Strahlenopfer geht leer aus

Ehemaliger Arbeiter der Brennelementefabrik in Hanau wird vom Landgericht Nürnberg abgewiesen. Dem Siemens-Konzern konnte kein „vorsätzliches“ Handeln nachgewiesen werden. Weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld an Michael Weber

von CHRISTIAN RATH

Der bei Siemens verstrahlte Arbeiter Michael Weber bekommt von Siemens weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld. Dies entschied gestern das Nürnberger Landgericht. Webers Anwalt Wolfgang Baumann bezeichnete die Entscheidung als „nicht haltbar“. Weber arbeitete 1971 als 19-jähriger Leiharbeiter bei der Hanauer Reaktor-Brennelemente-Gesellschaft RBG.

Nach rund einmonatiger Tätigkeit in der Brennelemente-herstellung drückte er damals auf einen falschen Knopf. Daraufhin trat aus der Uranstaubmühle eine Staubwolke aus, die ihm ins Gesicht geblasen wurde. Weber wurde nach Hause geschickt und am nächsten Tag von der Zeitarbeitsfirma Manpower entlassen. Jahre später erkrankte Weber an Lungenfibrose, seine Lunge ist bereits zu 85 Prozent zerstört. In der Öffentlichkeit tritt der heute 48-jährige Mann mit Schläuchen in der Nase auf, die ihn mit Sauerstoff versorgen. Dass seine Krankheit auf die Tätigkeit bei RBG zurückgeht, hat die zuständige Berufsgenossenschaft 1995 ausdrücklich anerkannt. Weber bekommt seitdem eine Arbeitsunfähigkeit-Rente.

Im Prozess vor dem Nürnberger Landgericht ging es nun um die zusätzliche Forderung von zwei Millionen Mark Schmerzensgeld sowie einer Million Mark Schadensersatz, weil Webers Messebaufirma nach dessen Erkrankung Konkurs anmelden musste. Damit ging zum ersten Mal ein Strahlenopfer in Deutschland gerichtlich gegen einen Atomkonzern vor.

Siemens bestreitet nach wie vor, dass es den von Weber angeführten Vorfall überhaupt gegeben habe. Das Landgericht hat es aber „als wahrscheinlich angesehen, dass der Vorfall vom 5. 2.1971 tatsächlich stattgefunden hat“. Es lehnte Webers Ansprüche dennoch ab, weil sie entweder verjährt seien oder eine „vorsätzliche“ Schädigung durch den Arbeitgeber nicht ersichtlich sei.

Die Verjährung betraf nur den Anspruch auf Schmerzensgeld, die drei Jahre nach Kenntnis des Schadenseintritts beginnt. Das Gericht nahm an, dass Weber ab 1992 seine Erkrankung dem Vorfall bei RBU zuordnen konnte. Zeitweise sei dann zwar der Verjährungseintritt durch die mit Siemens geführten Verhandlungen gehemmt gewesen. Die am 3. Januar 2000 eingereichte Klage sei jedoch auf jeden Fall zu spät gekommen.

Anwalt Baumann lehnt die Berechnungen des Gerichts ab, wirft aber vor allem Siemens vor, dass es sich überhaupt auf Verjährung beruft. „Das ist doch beschämend, dass eine Weltfirma sich auf diesem Wege der Verantwortung für frühere Mitarbeiter zu entziehen versucht.“

Der Anspruch auf Schadensersatz verjährt dagegen erst nach 30 Jahren. Hier musste Weber allerdings beweisen, dass Siemens „vorsätzlich“ gehandelt hat, denn für alle fahrlässigen Schädigungen steht bereits die Berufsgenossenschaft ein, an die Siemens regelmäßig Beiträge überweist. Weber und Baumann machten hier geltend, dass der junge Leiharbeiter nicht sachgemäß in seine Tätigkeit eingewiesen wurde und vor allem, dass nach der Verstrahlung auf jede medizinische Untersuchung und Hilfe verzichtet wurde. „Wir unterstellen hier keine ‚absichtliche‘ Schädigung“, so Baumann, „aber für den Vorsatz genügt bereits, wenn Siemens ein bestimmtes Ergebnis ‚billigend in Kauf genommen‘ hat.“ Angesichts der zahlreichen Grenzwertüberschreitungen bei RBG liegt dies für Baumann auf der Hand.

Das Gericht sah dies jedoch anders. Da weder Siemens noch Weber beweisen konnte, was 1971 geschah, unterstellte es nach der „Lebenserfahrung“, dass ein Arbeitgeber einen verstrahlten Mitarbeiter nicht ohne Untersuchung nach Hause gehen lasse. Das Landgericht kam zu diesem Ergebnis ohne weitere Beweiserhebung, nicht einmal Weber wurde hierzu vernommen.