Als die Daten laufen lernten

Hannover ist überall: Auf der Cebit 2001 stehen die Geräte für den mobilen Zugang zum Internetim Mittelpunkt. Nach der Pleite von heute hofft die Branche auf das nächste Geschäft von morgen

von LARS REPPESGAARD

Im Museum des neuen Zeitalters hat jedes Kunstwerk seine eigene Internetpräsenz. Wer mit einem internetfähigen Mobiltelefon in der Tasche zu lange vor einem Lichtenstein oder einem Chagall steht, muss damit rechnen, dass ihn eine Website mit Informationen zu Bild und Künstler anruft.

Sich selbst aktivierende Netzanwendungen, Bildinformationen, die aufgerufen, und Filmtrailer, die abgespielt werden, indem man mit dem Handy oder dem Palm Top darauf zeigt – so stellt sich Hewlett Packard „Cool Town“ vor. In dieser Welt hat alles und jeder eine eigene IP-Adresse – im Falle des Filmplakats sogar eine mit mobilem Anschluss zum Ticket-Shop. Die Schattenseite: Auch die Powerpoint-Präsentationen kann keiner mehr zu Hause vergessen. Sie kommen direkt aus dem Weltnetz und werden über Infrarot auf Drucker, Projektor, Video-Beamer oder auf die Mobilgeräte der genervten Zuhörer überspielt.

Mit dieser Mobil-Vision stehen die einstiegen Druckerspezialisten auf der Cebit nicht allein da. Natürlich ist die weltgrößte Computermesse immer auch eine Fundstelle für Ideen, die als kuriose Fußnoten der Computergeschichte enden. Streichholzschachtelgroße PCs und drahtlose Supernetze, die jedem Kabelsalat ein für alle Mal ein Ende bereiten, werden in Hannover mit schöner Regelmäßigkeit vorgestellt, ohne dass sie je als Produkte im Elektronikkaufhaus enden. Dieses Schicksal dürften dieses Jahr die zum Datenspeicher aufgemotzten Schlüsselanhänger erleiden oder eine Software, die Aktienkurse von Ölfirmen und Energieversorgern als Auspuffkurve und Wasserstrahl anzeigt.

Weltweit mit Löchern

Dass aber die Daten Flügel bekommen und von allen erdenklichen Endgeräten aus abgerufen werden – darauf setzen in diesem Jahr im temporären Epizentrum der digitalen Revolution viele. Schon im letzten Jahr wurden laut einer optimistischen Schätzung von Volker Jung, dem Vorstandssprecher des Internetunternehmensverbandes Bitkom, europaweit im so genannten Mobile Commerce mehr als 2,5 Milliarden Mark umgesetzt. Folglich sorgt das mobile Internet in der ganzen IT-Branche für Optimismus. Handys für das E-Mail-Konto und die Besprechungspläne am heimischen PC oder handgroße Taschen-PCs, die von überall auf das Firmennetz zugreifen, werden zunächst zum Messealltag der Technikelite gehören und dann Allgemeingut werden.

Werner Biesenberger vom Fraunhofer-Institut fur Arbeitswirtschaft und Organisation schätzt: „Das Büro der Zukunft wird überall stattfinden.“ In ihrem „Wireless Internet Applications“-Report sagt die Cahners InStat Group bis 2004 weltweit über 700 Millionen mobile Internetzugänge voraus. Allein die Anpassung der Webinhalte verspricht also ein gutes Geschäft für die von Börsensorgen und verfehlten Umsatzzielen geplagte IT-Welt zu werden.

Trotz aller Träume vom mobilen Netz sind die Probleme bei stationären Internetzugängen aber noch lange nicht ausgeräumt. Das angeblich weltweite Netz weist vor allem in Afrika und Lateinamerika empfindliche Löcher auf. Und auch in der Ersten Welt sind die Anschlüsse noch zu langsam. Mehr als ein Viertel der Heimsurfer sind nach einer Schätzung der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg noch immer über Modem und analoge Telefonleitungen mit höchstens 56 Kilobit in der Sekunde unterwegs. Rund ein Drittel nutzt eine ISDN-Verbindung. Da ruckeln von Sony, Nintendo und Microsoft herbeigesehnte Onlinespielwelten noch gewaltig. Anwendungen wie „Video-on-Demand“ sind auf diesem Übertragungsniveau noch undenkbar, betont Professor Torsten Gerpott vom Lehrstuhl für Planung und Organisation an der Universitat Duisburg.

