Schmidtie, alter Hunne!

Ein mittelmäßiger Sünder wie du und ich: Louis Begley gönnt seinem Helden Albert Schmidt einen weiteren Roman. In „Schmidts Bewährung“ kommt er knapp davon

Louis Begleys „Schmidt“-Romane sind merkwürdig: irgendwie dazwischen. Keine regelrechten Hochliteratur- und Grübelzwangromane, die fast ohne Welt und Handlung auskommen, weil im Kopf des Erzählers genug herumliegt, was er so braucht für gut 200 Seiten; aber auch keine Jetzt-erzählen-sie-wieder-Literatur- oder Kolportageschinken, die mit dem wirklichen Leben und speziell dem ihrer Leser wenig zu tun haben, weshalb sie ja auch so beliebt sind.

„Schmidt“ und „Schmidts Bewährung“ erfüllen nicht die Konventionen sowohl der Kunscht- als auch der Schmöker-Fraktion. Es wird viel gegrübelt, in innerem Monolog und erlebter Rede – mit allen erzähltechnischen Schikanen, die die klassische Moderne bereitgestellt hat. Aber es gibt auch einen Milliardär mit Bodyguards, einen Hollywoodregisseur, Tote, Drogen und gar nicht so wenig Sex.

Albert Schmidt ist Anwalt in einer renommierten New Yorker Kanzlei. Genau gesagt: Das war er. Jetzt ist er im Ruhestand, ein bisschen früh nach seinem Geschmack. Und es geht ihm schlecht: Vor kurzem ist seine Frau gestorben, und nun will ihn auch noch seine Tochter verlassen und heiraten – ausgerechnet einen jungen Kanzleikollegen, den Schmidt partout nicht ausstehen kann: zu ehrgeizig, zu vulgär, zu jüdisch. Tja, Schmidtie ist leider ein bisschen antisemitisch; nicht rassistisch natürlich, mehr so gemütlich-alltäglich. Seine Freunde, auch die jüdischen, wissen das und reagieren leicht genervt darauf. Nur wenn’s zu offensichtlich ist, verwarnen sie ihn sanft: Mensch, Schmidtie, alter Hunne!

Das Bizarre an dieser Konstellation ist nun: Schmidt ist keine unsympathische Figur; immerhin ist er der Held in zwei Romanen Begleys – kein strahlender natürlich (den gibt’s heutzutage ja sowieso nur im Trash), aber auch kein Monstrum. Nicht einmal der negative Held eines cautionary tale, der uns sagen soll: Wenn du, lieber Leser, dich auch solch schalen Vergnügungen hingibst, statt der zu werden, der du bist, weil es nämlich schon später ist, als du denkst – dann wirst du genauso böse enden wie ich . . .

Nichts davon. Schmidt war erfolgreich und zufrieden in seinem Beruf; er ist wohlhabend. Jetzt, im Ruhestand und der Einsamkeit ins Auge sehend, geht’s ihm natürlich nicht so gut; aber so ist das nun einmal, kein Grund zur Klage eigentlich. Schmidt ist etwas gefühlskalt und pedantisch, seine Frau hat er vielleicht ein bisschen zu routiniert betrogen. Aber ich würde ihn sehr gerne kennen lernen, seinen trockenen Witz, seine Weltkenntnis erleben.

Louis Begley ist mit „Lügen in Zeiten des Krieges“ berühmt geworden, Anfang der Neunzigerjahre. Da war er fast sechzig, ein erfolgreicher New Yorker Anwalt, der seinen ersten Roman veröffentlicht, in dem er das Leben eines jüdischen Jungen schildert, 1939 in Polen – kurz gesagt, das Alter Ego des Autors. Und Schmidt, das springt ins Auge, trägt Züge des erwachsenen Autors, des amerikanischen Anwalts. Wenn da nur der verflixte Antisemitismus nicht wäre, zu dem Begley auf Nachfrage sagt, er habe dies „amüsant“ gefunden; hätte er uns zuliebe nicht darauf verzichten können? Wohl nicht. Auch wenn Begley davon gar nicht so viel hermacht – die Passagen über Erbschaft- und Schenkungsteuern, Kindererziehung und Anwaltstricks nehmen viel mehr Raum ein –, erst vor diesem dunklen Grundton, der beide Bücher durchzieht, wird Schmidts Geschichte so erstaunlich und so erfreulich: Denn, oh Wunder, für seine Schwächen und Fehler wird unser grauer Held nicht bestraft, nicht einmal für seinen Antisemitismus, wozu gerade Begley ja alles Recht gehabt hätte . . .

Dass er das auch kann, bestrafen, hat er in „Mistlers Abschied“ geschildert. Mistler ist Schmidt ähnlich, nur größer, kinomäßiger, und ihn lässt Begley einigermaßen genüsslich in Venedig an Leberkrebs sterben. „Du bist ein Arsch“, zweimal fällt dieser Satz im Roman, und Mistler kann dem eigentlich nicht widersprechen; was uns trotzdem für ihn einnimmt, ist die Schonungslosigkeit, mit der er Rechenschaft ablegt über sein grandioses und – wie auch anders? – verpfuschtes Leben. Aber dann muss er, mit Seitenblick auf den „Tod in Venedig“, vorschriftsmäßig krepieren. So gehört sich das, so kennt es der geübte Leser.

Im Unterschied zu Mistler bekommt der alte Sack Schmidt aber die 25-jährige Carrie, einen wahren Bettschatz und eine edle Seele obendrein; was Wunder, dass Schmidt sie im zweiten Band nicht halten kann; und, oh Wunder, dass er Carrie gehen lassen wird, ohne in Wut und Depression zu versinken. Schmidt, der alte Egoist, ist ihr dankbar für die schöne Zeit, die sie miteinander hatten: Sie werden, und das ist kein höhnischer Witz, Freunde bleiben!

Wie gelingt es Begley, uns solchen Stuss glaubhaft zu machen? Indem er uns Schmidt buchstäblich in erlebter Rede nahe bringt, mit all seinen Fehlern und Pedanterien; indem er uns in Schmidts Kopf installiert (und manchmal auch in seinem Schwanz), uns miterleben und miterleiden lässt, was es heißt, älter und einsamer zu werden. Schmidt ist ein Sünder, ein mittelmäßiger wie Sie und, leider, auch ich; eigentlich gehört er gezwiebelt, wenn nicht geschmort. Aber hier wird er nicht nach Aktenlage abgestraft, er kommt noch einmal davon, wenn auch nur knapp auf der letzten Seite: Vielleicht ist doch nicht alles aus zwischen ihm und seiner Tochter. Und da wir uns in Schmidt wiedererkennen, mischt sich in die Freude über diese wunderbaren Romane die leise Hoffnung, man möge auch mit uns einmal so gnädig umgehen wie Begley mit Schmidt. KURT SCHEEL

Louis Begley: „Schmidts Bewährung“. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 340 Seiten, 38,80 DM