Wer mag schon Kriegsfilme?

Krieg bleibt Krieg. Auch im Film. Daß man ihn führen und filmen kann, ohne ideologische Überhöhung und kultische Momente, auch das zeigen manchmal Kriegsfilme. Zum Neustart von „Der Soldat James Ryan“  ■ Von Kurt Scheel

Wie jeder vernünftige Mensch mag ich keine Kriegsfilme. Das liegt daran, daß Krieg, nach allem, was man darüber weiß, eine abscheuliche Sache ist. Und Soldatsein ist für einen nach 1945 geborenen Deutschen aus den bekannten Gründen keine reizvolle Vorstellung; der deutsche Soldat, namentlich der des Zweiten Weltkriegs, hat nun einmal kein besonders positives Image, und das zu Recht.

Als guter Deutscher, der ich selbstredend bin und der sich dadurch definiert, daß er nicht so wahnsinnig gerne Deutscher ist, fällt es mir leicht, mich mit den Guten, also den Alliierten, zu identifizieren. Andererseits, da gibt es kein Entkommen, bin ich Deutscher. Aber auch dieses Problem ist zu lösen, und viele Filme haben es uns vorgeführt: Man muß nur zwischen dem Nazideutschen und dem tapferen deutschen Soldaten unterscheiden.

Doch es stimmt uns nicht froh. Etwa wenn uns ein englischer Film von 1951 (!) erzählt, daß „Rommel, der Wüstenfuchs“ als Soldat (und halber Hitler-Gegner) eine Kanone ist, die in der Gestalt von James Mason schlicht das Pech hat, auf der falschen Seite zu stehen. Der Soldat, der soldatische Mensch als solcher, wie er die deutsche Volksseele zweihundert Jahre geprägt hat, ist nach 1945 auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet.

So sehen wir das. Aber die anderen sehen das anders. Für die Briten ist der Zweite Weltkrieg bis heute „our finest hour“, für die Amerikaner ist er der Große Gute Krieg; Soldaten sind für die Angelsachsen keine Mörder, sondern gegebenenfalls Helden. Helden sind Menschen, die etwas Großes und Gutes vollbringen, unter Einsatz des eigenen Lebens. Und es ist zwar richtig, daß man nicht in Zeiten leben möchte, die Helden braucht. Aber wenn man in solchen Zeiten lebt, ist es gut, daß es Helden gibt.

Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ erzählt so eine Geschichte. Sicherlich kein wirklich bedeutender Film – die berühmten ersten zwanzig Minuten der Landung an der Normandieküste sind eindrucksvoll, wenngleich nicht so extraordinär, wie die Kritik behauptet hat; und die letzten dreißig Minuten sind bloß rambomäßige Materialschlacht, abgreiferisch und nur den Kids zu Gefallen. Aber doch ein sehr ordentlicher Genrefilm, mit allen Ingredienzien, die wir erwarten dürfen: eine kleine Gruppe von auf sich gestellten Soldaten in Feindesland; der Jude, der Italiener und der aus dem Mittleren Westen – jeder besonders, und doch alle eins, wie es dem amerikanischen Credo „e pluribus unum“ entspricht: ein Klischee amerikanischer Kriegsfilme, aber trotzdem schön und anrührend, weil es die Vielfalt, gewissermaßen die multikulturelle Gesellschaft feiert und der nazistischen Rassen- und Reinheitsideologie widerspricht. Und schließlich der Pragmatismus und die Professionalität der Protagonisten: Man macht seinen Job ohne Begeisterung, aber so gut man kann.

Es geht den Soldaten, die den Private Ryan rausholen sollen, nicht darum, etwas zu beweisen – Heldenmut – oder zu erfahren – der Krieg als innneres Erlebnis – oder gar die Welt beziehungsweise Volk und Vaterland zu retten. Es geht schlicht darum, heil nach Hause zu kommen, heim zu Muttern. Mit anderen Worten: Hier agieren gar keine richtigen Soldaten, Soldaten im klassischen Sinn. Ruhm, Ehre, Sterben fürs Vaterland: forget it!

Ich, der ich keine Kriegsfilme mag, schaue diesen Soldaten interessiert und gerührt zu, und nicht nur, weil sie die Guten sind, sondern weil sie eine Idee vom Soldaten verkörpern, die mit der deutschen Idolatrie des Militärs wenig zu tun hat. Es sind unsoldatische Soldaten. Sie bilden keinen Stand, keine Kaste. Es sind Zivilisten in Uniform. Denn es ist nicht der Soldat, der das zentrale amerikanische Rollenmodell vorstellt: Das ist der Cowboy, der Westerner, und der mag gewalttätig sein, aber er ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil des Soldaten. (Daß amerikanische Soldaten eher in Uniform verkleidete Cowboys sind, zeigen besonders eindringlich Kubricks „Dr. Seltsam“ und Coppolas „Apocalypse Now“.) – In der amerikanischen Mythologie gibt es eine latente Verachtung des Uniformträgers, des zackigen Militärs. Vielleicht ist deshalb ein Film wie „Ein Offizier und ein Gentleman“, der die Abrichtung des Menschen zum Soldaten feiert, so besonders widerwärtig. Denn dies mag als preußische Perversion gelten oder als französische der Fremdenlegion, aber doch nicht als amerikanische!

