„Rock 'n' Roll hat mit Lebensintensität zu tun“

■ Die Groben Popen aus Nürnberg sagen ja zu Jesus, aber auch zu Sex und soften Drogen. Das ökumenische Trio liegt deswegen im Clinch mit der evangelischen Kirche

Der singende und Gitarre spielenden Gemeindepfarrer Hartmut Thumser (49) und der bassende Pfarrer im Schuldienst Ernst Cran (40) aus Nürnberg staunten nicht schlecht, als sie von der evangelischen Kirche zum Gespräch nach München zitiert und, so Cran, „eineinhalb Stunden ausgequetscht“ wurden. Grund: Zusammen mit dem trommelnden katholischen Produktmanager Michael Konrad (35) hatten sie unter dem Bandnamen Die Groben Popen eine Platte voller Punkrock aufgenommen. Titel: „Iß Brot, trink Wein“. Themen: das Abendmahl, TV-Prediger, Organspenden, aber auch Sex. Denn es gibt, so wird gesungen, „doch ein Leben vor dem Tod“.

Im Video tritt das ökumenische Trio vor altarähnlicher Szenerie in seinen Talaren auf. Offiziell stößt den Klerikern vor allem diese Zweckentfremdung von Dienstkleidung auf. Die Platte der Band, die sich früher einmal Church Pistols nannte, hat sich inzwischen fast 2.000mal verkauft. Die Londoner „Times“ pries die Popen als „punk priests“, die das „deutsche Establishment rocken“.

taz: Wie stehts denn: Ist inzwischen ein Disziplinarverfahren eingeleitet?

Ernst Cran: Seit Ende Juli haben wir von der Landeskirche in München nichts mehr gehört. Die halten sich bedeckt. Ich deute das als Zeichen der Unsicherheit.

Hattet ihr vorher schon Probleme?

Direkt nicht. Aber seit die CD da ist, kommen schon auch kritische Feedbacks aus der traditionellen Ecke, die sehr evangelikal geprägt ist. Aber es haben uns auch einige angesprochen, und in dem Moment, wo man über die Sache reden kann, gelingt es in der Regel zu vermitteln, was wir uns dabei gedacht haben.

Habt ihr mit eurer Musik auch einen missionarischen Anspruch?

Das kann ich mit gutem Gewissen verneinen. Aber natürlich sind wir Christen, sonst wären mein Amtsbruder Hartmut und ich nicht Pfarrer. Unser Trommler ist ja katholisch, versteht sich auch als Christ, wenn auch weniger als römisch-katholischer, da ist er halt nun mal dabei. Aber unsere Musik, unsere Texte haben in keiner Weise etwas Missionarisches. Wir machen, was andere Musiker auch tun, wir versuchen Lebenserfahrungen in eine Form zu bringen, die man veröffentlichen kann.

Können Rock 'n' Roll und christlicher Glaube eine glückliche Ehe führen?

Da gibt es nur ein klares Ja. Musik und Rock 'n' Roll haben sehr viel mit Lebenslust, Energie und Intensität, auch mit einem gewissen Mut zu tun. Das sind für mich unmittelbar wesentliche Dinge auch bei einem Glauben, den ich mir als lebendigen vorstelle. Ich glaube nicht, daß Jesus jemand war, der Lebensintensität verneint hätte. Ich glaube, der war sehr lebensmutig und lebenswillig. Lebendigkeit und Lebensfreude müssen sich auch ausdrücken, und das ist im Rock 'n' Roll wunderbar möglich.

Sind Christentum und sex and drugs and rock 'n' roll nicht grundsätzlich unvereinbar?

Was ich persönlich für unvereinbar halte, sind Formen von sehr starker Abhängigkeit und Religion. Und Religion sollte auch eine Krücke sein, Menschen aus Abhängigkeiten herauszuholen. Damit meine ich auch Drogenabhängigkeiten. Was anderes ist die Frage von Drogenkonsum. Ein Leben ohne Drogenkonsum, in welcher Weise auch immer, ist einfach illusorisch. Und Sexualität bewerte ich als etwas grundsätzlich Positives.

Aber Sex ohne Trauschein ist eine Sünde.

So eng sehen das manche, aber beileibe nicht alle. Es gibt keine offizielle evangelische Sexualmoral. Da haben wir's Gott sei Dank leichter, oder auch schwieriger, als die Katholiken. Bei denen ist das ja vollkommen geklärt. Natürlich gibt es auch in der protestantischen Welt ganz heiße Eisen wie Homosexualität. Aber eine vorgefertigte Lehrmeinung, eine haarkleine Straßenverkehrsordnung, die gibt es bei uns nicht. Deswegen kann ich mir auch erlauben, solche Sachen zu sagen.

Kannst du dir hierzulande einen ähnlichen Hype um christliche Musik vorstellen, wie es ihn in den USA gibt?

Dort ist das viel verflochtener. Da ist ja schon die Organisation von Kirche und Gottesdiensten viel mediengemäßer. In Deutschland lebt die christliche Szene in einem Ghetto. Und schau dir die Leute an, die sind zum großen Teil auch einfach zu schlecht. Die tummeln sich in diesem Ghetto, weil sie da Chancen haben. Weil sie Strukturen vorfinden, die sie auf irgendwelche Bühnen vor ein dankbares Publikum bringen. Die stellen sich nicht wie in Amerika dem wirklichen Musikwettbewerb. Interview: Thomas Winkler