„Den Anfängen entgegentreten“

Beim Besuch der durch rechte Anschläge verunsicherten Jüdischen Gemeinde im bayrischen Weiden übte Gerhard Schröder scharfe Kritik an Hessens Ministerpräsident Roland Koch. „Mehr durch Städte in seinem Land gehen“

NÜRNBERG taz ■ Der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Weiden in der Oberpfalz hat das Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sichtlich gut getan. „Er hat unsere Sorgen und Gefühle ernst genommen, das allein hat schon aufgemuntert“, sagt Gabi Brenner.

Eine halbe Stunde hat sich der Kanzler Zeit genommen, um trotz europapolitischer Grundsatzrede und Besuch bei der örtlichen Handwerkskammer mit ihr zu reden. Vor Ort und vor allem bei dem seit 24 Jahren amtierenden CSU-Oberbürgermeister Hans Schröpf gilt Brenner als Nestbeschmutzerin. Denn sie hat eine Serie von Anschlägen auf Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde publik gemacht. Schröder sicherte der Gemeindevorsitzenden seine volle Unterstützung zu: „Die Bundesregierung und alle vernünftigen Menschen in Deutschland stehen an der Seite der jüdischen Bürger.“ Gleichzeitig kritisierte Schröder den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der in Interviews davor gewarnt hatte, den Rechtsradikalen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich rate Koch, viel mehr durch Städte in seinem Land zu gehen und dort rechtsextremen Anfängen entgegenzutreten.“

In Weiden hat eine Serie von Anschlägen die 433 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in helle Aufregung versetzt – nicht nur die Attacken mit Steinen und Farbbeuteln, sondern vor allem die mangelnde Unterstützung in der 43.000-Einwohner-Stadt. Unbekannte hatten das Mahnmal zum Gedenken an die ermordeten Weidener Juden besudelt, eine Scheibe von Gabi Brenners Fotogeschäft beschädigt. Doch vom Weidener Oberbürgermeister kam keinerlei Reaktion. Als Fenster der Synagoge mit faustdicken Kieselsteinen eingeworfen wurden, verharmloste er die Tat als „hässlichen“ Vorfall.

Nach einem Farbanschlag auf die Synagoge beschädigten Pflastersteine die Schaufensterscheibe des Geschäfts der Gemeindevorsitzenden, die kurz darauf noch einen anonymen antisemitischen Drohbrief erhielt. Doch selbst als die Kriminalpolizei von etwa 80 Neonazis im Raum Weiden sprach, bestritt Oberbürgermeister Schröpf noch immer die Existenz einer rechten Szene vor Ort. Stattdessen warf er der Gemeindevorsitzenden einen „rücksichtslos inszenierten Rufmord der Stadt“ vor. Bei der Gedenkstunde zur Reichspogromnacht brachte er sogar das Kunststück fertig, die Jüdische Gemeinde mit keinem Wort zu erwähnen.

Gabi Brenner macht die starre Haltung des Oberbürgermeisters mitverantwortlich für die Anschläge: „Die Täter können sich doch dadurch geradezu ermutigt fühlen.“ Umso wichtiger war für sie der demonstrative Besuch von Gerhard Schröder im inzwischen von Polizeikräften streng bewachten Gemeindezentrum: „Verantwortungsvolle Politiker sehen hin, Provinzfürsten schauen eben weg.“

BERND SIEGLER