An diesem Problem laboriert auch Kubricks „Full Metal Jacket“: Zwar kritisiert er die faschistoide Ausbildung der Marines, die Dehumanisierung zum Menschenmaterial, aber es bleibt doch ein tiefes Unbehagen. Das mag ja alles ganz realistisch sein, aber es trifft nicht ins Schwarze. Denn das Schöne an den Vereinigten Staaten ist für uns der Amerikanische Traum, nicht unbedingt seine jeweilige Realität. Kubricks Film schildert den Amerikanischen Alptraum zur Zeit des Vietnamkrieges, und das ist nur die Häfte der Wahrheit; die andere Hälfte will aber „Private Ryan“ präsentieren, der daher den Zweiten Weltkrieg wie den Vietnamkrieg filmt. Vielleicht sollte man beide Filme als Double Feature zeigen...

Spielbergs Film ist anständiges Genrekino. Terrence Malicks „Der schmale Grat“ ist etwas ganz anderes, auch ein anderes Kaliber. Der Krieg – die Eroberung einer japanisch besetzten Pazifikinsel – bietet Malick die Staffage für eine Art philosophischen Traktat über das Böse im Menschen, in der Natur. Manchmal ist das von rührender Naivität, aber die Ernsthaftigkeit, mit der Malick seine Fragen stellt, die Schönheit seiner Bilder, sein staunender Blick auf die Schöpfung – das ist mehr als von nur bizarrem Reiz. Ein regelrechter Autorenfilm, aber eben aus Hollywood glücklicherweise.

Malicks Epos ist auch die heimliche Abrechnung mit einem der berühmtesten und berüchtigtsten amerikanischen Kriegsfilme: „Sands of Iwo Jima“ (1949) mit John Wayne. Diesem Film wird nachgesagt, er habe viele junge Amerikaner dazu verführt, sich während des Vietnamkriegs freiwillig zu den Marines zu melden. Wayne als Sergeant Stryker ist in der Tat eine imposante, eine heroische Figur, mit der sich ein junger Mann sehr wohl identifizieren kann; und dann stirbt er auch noch am Ende!

Daß Stryker als der amerikanische Kommißkopp schlechthin gilt und in Malicks Film in Gestalt von Nick Nolte höhnisch parodiert wird, ist wohl eher dem Haß der amerikanischen Liberalen auf John Wayne geschuldet als einer Kenntnis von „Sands of Iwo Jima“. Einem deutschen Blick fällt anderes auf: Stryker-Wayne, diese Ikone des amerikanischen Soldaten, ist keineswegs ein Draufgänger, ein Haudegen. Er ist ein Professional, der nicht vom Kampf Mann gegen Mann oder soldatischen Tugenden schwärmt, sondern der einen Grundgedanken amerikanischer Kriegsführung seit dem Ersten Weltkrieg verkörpert: Material statt Menschen einzusetzen. Nicht Sterben fürs Vaterland, sondern die effiziente Ausführung des Auftrags ist die Devise.

Material statt Menschen, Vorsicht statt Wagemut: Noch der Golfkrieg bot ein schlagendes Beispiel für diese amerikanische Militärstrategie, die so gar nicht affiziert ist von singend in den Tod ziehenden Regimentern von Langemarck. (Freilich geht es um die Schonung nur der eigenen Soldaten; in Vietnam führte die Strategie Material statt Menschen direkt in die Imagekatastrophe. „A Hard Rain's a Gonna Fall“: Agent Orange zeigte die Grenzen jener Taktik auf.) Trotzdem: Seit dem Sezessionskrieg haben die Amerikaner kein romantisches Verhältnis mehr zum Krieg. Und das ist ein Grund, warum der amerikanische Soldatentypus so modern, so erfolgreich ist.

Krieg bleibt Krieg. Aber seine Entmythologisierung – daß man ihn, wenn man ihn führen muß, ohne ideologische Überhöhung führen kann, ohne kultische Momente, ohne Feier des Sterbens – sie ist nicht gering zu achten. Und möglicherweise tragen zu ihr manchmal Kriegsfilme bei.