dass der Religionsunterricht „durch nationale und traditionalistische Inhalte“ überlagert werde.

Solche Studiengänge gibt es – in Nordrhein-Westfalen, das vor mehr als zehn Jahren einen eigenen Islamlehrplan entwickelte. (siehe unten)