Grasfresser im Glück

■ DFB-Pokal-Geschichte wiederholt sich nicht immer: Greuther Fürth spielt gut und verliert doch 2:4 gegen Dortmund

Nürnberg (taz) – „Nein, ich hatte nur eine Fliege auf der Stirn.“ Nevio Scala, Dortmunds Trainer, wollte sein vehementes Kopfschütteln nicht als Widerspruch zu seinem Kollegen Armin Veh gedeutet haben wollen. Der Coach der SpVgg Greuther Fürth hatte sich gerade darüber beschwert, daß Schiedsrichter Bernd Heynemann Dortmunds Jürgen Kohler nicht schon nach 32 Minuten vorzeitig unter die Dusche geschickt hatte.

Der Fußballer des Jahres hatte vor dem Spiel seinen nach der 1:2- Niederlage gegen Werder Bremen verunsicherten Mannen eingebleut, jetzt sei „Grasfressen angesagt“. Die Wirkung von Gras ist landläufig bekannt. Über normales Sportrasengrün wußte man aber bislang nichts. Das ist jetzt anders. Bei Kohler zeigte sich nicht nur eine aufputschende Wirkung. Er grätschte wie in alten Zeiten und sah bereits nach 19 Minuten Gelb. Dann, in jener besagten 32. Minute, schnellte während eines Laufduells urplötzlich der Arm nach oben, und der Ball hatte hernach eine für den Fürther Stürmer Alexander Dürr sehr nachteilige Richtung. Seine Reaktion („Was? Hand soll ich gespielt haben?“) deutet aber auch auf Wahrnehmungstrübungen hin, die ansteckend sein müssen. So konnte sich Schiedsrichter Heynemann nicht mal daran erinnern, ein Handspiel gesehen zu haben. Warum er trotzdem auf Freistoß entschieden hatte, blieb sein Geheimnis.

Für den Fürther Trainer Armin Veh war dieser „Bonus für die Großen“ die „Schlüsselszene des Spiels“. Scala wollte sich in solcherlei Diskussionen nicht einmischen: „Ich sage nie etwas über den Schiedsrichter, denn der hat einen schwierigen Job.“

Den hat Scala auch. In der Bundesliga ist der Champions-League- Sieger völlig von der Rolle, das Pokalspiel gegen Greuther Fürth, den Aufsteiger in die zweite Liga, sollte da zur Rehabilitierung dienen. Scala ignorierte den Widerwillen der Langzeitverletzten Möller, Sammer und Reuter und beorderte die Rekonvaleszenten auf den Platz, schließlich sollte ein Sieg gegen den Zweitligisten die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft in der ersten Liga stellen.

„Wir haben erst nach zehn Minuten begonnen, Fußball zu spielen“, kritisierte Scala nach dem Schlußpfiff. Daß Dortmund aber schon in der 53. Minute wieder damit aufgehört hatte, verschwieg er.

Zunächst segelte nach nur 90 Sekunden ein Freistoß an drei Dortmundern vorbei direkt auf den Kopf des Fürther Abwehrspielers Dieter Probst und von dort an dem hechtenden Klos vorbei ins Tor. 1:0 für Greuther Fürth. Erinnerungen an den 4. August 1990 wurden wach. Damals hatten die fünftklassigen Fürther gegen die Bundesligatruppe aus Dortmund im DFB-Pokal mit 3:1 gewonnen.

Auch jetzt setzten die Fürther nach. Nicht nur Stefan Reuter wurde des öfteren getunnelt. Angesichts des Kombinationswirbels der Fürther mußte man ein ums andere Mal gehörige Angst um Martin Krees Orientierungssinn haben. In zwei, drei Zügen war der Abwehrriegel der Borussen gesprengt. Markus Lotter, Jochen Weigl und Alexander Dürr degradierten Sammer, Sousa, Möller und Kohler zu Slalomstangen. Doch Klos blieb stets Endstation und Kohler im Spiel. Ganz im Gegensatz zu Kree, der schon in der 16. Minute Chapuisat weichen mußte. Mit drei Spitzen wollte Scala die Wende erzwingen.

Das Konzept ging zwar nicht auf, aber Dortmund schoß durch Möller und Sousa zwei Tore. In der 53. Minute zog dann Lars Ricken unhaltbar zum 1:3 ab. Klare Sache also, wenn nicht die Borussia das Fußballspielen eingestellt und sich Feiersinger nicht des Gegners erbarmt hätte. Er stieß den Fürther Mittelfeldmotor Weigl im Strafraum von hinten um. Mit dem 2:3 durch den Elfmeter von Dürr war Fürth wieder im Spiel. Doch Wunder wiederholen sich nicht. In der 90. Minute erzielte Ricken sein zweites Tor.

Bis auf Fürths Trainer Veh („Wir stehen am Ende wieder da wie die Deppen“) waren nach dem Schlußpfiff alle zufrieden. Vor allem die 30.500 Zuschauer im Nürnberger Frankenstadion. Die Fürther Fans freuten sich über die gute Leistung ihrer Mannschaft und die zahlreichen in Gelb-Schwarz gekleideten Anhänger des 1. FC Nürnberg über die Niederlage der verhaßten Fürther. Vielleicht hilft gegen die rote Laterne des Clubs in der 2. Liga auch Grasfressen. Bernd Siegler

Borussia Dortmund: Klos – Sammer (82. Riethmann) – Kohler, Kree (30. Chapuisat) – Reuter, Feiersinger, Möller (90. Lambert), Sousa, Heinrich – Ricken, Herrlich

Zuschauer: 30.500, Tore: 1:0 Probst (2.), 1:1 Möller (40.), 1:2 Sousa (44.), 1:3 Ricken (53.), 2:3 Dürr (68./Foulelfmeter), 2:4 Ricken (90.)

SpVgg Greuther Fürth: Reichhold – Zietsch (46. Tschernischow) – Probst, Eberl – Ernst, Weigl, Lotter (82. Andjelkovic), Anders, Azzouzi – Radoki – Dürr