Warten auf den neuen Mann

„Neue Männer braucht das Land“ hieß vor Jahren ein Hit. Eine aktuelle Männerstudie behauptet: Vor allem im Westen herrscht an ihnen noch immer großer Mangel. Im Osten gibt es schon ein paar mehr von ihnen. Umdenken lohnt sich, denn der neue Mann ist zufriedener mit Leben und Liebe als der unbeirrte Macho. Eine Bilanz  ■ Von Ute Scheub

Frauen, auf nach Ostdeutschland, auf zu den Besser-Ossis! Wenn man der neuen, jetzt in Buchform erschienenen Studie „Männer im Aufbruch“ Glauben schenken darf, gibt es in Westdeutschland einen akuten Mangel an adäquaten Partnern für modern denkende Heterodamen. Bei den Ostmännern, so die Studienautoren Paul M. Zulehner und Rainer Volz, zählten 32 Prozent zu den „neuen Männern“, die zur verstärkten Übernahme von Erziehungs- und Haushaltsarbeiten bereit sind und der Frauenemanzipation positiv gegenüberstehen. In der Westpopulation hingegen seien die „neuen Männer“ nur zu 22 Prozent vertreten.

Der gravierende Mangel an emanzipatorischem Männerpotential in Deutschland wird noch deutlicher, wenn man hinzurechnet, daß laut Studie 49 Prozent der Frauen ein neues Frauenbild haben, aber nur 28 Prozent der Männer ein neues Männerbild. Wenn das stimmt, dann ist rein statistisch fast jede dritte der „neuen Frauen“ gezwungen, entweder allein zu bleiben oder sich mit jemandem zusammenzutun, der aus ihrer Sicht ein ewiggestriger Depp ist.

Die repräsentative Untersuchung wurde von der „Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland“ und der „Gemeinschaft der Katholischen Männer“ in Auftrag gegeben und vom Bundesfamilienministerium mitfinanziert. Der umfangreiche Fragebogen, den 1.200 Männer und achthundert Frauen im Frühjahr 1998 dafür ausgefüllt hatten, ist im Buch jedoch nicht abgedruckt worden – nicht gerade ein Zeichen wissenschaftlicher Professionalität. Aber auch manche Kategorienbildung wirkt undurchsichtig und manche Statistik nicht nachvollziehbar. Methodisch wie inhaltlich ist die umfangreiche Studie also mit einer gewissen Vorsicht zu genießen.

In der Untersuchung werden vier Grundtypen des männlichen und weiblichen Rollenverständnisses unterschieden: die „Neuen“, die „Pragmatischen“, die „Unsicheren“ und die „Traditionellen“. Bei den „Pragmatischen“ mischen sich traditionelle und neue Ansichten, die „Unsicheren“ stimmen weder der einen noch der anderen Richtung überzeugt zu. Die „Traditionellen“ vertreten die Ansicht, daß der Mann für das Einkommen und die Frau für das Auskommen – Familienleben, Haushalt und Beziehungsarbeit – zuständig sei. Nach diesen Kategorien aufgespießt, zählen neunzehn Prozent der Männer und fünfzehn Prozent der Frauen zu den „Traditionellen“, zwanzig Prozent der Männer und dreißig Prozent der Frauen zu den „Neuen“. Der Rest verteilt sich dazwischen. Warum 32 Prozent Neu-Ossis und 22 Prozent Neu-Wessis insgesamt zwanzig Prozent neue Männer ergeben, bleibt allerdings das Geheimnis der Autoren.

Widmen wir uns also lieber den Trends, die die Männerforscher ausgemacht haben wollen. Bei den über 70jährigen stellten die „traditionellen“ Männer fast die Hälfte, schreiben sie, bei den 30jährigen aber nur noch zehn Prozent. Bei den noch Jüngeren zählten ebenfalls fast die Hälfte zu den Unsicheren. Der Anteil der Traditionellen, heißt es, nehme jedoch mit zwölf Prozent wieder leicht zu. Diese Entwicklung sei abgeschwächt auch bei den jungen Frauen zu beobachten, was die Autoren ins Grübeln kommen läßt: „Es könnte schließlich auch sein, daß das Pendel nur hin und her geht und daß morgen eine kommende Generation sich wieder nach den traditionellen Rollenbildern sehnt. Bei den Frauen scheint es eine solche Rückentwicklung gerade in jenen Ländern ansatzhaft zu geben, in denen die Frauenentwicklung am weitesten vorangeschritten ist, wie etwa in den nordischen Ländern Europas.“

Glaubt man der Untersuchung, dann bringt der „Rückwärtstrend“ für die Betreffenden jedoch nicht mehr, sondern ganz im Gegenteil weniger Lebensglück. Die „neuen Männer“ seien zu 42 Prozent mit ihrem Leben zufrieden, die „traditionellen“ nur zu dreißig Prozent, haben die Forscher herausgefunden. 44 Prozent der „neuen Frauen“ sehen sich mit ihrem Leben im Einklang, aber nur 26 Prozent der „traditionellen Frauen“. Daß es ziemlich fad ist, nur für den Beruf draußen zu leben oder nur im Haushalt drinnen züchtig zu walten, das scheint sich inzwischen doch etwas weiter herumgesprochen zu haben.

Die „Traditionellen“ sind laut Studie nicht nur unglücklicher, sondern auch egozentrischer als die „Neuen“. Sie reagierten auf die Bevorzugung weiblicher Kollegen wesentlich empfindlicher und seien bei Arbeitsknappheit schneller für die Entlassung von Frauen zu haben, stellen die Autoren fest. Außerdem stünden sie zusammen mit den „Pragmatischen“ ziemlich weit rechts auf der politischen Skala, die „Neuen“ hingegen genausoweit links.

