Homöopathische Intervention

Spezifisch und ironisch: Der Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist hat internationale Künstler nach London eingeladen, um einem sehr britischen Exzentriker nachzuspüren. „Retrace your steps: Remember Tomorrow“ im Sir John Soane's Museum ■ Von Holm Friebe

Sir John Soane's Museum ist so etwas wie die Jack Daniel's-Distillery unter Großbritanniens staatlichen Museen. Mitten im vibrierenden Zentrum Londons wird hier die Zeit angehalten. Schon zu Lebzeiten hatte der große Architekt und begeisterte Sammler Sir John Soane sein Domizil, das Drei-Häuser-Ensemble an den Lincoln's Inn Fields, in ein Privatmuseum verwandelt und Besucher empfangen, mit der einzigen Einschränkung: „nicht bei nassem oder schmuddeligem Wetter“. Seit 1995 ist das Haus wieder in dem Zustand konserviert, den Soane bei seinem Tod 1837 hinterließ.

Auch das Drumherum ist mehr oder weniger authentisch: Man läutet an der schweren Holztür, ein soignierter Butler, der sich bald darauf als Museumsangestellter zu erkennen gibt, öffnet, und man muss sich ins Gästebuch eintragen. Es gibt keine Beschriftung an den Exponaten und keinen vorgeschriebenen Rundgang. Durch die präviktorianisch möblierten Wohnräume gelangt man in den eigentlichen Museumsbereich, der bei aller räumlichen Enge ein Gefühl von endlosem Durcheinander vermittelt, ein nach einer geheimen Ordnung arrangiertes, genialisches Chaos. Bis unter die Decke stapeln sich antike Fragmente, Fresken und Statuen. In der kleinen Gemäldegalerie hängen dicht an dicht Skizzen von Soane selbst neben einem frühen Turner und ein paar Hogarths. Wie Schranktüren lassen sich die Wände aufklappen und dahinter kommen neue Meisterwerke zum Vorschein, ganz zum Schluss ein Durchblick auf eine griechische Jungfrauenstatue. Das Licht fällt durch gelbe Deckenfenster und Schächte bis in den gespenstisch voll gerümpelten Keller, wo ein Sarkophag steht und ein echtes Skelett aus einem Wandschrank lugt. Kurt Schwitters Merzbau ist hier schon gedanklich vorweggenommen, und hinter einer Vertäfelung könnte der geheime Zugang zum Labor von Professor Moriaty sein.

Wegen seiner skurrilen Stummfilmatmosphäre gilt das Museum auch unter Künstlern als Geheimtipp, obwohl es natürlich in allen Reiseführern steht. Und so hat vermutlich auch der Ausstellungsmachern Hans Ulrich Obrist von der Existenz des Hauses erfahren. Vor seiner durch europäische Museen nomadisierenden Konzeptausstellung „Cities on the Move“ und der Berlin-Biennale hat er bereits Kunstausstellungen in der eigenen Küche, in einem Hotelzimmer und in einem Museum für Stadtentwässerung veranstaltet.

Dabei scheint es Obrist stets mehr um die Spezifik des Ortes zu gehen als um die jeweiligen Kunstwerke. So auch in der Ausstellung „Retrace your steps: Remember tomorrow“, die Obrist in Soane's Museum inszeniert hat. Trotz einiger bekannter Beiträger steht die Akzentuierung des übergeordneten „Gesamtkunstwerks“ – der Begriff taucht als Germanizismus im Faltblatt zur Ausstellung auf – im Vordergrund. Die moderne Kunst bescheidet sich auf die homöopathische Intervention, auf das Innuendo.

Schon der zum Ausstellungsdesign gehörende Titelschriftzug von Douglas Gordon verflüchtigt sich in eine obere Ecke des Vorraums und taucht anschließend in Klarsichtfolie auf einem der Spiegel wieder auf. Ein Bild von Richard Hamilton, das eine ebenfalls ausgestellte Gemeinschaftsarbeit mit Marcel Duchamp – eine silberne Ellipsenformation auf Plexiglas – zitiert, ist hinter einer der Klappwände versteckt. Das „Soane, echo, system, i“ vom diesjährigen Turner-Preisträger Steve McQueen besteht lediglich aus zwei Lautsprechern, die einen eigenwilligen Soundtrack in die Räume entsenden: von Barock- über Kaffeehausmusik bis Country. Der zweite Teil von McQueens Echosystem ist noch unscheinbarer: ein hölzerner Beistelltisch, der auf einem Spiegel steht und seine eigene Unterseite betrachtet.

Oft rätselt man, was Kunst ist und was Kuriosum, was neu und was alt. Eine neongelbe Marienstatue von Katharina Fritsch versteckt sich ganz oben auf einem Regal. Anish Kapors „Parabolic Waters, ii“, eine schnell rotierende Aluschüssel mit gefärbtem Wasser, erinnert an erste wissenschaftliche Versuche zur Zentrifugalkraft. Und die Arbeit „About indunation“ von Koo Jeong-a, ein randvoll mit Wasser gefüllter Glaswürfel, nebst ein paar Spritzen auf einem Teetischchen drapiert, sieht in diesem Kontext mehr nach dem Utensil eines esoterischen Morphinisten aus als nach dem Besteck eines ordinären Junkies.

Am organischsten fügt sich jedoch das Duo Gilbert & George in das Ambiente ein, naturgemäß, da die beiden ohnehin einen exzentrisch-anachronistischen Lebensstil nach dem Vorbild Soanes kultivieren und zum Bestandteil ihrer Kunst machen. Sie residierten also einen Nachmittag lang in dem Haus, tranken Tee aus Soanes Geschirr und ließen sich dabei ablichten. Ihr Foto steht auf einer antiken Staffelei und verdoppelt den Raum dahinter, die alte Bibliothek, die zu einer perfekten Kulisse für die kauzige Selbstinszenierung des Duos wird. Mit stilsicherem Gespür bringen Gilbert & George so die gesamte Ausstellung auf den Punkt: ein respektvolles Spiel mit den Versatzstücken der Vergangenheit, geimpft mit einer Prise unterschwelliger, sehr britischer Ironie.

Bis 25. 3., Sir John Soane's Museum, 13 Lincoln's Inn Fields, London