Verstopfte Knoten

Auch immer mehr Industriekunden beklagen, dass ihre Anbindungen nicht mehr für das Alltagsgeschäft ausreichen. Selbst die so genannte Kabelbündelung, das Zusammenschließen der beiden Leitungen eines ISDN-Anschlusses, verhindert nicht halbstündige Wartezeiten und kostet dafur die doppelte Verbindungsgebühr. Professionelle Videokonferenzen über das Netz seien bei dieser Bandbreite ebenfalls kaum realisierbar, sagt Carsten Queisser, Produkt-Marketing-Manager bei Cisco Deutschland. Abhilfe könnte die flächendeckende Verbreitung der „Digital Subscriber Line“ (DSL) schaffen. Eine 10 Megabyte große Datei lässt sich damit in weniger als zwei Minuten aus dem Netz ziehen. Mit dem Modem dauert das mehr als zwanzig Minuten, ISDN ist kaum schneller. Neue Kabel braucht man dafür nicht, DSL setzt auf die alten Telefonleitungen auf. Neben der Telekom bieten auch QSC, Mediaways und andere Unternehmen den Turbo fur die Kupferleitung an. Sogar Yahoo Deutschland ist mit Hilfe der Schweizer Streamgate seit dieser Woche in das Geschäft eingestiegen – vorläufig allerdings nur im Raum München.

Doch die Breitbandverkabelung in Deutschland verlauft schleppend: Die Telekom hat beispielsweise 700.000 DSL-Anschlüsse verkauft. Freigeschaltet ist davon allerdings erst ein Bruchteil. Eine Viertelmillion Kunden wartet zum Teil seit Monaten auf die Telekom-Techniker. Telekom-Sprecher Walter Genz macht vor allem die Komponentenlieferanten des Konzerns fur den Verzug verantwortlich. Grund genug fur 270 Breitbandanbieter, sich auf der Messe wenigstens zum imageträchtigen Gemeinschaftsstand „DSL-Exchange“ zusammenzuraufen.

Angesichts dieser Probleme unter der Erde schielen viele Cebit-Teilnehmer lieber bereits gen Himmel, wo Satelliten in naher Zukunft helfen sollen, die UMTS-Netze stabil zu machen. Was über die breitbandigen Handynetze übertragen werden soll, ist allerdings noch offen. „Erst in zwei Jahren wissen wir, wie die Inhalte aussehen“, dämpft der Sprecher des Deutschen Multimediaverbands, Lutz Gortz, die Erwartungen an die diesjährige Cebit.

Einen ersten Eindruck konnte dennoch die gestern verkündete Allianz zwischen Nokia und Real Networks geben. Der Streamingspezialist hat gemeinsam mit dem finnischen Handyweltmarktführer ein Pilotprojekt entwickelt, bei dem Audioprogramme wie die Radiosendungen von ABC und CNN, Sport- oder Börsennachrichten auf jedes Handy der Welt gespielt werden konnen. Noch in diesem Jahr soll zudem ein gemeinsam entwickeltes Endgerät vorgestellt werden: ein aufklappbares Mobiltelefon, das Tastatur und Bildschirm in seinem Innern trägt. Filmtrailer oder Musikstücke konnen dorthin über mobile Breitbandzugänge wie GRPS und später UMTS in kleinen Datenpaketen gestreamt werden. „Wir arbeiten an Servern, die von sich aus erkennen, welche Darstellungsform welches Endgerät erlaubt“, sagt Pete Zaballos, Marketing-Manager von Real Networks. Der Server erkennt, ob ein Handy oder ein stationärer PC einen Inhalt ansteuert und stellt ihn dem entsprechend dar: beispielsweise als schmale Schwarzweißgrafik oder wahlweise als bildschirmfüllendes Farbbild.

Mit dem Einstieg in die mobile Internetwelt betritt Real Networks – wenn auch durch die Allianz mit Nokia abgefedert – Neuland. Das Unternehmen setzt voll auf die Zugkraft des Real Players, einer Software zum Abspielen von Musik und Filmen, die über das Internet verbreitet werden. Ein Plan, der aufgehen könnte, denn 180 Millionen Menschen nutzen ihn bereits. Wenigstens ein Bruchteil sollte sich nach Reals Berechnung auch für mobile Anwendungen begeistern lassen – und natürlich bereit sein, dafür zu bezahlen.reppesgaard@redhoffmann.de