Um herauszufinden, was die Tiefenwirkung der Geschlechterrollen ausmacht, stellten die Forscher eine Reihe persönlicher Fragen. Die „Traditionellen“, so das Ergebnis, hätten weniger Sex als die anderen Männer und seien mit ihrem Sexualleben auch unzufriedener. Sie neigten mehr zu Gewalttaten, seien weniger fähig, über ihre Probleme zu sprechen, Gefühle zu äußern und insgesamt ihre „Innenwelt zu bewohnen“. Latente oder manifeste Homophobie sei bei ihnen besonders stark: Nur sechzehn Prozent der „Traditionellen“ akzeptierten offene Homosexualität. Bei den „neuen Männern“ seien das hingegen zwei Drittel, bei den „neuen Frauen“ drei Viertel.

Traditionelle“ Männer, so ein weiteres Ergebnis der Studie, hätten im Vergleich zu den anderen eine unglücklichere Kindheit verbracht und weniger Zeit und weniger Körperkontakt mit ihrem Vater erlebt. Indes seien bei allen Befragten vor allem die Mütter präsent gewesen: „Der Wert erreicht bei den neuen Männern mit neunzig Prozent den Höhepunkt. Anders die Väter. Bei den traditionellen Männern haben nur 45 Prozent eine starke Vaterpräsenz erlebt. Bei den neuen Männern hingegen sind es zwei Drittel (67 Prozent).“

Im Grobsprech: Wer als Vater einen reaktionären Sohn heranzüchten will, kann es sich leicht machen. Er muß sich nur rar machen, und Sohnemann wird immerfort dem unsichtbaren Ideal hinterherstreben – egal wie widerlich der Papa in Wirklichkeit ist. Augusto Pinochets Sohn oder George Bush junior sind lebendige Illustratoren dieser These: Sie sehen es als ihr Lebenswerk, das Lebenswerk ihrer Väter zu verteidigen, und wenn sie dieses Geschäft nur gründlich genug betreiben, werden ihre Söhne die Dynastie des Schreckens, das Lebenswerk des Lebenswerks des Lebenswerks, womöglich weiter fortsetzen.

Aber auch die „neuen“ Männer scheinen bei Licht betrachtet so neu denn doch nicht zu sein. Sie spielen laut Studie zwar wesentlich mehr mit ihren Kindern als die „traditionellen“ Männer, sie gehen mit ihnen öfter spazieren oder bringen sie zu Bett. Sie zu waschen, anzuziehen, sie bei Krankheit zu pflegen oder mit ihnen Hausaufgaben zu machen, das überlassen aber auch sie mehrheitlich ihren Frauen. Ähnlich sieht es bei der Aufteilung der Hausarbeit aus. Bügeln, waschen, kochen, putzen und abwaschen sei weitgehend Weiberarbeit geblieben, Auto waschen oder Haushaltsreparaturen Männerarbeit, so die Autoren. Weniger als ein Drittel aller Paare teile sich die Arbeit zu gleichen Teilen. Umgekehrt müßten 69 Prozent aller Frauen die Hausarbeit ganz allein erledigen.

Das Durcheinander von alten und neuen Werten zeigt sich auch an der seltsamen Hitliste der Eigenschaften, die Eltern ihren Kindern mitgeben wollen. An oberster Stelle der Erziehungsziele steht „Verantwortungsgefühl“ (72 Prozent Zustimmung aller Befragten), gefolgt von „guten Manieren“ (69 Prozent), „Fleiß“ (64), „Durchsetzungsfähigkeit“ (63) und „Achtung, Toleranz“ (57). „Gehorsam“ wenigstens landet abgeschlagen bei 22 Prozent. „Traditionelle“ Männer haben dieselben Prioritäten, „neue“ Männer hingegen wünschen sich neben „Verantwortungsgefühl“, „Toleranz“ und „Durchsetzungsfähigkeit“ auch „Weltoffenheit“.

Durcheinander sind die Männer offenbar auch bei ihren Vorstellungen von einer „Traumfrau“. Ergebnis: „Der Traumfrau kommen im Bevölkerungsschnitt folgende Eigenschaften zu: Sie ist gefühlswarm, hält zum Mann, ist intelligent, attraktiv und häuslich.“ Also ein herzenswarmes Heimchen am Herd, aber bloß nicht dumm. Kurz: die eierlegende Wollmilchsau.

Bei den „Traditionellen“ rangiert die Häuslichkeit höher, bei den „Neuen“ Intelligenz, Selbständigkeit, Durchsetzungsvermögen und Erwerbstätigkeit. „Zum Leistungspaket ,gefühlvoll' kommt nun das Leistungspaket ,autonom' hinzu. Die Frau muß nach Auffassung der neuen Männer mehr ,leisten', mehr ,sein' als früher“, schreiben die Autoren. Bösartig formuliert: Die Frauen sollen schon wieder doppelt so gut sein wie die Männer. Emotionaler, weicher, solidarischer, aber genauso unabhängig und gutverdienend – wehe, wenn sie ihren „neuen Männern“ auf der Tasche oder auf der Seele liegen. Kein Wunder, daß so viele Frauen in der Psychiatrie landen.

Literatur: Paul M. Zulehner, Rainer Volz – Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht. Schwabenverlag, 336 Seiten, 48 Mark

Ute Scheub, 43, lebt als freie Journalistin in Berlin. Sie ist Gründungsmitglied der taz und hat lange Jahre als Redakteurin bei der taz gearbeitet