Vom Tierschutzland zum Kinderschutzland

Tagung zum Verbot elterlicher Gewalt: Justizministerin wirbt für Gesetzentwurf

Berlin (taz) – Was soll schon dabei sein, bei einem Klaps auf den Po? Mir haben die Ohrfeigen auch nicht geschadet. Wer nicht hören will, muss fühlen. – Wer denkt, dass sich Eltern solche Sprüche heutzutage immer weniger leisten, irrt. Zwar hat die Gewalt gegen Kinder in den letzten hundert Jahren erheblich nachgelassen. Dennoch bestrafen nach einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer aus Hannover immer noch rund 57 Prozent aller Eltern ihre Kinder mit Ohrfeigen oder Schlimmerem. Unter den 16.190 befragten Schülern berichtete jeder Zehnte, bereits massive Misshandlungen erlebt zu haben: zusammengeschlagen, getreten, gewürgt oder mit Gegenständen verletzt worden zu sein.

Kinder, die Gewalt erleiden oder Gewalt zwischen den Eltern mit ansehen müssen, würden später zwei- bis dreimal so oft selbst zu Gewalttätern wie gewaltfrei erzogene Kinder, beschrieb Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) am Donnerstag in Berlin den Teufelskreis der Gewalt. Auf einer Tagung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Kinder schlagen – gesetzlich verboten?“ warb sie deshalb für den Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung, mit dem die nach wie vor erlaubte elterliche Gewalt geächtet werden soll.

Ausdrücklich nicht im Strafrecht, sondern nur im Bürgerlichen Gesetzbuch soll Paragraph 1631 Absatz 2 folgendermaßen geändert werden: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Massnahmen sind unzulässig.“ Die Änderung soll im Frühjahr vom Rechtsausschuss und im Sommer vom Bundestag verabschiedet werden.

In ihrer engagierten Rede erinnerte Däubler-Gmelin daran, dass der Bundesgerichtshof noch 1952 einem Vater ausdrücklich zugestanden hatte, seine 16-jährige Tochter an einen Stuhl zu fesseln und kahl zu scheren, weil ihr Freund ihm nicht gepasst hatte. 1957 sei dieses „Züchtigungsrecht“ zwar getilgt worden, aber noch 1977 sei unter der sozialliberalen Koalition ein Prügelverbot nicht durchsetzbar gewesen. Mit der neuen zivilrechtlichen Norm wolle die Regierung keine Eltern hinter Gitter bringen, sondern eine „Bewusstseinsänderung“ auslösen. Sie solle daher von einer „Aufklärungskampagne“ begleitet werden.

„Gewaltlose Erziehung fördert den aufrechten Gang“, ergänzte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Nach einer Studie von US-Forschern hätten diejenigen, die unter Hitler Juden versteckten, als Kinder allesamt eine liebevolle Erziehung mit viel Empathie erfahren. Misshandelte Kinder und Jugendliche aber würden nicht nur von ihren Eltern, sondern auch vom Staat weitgehend allein gelassen. Von 1.000 Betroffenen suchten nur 100 eine Beratungsstelle auf, weil den meisten das Vertrauen fehle, dass von dort nichts an ihre Eltern weitergegeben würde. „Wir sind ein gutes Tierschutzland, aber kein Kinderschutzland“, befand Pfeiffer.

Auch an der Bundesjustizministerin und der grünen Ausländerbeauftragten Marieluise Beck übte der Kriminologe Kritik. Schweigend seien sie über seine Befunde hinweg gegangen, dass die Gewaltrate in ausländischen Familien deutlich höher sei als in deutschen und besonders hoch bei den eingebürgerten Türken. Es bedürfe einer „konstruktiven Debatte“ mit diesen Familien, um „ohne deutsche Besserwisserei“ diese „Tradition der männlichen Dominanz“ aufzubrechen.

Wie eine erfolgreiche Aufklärungskampagne aussehen könnte, das konnte Professor Ake Edfeldt aus Stockholm berichten. Die schwedische Regierung verbot bereits 1979 alle „erniedrigenden Verhaltensweisen“ gegenüber Kindern. Das Justizministerium habe damals an alle Familien, Arztpraxen und Kinderzentren eine aufklärende Broschüre mit Tipps und Alternativen zur Prügelstrafe verteilen lassen, in Schwedisch und in den Sprachen der Immigranten. Sogar die Milchtüten seien zwei Monate lang mit Texten zum Thema bedruckt worden.

Eine Kontrollumfrage habe ergeben, dass auf diese Weise 99 Prozent aller Einwohner erreicht wurden. Die Zahl der Kinder, die krankenhausreif geschlagen wurden, sei massiv zurückgegangen. Im Unterschied zum sanktionslosen deutschen Gesetzentwurf bedroht das schwedische Recht prügelnde Eltern auch mit Strafe. Allerdings gab es landesweit bisher nicht mehr als drei Prozesse.

Eine solche „konzertierte Aktion“ stünde auch Deutschland nicht schlecht an, befand der Braunschweiger Psychologieprofessor Klaus Hahlweg: „Wie wäre es mit einem Bündnis für Kinder?“Ute Scheub