Kompendium des gesammelten Schwachsinns

■ Quer zu denken ist nicht schwer, quer zu trinken schon viel mehr: Martin Hecht hat eine sehr verdienstvolle ethnologische Studie über die Konjunktur der deutschen Querdenker vorgelegt

Daß „Querdenker“ eine Auszeichnung ist, die sich Leute immer wieder gern gegenseitig anheften, die sich für ketzerisch und kreativ halten, war in den letzten Jahren nicht zu übersehen. Wie steil die Karriere des „Querdenkers“ tatsächlich verlief, darüber war man bisher auf Vermutungen angewiesen.

Der Freiburger Autor Martin Hecht hat sich der undankbaren Aufgabe unterzogen, in einer ethnologischen Studie herauszufinden, welche Bedeutung dem Querdenker in der Bundesrepublik heute zukommt und wie weit er inzwischen in den – der Querdenker würde sagen – „gesellschaftlichen Diskurs“ eingesickert ist. Hecht hat eine vergnügliche und sehr aufschlußreiche kleine Schrift verfaßt, in der er zu dem Ergebnis kommt, daß man heute den erst mal finden muß, der nicht der Spezies der Querdenker zuzurechnen ist, der nicht dieser kompakten Riege von engagierten und fortschrittlichen Menschen angehört, die energisch und laut den Reformstau beklagen. Da aber niemand behauptet hat, den Reformstau richtig gut zu finden, sieht es so aus, als lebten wir in einer Gesellschaft der Querdenker.

Die Beweislage für diesen Befund ist erdrückend. Jürgen Fliege beispielsweise versteht sich als einer, „der mit dem Volk tanzt“, und zwar „aus der Reihe“. Peter Hahne: ein „echter Kreuz- und Querdenker“. Hildegard Hamm- Brücher: eine „unbequeme Einzelkämpferin“. Konstantin Wecker, ein „lauter Ankläger“ und „Mißstände anprangernder Nonkonformist“, ein „Herdplattenanfasser“, der selbst als Kokser noch „Ketzerbriefe eines Süchtigen“ verfaßt. Margarete Schreinemakers, eine „Querulantin“, die sich selbst eine „Partisanenmentalität“ bescheinigt. Überhaupt ist das Fernsehen das ideale Medium für den Querdenker und die Talkshow die Bühne, auf der er seinen „authentischen Ausdruck“ findet. Gertrud Höhler, Luise Rinser, Vera Lengsfeld, Heiner Geißler, Inge Meysel, Gerhard Zwerenz, Rita Süssmuth, Heribert Prantl, Franz Alt, Roman Herzog, Gerhard Mayer-Vorfelder, sie alle sind „Querdenker“, und zwar „unbequeme Querdenker“, „Feuerköpfe des Kreativen“, „ungeduldige Fragesteller“, „schöpferische Unruhestifter“, die „gegen die herrschenden Systeme“ „andenken“ beziehungsweise quer zu ihnen „divergentes Denken“ leisten, und das in Schwerstarbeit. Nach soviel Querdenkerei könnte man glatt zum „Quertrinker“ (Wiglaf Droste) werden.

Martin Hecht hat Berge von sprachlichem Verlautbarungsmüll gesichtet und breitet seine Funde nun genüßlich vor uns aus. Sie machen deutlich, daß der Querdenker quer zu allen Schichten und Ideologien liegt. Im alternativen Milieu ist er ebenso zu finden wie in Kreisen der Regierungspolitik, im Showbusineß und im Journalistengewerbe ebenso wie in der Wirtschaft. So möchte der ehemalige VW-Topmanager Daniel Goeudevert nicht einfach bloß ein schlichter Manager sein, sondern einer, der sich von den Kollegen abhebt, weshalb er sein 1990 erschienenes Buch „Die Zukunft ruft“ „allen Querdenkern dieser Welt“ widmete und sechs Jahre später in seinen „Memoiren eines Querdenkers“ sich selbst als solchen outet. Ein wertvolles Fundstück Martin Hechts ist auch das Werbeplakat der Bayerischen Hypobank, auf dem drei forsch dreinblickende Banker als „Die Querdenker“ abgebildet sind und dem Kunden direkt ins Gewissen seiner Geldanlage schauen. Wunderbar auch das „Querdenker“-Spiel, das unter dem Motto „Denkst Du quer – bist Du wer“ auf den Markt gebracht wurde, ein „cleveres Ratespiel“ für Leute ab 12, „die um die Ecke denken können“.

Martin Hecht hat unter diesem Vokabular des Querdenkers die wesentliche Typologie des Querdenkers freigeschaufelt, daß nämlich die neue Affirmation mit kritischer Attitüde sich präsentiert, daß der „neue Utilitarismus“ als Nonkonformismus auftritt, und daß es für die Karriere sehr nützlich ist, sich „unkonventionell“ zu geben. Daß „Querdenker de luxe“ wie Günter Ogger und Matthias Horx bei ihm als Kritiker des Querdenker-Typen durchgehen, sind kleine Wermutstropfen in der Lektüre. Doch wer nicht glauben will, daß kritisches Bewußtsein sich verflüchtigt hat, der muß sich nach diesem Kompendium des gesammelten Schwachsinns von seinen Illusionen gründlich verabschieden. Klaus Bittermann

Martin Hecht: „Unbequem ist stets genehm. Die Konjunktur der Querdenker“. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 144 S., 22 DM