Freie Monopole

■ In Estland grassiert das Zeitungssterben, das private Fernsehen wird von skandinavischen Unternehmen dominiert

In Estlands Hauptstadt grassiert das Zeitungssterben. In der letzten Woche sind ausgerechnet die drei größten unter den seriösen Tageszeitungen Tallinns, Rahva Hääl, Hommikuleht und Paeveleht, von den Kiosken verschwunden. Ein einziges neues Blatt, Eesti Päeveleht (Estnisches Tagblatt), ist an ihre Stelle getreten, das aber auch nur auf eine verkaufte Auflage von gerade noch 40.000 bis 45.000 Exemplaren hoffen kann – in einem Land mit der halben Einwohnerzahl Berlins. Hunderte von JournalistInnen werden durch die Fusion arbeitslos. Und das ist erst der Anfang, denn von dem runden Dutzend noch erscheinenden Tageszeitungen Tallinns ist die Hälfte konkursreif.

Die Selbständigkeit des Landes hatte das vorherige Pressemonopol der KP beseitigt und eine breite Flut von mal gut, mal schlecht, graphisch meist und inhaltlich allzuoft schrecklich langweiligen Blättern hervorgebracht. Setzte man in den wirren Anfangsjahren weithin auf eine wüste Mischung aus Nachrichten, Gerüchten, persönlicher Meinung oder schlicht erfundenen Geschichten, so sind die überlebenden Zeitungen mittlerweile recht verläßlich geworden – wenn auch fast ausschließlich Sprachrohr von Parteien, Parteigruppen oder einzelnen Ministern.

Keine Ministerrede oder Pressekonferenz ist zu unbedeutend, um nicht in breiter Aufmachung wiedergegeben zu werden. Der aus sowjetischen Zeiten gewohnte Verlautbarungsjournalismus wurde – inhaltlich gewendet – ebenso übernommen wie mancher Chefredakteur. Erst die neu herangewachsene JournalistInnengeneration, durchweg unter 25 Jahre alt, verspricht frischen Wind. Soweit sie nicht gleich bei den unzähligen Radiostationen und den vier privaten TV-Sendern arbeiten, die es geschafft haben, das Gros der Werbekunden zu gewinnen, versuchen sie, den EstInnen das Zeitunglesen nicht noch weiter zu verleiden.

Waren die Blätter früher fast umsonst zu haben, so daß man sich gleich einen ganzen Pack am Kiosk kaufte in der Hoffnung, irgendwo inmitten der Bleiwüsten doch etwas Interessantes zu finden, mußten mit Anbruch marktwirtschaftlicher Zeiten die Preise mehr und mehr erhöht werden. Wenn auch noch immer extrem billig, ist den EstInnen das Zeitungslesen zu teuer geworden. Und vielfach auch zu uninteressant.

Zukunft scheinen nicht mehr die gewendeten Verlautbarungsblätter und zahllosen amateurhaften Neugründungen zu haben, sondern die wenigen professioneller gemachten Zielgruppenzeitungen. Die auf rosa Papier gedruckte Wirtschaftszeitung Äripäev, die freche Wochenzeitung Eesti Express und die in Aufmachung und Inhalt unsäglich exakte Bild-Kopie Post. Eine erfolgreiche Neugründung scheint darüber hinaus Eesti Sönumid, die dadurch entstand, daß nahezu alle JournalstInnen der altehrwürdigen Rahva Hääl gegen die Eigentümer revoltierten, kündigten und innerhalb von zwei Tagen eine neue Tageszeitung herausbrachten. Kein größeres Problem offenbar in einer Zeit, in der es weder ein Arbeitsrecht mit Kündigungsfristen noch eine funktionstüchtige Journalistengewerkschaft gibt.

Scheinen die russischsprachigen Blätter angesichts einer treueren Leserschaft überlebensfähig, droht auf dem Markt der estnischen Zeitungen offenbar ohne westliche Geldspritzen früher oder später der Konkurs. Hinter der erfolgreichen Neugründung Eesti Sönumid tauchte nach kurzer Zeit der finnische Medienriese „Sanomat“ auf – Gerüchte wollen wissen, daß er schon beim Absprung der Rahva Hääl-JournalistInnengruppe die Finger mit im Spiel hatte. Äripäev gehört zum schwedischen „Marieberg“-Konzern, und die Bild-Imitation Post steht vor technischen Investitionen, die ohne ausländische Investoren nicht zu machen sein werden. Da die ökonomischen Voraussetzungen für die Presse in Estland, Lettland und Litauen sehr ähnlich sind, bahnt sich ein Szenario an, bei dem ausländische, bislang vorwiegend skandinavische Medienkonzerne im Baltikum mehr und mehr die Oberhand gewinnen.

Eine Entwicklung, die im TV- Bereich schon weit fortgeschritten ist. Der schwedische Fernsehmogul Kinnevik betreibt in Estland einen eigenen Kanal und ist in Lettland und Litauen jeweils an TV- Sendern beteiligt. Hinter dem mit Kinneviks EVTV konkurrierenden „Kanal Kaks“ stehen Investoren aus den USA, der Schweiz und Deutschland. Im meist recht dürftigen Programmangebot wird primär darauf geachtet, daß zwischen den kurzen Nachrichtensendungen, Rateshows nach westlichem Vorbild und meist in Originalsprache gesendeten Billigserien aus Lateinamerika und Asien – derzeitiger Renner in Estland: eine Endlosserie aus Venezuela mit russischen Untertiteln – genügend Platz für die Werbung bleibt. Reinhard Wolff