Männer mit Motor – Frauen zu Fuß

Die traditionell autofixierte Verkehrsplanung lässt die Bedürfnisse einer Mehrheit von Frauen und Kindern außer Acht, belegt eine Studie des Münchner Forschungsinstitutes „Socialdata“. Alte Städteplanung setzte Autolawinen in Gang

von UTE SCHEUB

Je Auto, desto Mann. Ein mit Servolenkung und Vorderantrieb ausgestatteter Mensch zu sein, das zeichnet immer noch vor allem das männliche Geschlecht aus. Männer sind mindestens doppelt so automobil wie Frauen: PKW-Eigner sind laut Verkehrsministerium zu 72 Prozent männlich und zu 28 Prozent weiblich.

Erwerbstätige Männer besitzen dabei die meisten Autos, es folgen erwerbslose Männer, schließlich Rentner und Männer in Ausbildung und erst an fünfter Stelle erwerbstätige Frauen. Nach einer Studie des Münchner Forschungsinstituts Socialdata von 1997 war für über die Hälfte aller Männer, aber für nicht mal ein Drittel der Frauen das Auto das Hauptverkehrsmittel. Frauen gingen vorwiegend zu Fuß (28 Prozent), fuhren Rad (11 Prozent), stiegen in Bus und Bahn (13 Prozent) oder saßen auf dem Beifahrersitz (18 Prozent).

Der typische Mann fährt morgens zur Arbeit und abends zurück. Punkt. Die typische Frau hingegen läuft in Zickzackwegen. Sie bringt die Kinder in den Kindergarten und zur Schule, holt sie ab, schafft Max zum Fußball und Mimi zur Freundin, hastet zum Supermarkt, holt die Kinder heim. Erst dann ist Punkt.

Die Zeit, die die motorisierten Männer gewinnen, verlieren die Frauen. Die Straßen sind so gefährlich geworden, dass Mütter ihre Kinder lieber mit dem Auto oder im Bus durch die Gegend kutschieren, um sie vor den Autos zu schützen. Ungefähr jeder vierte Weg einer Mutter ist inzwischen ein „Begleitweg“, hat die Verkehrsplanerin Gisela Stete herausgefunden. Auf der Flucht vor dem Verkehr schwillt der Verkehr immer mehr an.

Die motorarme Dreiviertelmehrheit der Gesellschaft, die Frauen, die Kinder und die Alten, müssen den Autos weichen, seit im Jahre 1933 in der „Charta von Athen“ das neue internationale Leitbild propagiert wurde: die Trennung der städtebaulichen Funktionen „Wohnen, Arbeiten, Sicherholen, Sichbewegen“. Was in Deutschland Hitlers Stadtplaner nicht mehr schafften, das wurde nach dem Krieg in den zerstörten Städten Westdeutschlands flächendeckend verwirklicht. Aus Stadtautobahnen, suburbanen Schlafstädten und Industriezonen entstand die autogerechte Stadt. Was übrig blieb, das wurde nach der Wende in Ostdeutschland niedergemacht: mit Gewerbegebieten und Einkaufszonen auf der grünen Wiese, die nur per Auto zu erreichen sind. Die Folge war ein bis heute andauerndes Sterben aller dezentralen Einrichtungen – Schulen, Postämter, Tante-Emma-Läden. Wer dorthin will, muss nun oft das Auto nehmen. Die Folge der Folge ist die Flucht der Bessergestellten vor dem Autoterror ins Grüne. Die Folge der Folge der Folge ist der Verkehrsstrom allmorgendlich in die Citys und allabendlich zurück.

Übrigens: Nach einer Erhebung von Socialdata erhoffen sich 73 Prozent der Befragten von der Politik, dass endlich umweltfreundliche Verkehrsmittel besser gefördert werden.