„Platte Füße von den kleinen Schritten“

Frauenpolitischer Ratschlag der bündnisgrünen Partei: Im Zentrum stand der Umbau der Arbeitsgesellschaft und der sozialen Sicherungssysteme. Grundsicherung oder größtmögliche weibliche Erwerbsarbeit?  ■ Aus Berlin Ute Scheub

„Visionen“ wünschte sich Gisela Notz. „Ich hab' längst platte Füße von den vielen kleinen Schritten“, die in der Realpolitik nötig seien, bekannte die Sozialwissenschaftlerin, die als Gastvortragende auf dem Podium des Frauenpolitischen Programm-Ratschlages der Bündnisgrünen saß.

Doch die Visionen, die die bündnisgrünen Frauen an diesem Wochenende in Berlin im Hinblick auf die kommenden Bundestagswahlen zu entwerfen versuchten, klangen eher verhalten. Das liegt sicherlich weniger an den Politikerinnen als an den Zeiten und am Thema. Frauenpolitik kreist heutzutage vor allem um die Krise der Erwerbsarbeit und der sozialen Sicherungssysteme. Da beides mindestens seit Bismarcks Zeiten auf Männer zugeschnitten ist und sich Frauen mit der Rolle der Zuverdienerin begnügen (müssen), stellen sich in Zeiten der Massenerwerbslosigkeit viele Fragen verschärft: Wie bringt man männliche Inhaber von Vollzeit-Arbeitsplätzen dazu, die Erwerbsarbeit mit den Frauen gerecht zu teilen? Ist es angesichts der vor allem von weiblicher Hand erledigten Haus-, Erziehungs- und Beziehungsarbeit überhaupt richtig, Erwerbstätigkeit weiterhin zum Maßstab aller Dinge zu machen? Wie erreicht man die von den Bündnisgrünen angestrebte „eigenständige Existenzsicherung von Frauen“? Sollen möglichst alle Frauen erwerbsarbeiten oder soll nicht vielmehr der Staat für eine Grundsicherung für alle sorgen?

In freundlicher Atmosphäre, vor Sonnenblumenkränzchen und bunten Plakaten, wurde dieser Widerspruch ausgelotet. Sozialwissenschaftlerin Notz erinnerte daran, daß „73 Prozent der Frauen nicht von der eigenen Arbeit leben können und weniger als 1.800 Mark netto im Monat haben“. Dazu gehöre auch die Hälfte der selbständigen Existenzgründerinnen. Die durch eigene Ansprüche erworbene Durchschnittsrente für Seniorinnen betrage heute gerade mal 793 Mark.

Deshalb sei sie persönlich sehr für die Einführung einer Mindestrente, jedoch gegen das Konzept der Grundsicherung: Die Frauen müßten Unabhängigkeit nicht nur von ihren Männern erreichen, sondern auch von staatlichen Transferleistungen. „Die Grundsicherung birgt die Gefahr, daß sie Langzeiterwerbslose oder Langzeithausfrauen werden.“ Die Ex- Europaabgeordnete Birgit Daiber meldete Widerspruch an: „Wir brauchen eine Grundsicherung, um von dem diskriminierenden Sozialhilfegesetz wegzukommen.“ Die Diskriminierung ergebe sich über den Ausschluß von der alles definierenden Erwerbsarbeit, „und wir müssen aufpassen, daß wir das nicht noch verstärken“. Rita Grießhaber von der Bundestagsfraktion ergänzte in anderer Richtung: „Viele alleinerziehende Frauen sagen, ich will lieber vom Staat abhängig sein als vom Vater meines Kindes.“ Im übrigen sei sie optimistisch, daß eine mögliche rot-grüne Bundesregierung das Thema Grundsicherung oder Mindestrente angehe. Allerdings: „Wir haben immer noch keine Aufbruchstimmung im Land.“

Für Gastrednerin Mechtild Jansen war dieser mangelnde Schwung einem zentralen Fehler in der bündnisgrünen Programmatik geschuldet: „Die Frauenfrage gilt in allen Bereichen als Sonderfrage.“ Der Sonder- oder auch Opferstatus marginalisiere die von den Feministinnen aufgeworfenen Fragestellungen, obwohl diese in Wirklichkeit Schlüsselfragen für die Zukunft der Arbeit seien. Frauen bewegten „an der Spitze des sozialen Wandels“ und würden doch weiterhin als „Behandlungsobjekte“ gesehen.

Heike Opitz vom grünalternativen Jugendverband brachte auf andere Weise Schwung in die Debatte. Die jüngste Debatte um das „Start 21“-Manifest sei eine „reine Männerdiskussion“ gewesen: „wenig Inhalt, viele Schlagzeilen“. Für sie seien andere Dinge wichtig, zum Beispiel nach wie vor die Quote. „Wenn du nicht über die Quote hochkommst, hast du dich hochgebumst“, konstatierte sie nüchtern. „Unsere Männer sind kein Stück besser.“