Die Kinder von Prada-Meinhof

Work is hell: Die Ausstellung „Crash!“ im Londoner ICA bringt Punk wieder ins Spiel der Künstlerentwürfe  ■   Von Holm Friebe

Aus der Sicht des Künstlers ist die Angestelltenkultur eine Blackbox. Was im Inneren vor sich geht, kann er nur ahnen – selbst in London, wo das Welt-Headquarter der Angestelltenkultur zu liegen scheint, wo jeden Morgen ein Millionenheer uniformierter Anzugträger mit U-Bahn oder Auto in die Innenstadt strömt. Obwohl sich die Corporate culture als ideologisches Zentrum des robusten Kapitalismus identifizieren lässt, gilt sie als langweilig und geistlos. Gleichzeitig provoziert sie: Die Entstehung von Punk, Ende der Siebziger in London, lässt sich als direkte Negation der Angestelltenkultur lesen: Der inneren Fäulnis des Kapitalismus wurde mit kollektiv zur Schau gestellter Faulheit begegnet.

Heute ist Punk tot, der Finanz- und Dienstleistungssektor dagegen boomt, und die hiesige Kunstszene hat sich in einer friedlichen und einträglichen Koexistenz mit den Yuppies eingerichtet. Zeit für einen neuerlichen Ausfall ins Herz der Bestie, für einen Vorstoß ins Innere der Blackbox! Der Ort, das Institute of Contemporary Art (ICA), gilt als Enklave staatlich geförderter Subkultur unter feiner Adresse. Was hier stattfindet, ist nicht selten „the next big thing“ in der Kunst. Die Ausstellung heißt „Crash!“ und ist eine Kollaboration des ICA mit dem Designer Scott King und dem Texter Matt Worley, die als Duo unter „Crash!“ firmieren. Das Thema ist Arbeit. Beziehungsweise: nicht nur, aber auch. Irgendwie. Matt Worley hat im Vorfeld ein paar Mutmaßungen über das Innere der Blackbox angestellt, die im Katalog nachzulesen sind:

„Die moderne Ökonomie wird dominiert von einer reifizierten Arbeitskraft, die 'busy‘ aussieht, während sie die Minuten zum Wochenende zählt. Großbritannien ist zu einer endlosen Spirale aus Bürokratie, Memos, Rundschreiben und E-Mails mutiert, während Kapital von einem Unternehmen zum anderen verschoben wird, einzig zum Nutzen der inzestuösen Parasiten auf dem Börsenparkett. In solch einem Kontext können die softe Einrichtung des Großraumbüros, das Summen der PCs und die Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen nur Anzeichen für unsere Entfremdung und geschäftige Sinnlosigkeit sein.“

Der Text erinnert nicht von ungefähr an literarisch ambitionierte Demo-Manifeste, ist aber wesentlich besser layoutet. Genau wie die von „Crash!“ gestaltete Anzeigen- und Plakatkampagne, die die Ausstellung flankiert: Selten sahen Punkbotschaften so stylish aus. Im Kern scheint es „Crash!“ um eine Renovierung von Jugendkultur zu gehen, unter dem Motto: Es muss wieder hip sein, links zu sein, aber bitte nicht zu hip. In ihrem Manifest-Poster zur Ausstellung grenzen sie sich sowohl gegen den schlecht angezogenen postmodernen Intellektuellen ab als auch gegen den Typus „Prada Meinhof“, meint: das Fashion victim, das Radical chic nicht mehr mit Inhalt zu füllen weiß.

Was in der Ausstellung selbst spürbar wird, ist ein profundes Desinteresse an den eigentlichen Abläufen hinter verspiegelten Bürofassaden; die „Thank god, it's monday“-Mentalität taucht bei „Crash!“ nur als das amorphe Feindbild aus seligen Punkzeiten auf. Das Kollektiv „Inventory“ hat einen Raum und die Flure mit epigrammatischen Aufklebern überzogen. Die Botschaften lauten unter anderem „Destroy your internalised censor“ oder, mit Seitenhieb auf die Nike-Werbekampagne, „Don't fucking do it – do it all“. In einem mit Edding auf Jalousie geschriebenen Katalog fordert Inventory die öffentliche Hinrichtung der Königin und aller Staatsoberhäupter, aber auch „electric vehicles that thrill“, sprich: Elektrofahrzeuge, die abgehen. Graham Ramsey und John Beagles haben auf Video festgehalten, wie sie in Downing Street No. 10 eine Petition einreichen: ein DIN-A4-Blatt, auf dem nichts weiter steht als „We are the people“ und die unleserlichen Unterschriften der beiden Künstler. Andy Longs „The Illusion of Enfranchisement“ ist dann wiederum völlig eins zu eins, ein gelehrig-missionarischer Tonbandvortrag über die Verkommenheit der Demokratie, das Perfide der Bewusstseinsindustrie und die Propagandalügen der Werbung, unterlegt mit Videoreproduktionen von Werbebroschüren. Die Arbeit wirkt ein wenig hilflos im Umfeld einer Ausstellung, die unter anderem von Diesel und Ikea gesponsert wurde.

Allerdings wird dieser Widerspruch in kaum einer anderen Arbeit mit reflektiert. Das Gros der Beiträge dreht sich um Überlebensstrategien für Künstler im Kapitalismus. Christian Jankowski begibt sich mit Pfeil und Bogen auf die Jagd nach Produkten im Supermarkt. Die erlegten Trophäen stellt er dann zu Hause aus und fotografiert sie. Der Franzose Matthieu Laurette hat es als „King of freebies“ bereits zu lokaler Berühmtheit gebracht. Er bestreitet seinen gesamten Lebensunterhalt gratis aus Umtauschangeboten von Supermärkten und Kataloganbietern. Das Spektrum der künstlerischen ABMs reicht vom akribisch geplanten perfekten Bankraub (Janice Kerbel) über die Eröffnung einer Zeitarbeitsagentur für Ausstellungsbesucher (Rachel Baker) bis zur fast unscheinbaren Eingliederung des Künstlers ins Interieur, nämlich als martialisch uniformierter Security Guard (Simon Wood). Am schillerndsten in diesem Kontext ist – neben dem Video „Everything you've heard is wrong“ von Carey Young, in dem die Künstlerin an der Speakers Corner im Hyde Park eine Rhetorikschulung für Manager abhält – die Konzeptinstallation „Exchange“ des Kollektivs Szuper Gallery. Von einem Computer-Terminal im Foyer des ICA aus versuchen Szuper Gallery eine anonyme Spende von 5.000 Pfund möglichst geschickt in Aktien zu investieren. Obwohl sich die Financial Times und diverse Börsenmagazine auf dem Tisch stapeln, ist man zuversichtlich, das Geld bis zum Ausstellungsende in den Sand gesetzt zu haben. Und wenn es aus Versehen doch hinhauen sollte: umso besser.

„Crash!“ Bis 19.12. im ICA, London. Im ICA-Bookshop: „Crash!“-Magazin „Prada Meinhof“. Im Internet: www.ica.org.uk