Spritzenausgabe im Knast noch 1996

■ Weil die Frauenhaftanstalt Lichtenberg erst Ende 1997 fertiggestellt wird, will Justizsenatorin Peschel-Gutzeit einen bundesweit einmaligen Modellversuch zuerst im Männervollzug Plötzensee starten

In der geschlossenen Männerhaftanstalt Plötzensee sollen möglicherweise schon in diesem Jahr Automaten aufgestellt werden, aus denen sich drogenabhängige Gefangene sterile Einwegspritzen ziehen können. Das kündigte Justizsenatorin Lore-Maria Peschel- Gutzeit(SPD) gestern bei einem Redaktionsbesuch in der taz an. Berlin wäre damit das erste Bundesland, das im geschlossenen Männervollzug Spritzen an heroinabhängige Insassen ausgibt.

Bereits vor längerer Zeit hatte Peschel-Gutzeit angekündigt, ein Modellprojekt mit Spritzenautomaten zu starten. Ein solches Vorhaben ist auch Teil der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU. Bislang allerdings sollte ein solches Modellvorhaben in einer geschlossenen Frauenhaftanstalt durchgeführt werden. Dem entgegen steht aber, daß die neue Frauenhaftanstalt Lichtenberg erst Mitte bis Ende nächsten Jahres fertiggestellt sein wird. Im Männerknast Plötzensee könne das Pilotprojekt schneller gestartet werden, sagte Peschel-Gutzeit.

Die Justizsenatorin reagiert damit auf die alarmierende Entwicklung, daß sich immer mehr Junkies im Strafvollzug mit HIV oder Hepatitis infizieren. Bisweilen benutzen bis zu 15 und mehr Insassen ein und dieselbe „Stationspumpe“. Trotzdem schrecken die meisten Bundesländer vor einer Spritzenvergabe zurück, weil die Vollzugsbeamten hartnäckigen Widerstand leisten. Einzig in einer offenen Männer-Vollzugsanstalt in Hamburg und in einer Abteilung der Frauenhaftanstalt Vechta in Niedersachsen wurden bislang Spritzenautomaten installiert.

„Wir brauchen dafür engagierte und motivierte Mitarbeiter auf freiwilligerer Basis“, spielte Peschel-Gutzeit auf den großen Widerstand in der Beamtenschaft an. Die Zurückhaltung sei deshalb so groß, weil männliche Gefangene „wesentlich aggressiver als Frauen sind“, erklärt Peschel-Gutzeit. Bei einer vor längerer Zeit unter den Bediensteten der Frauenhaftanstalt durchgeführten Umfrage hatte sich nur ein Fünftel der Beamtinnen und Beamten für die Aufstellung von Spritzenautomaten ausgesprochen.

Berlins größter Männerknast Tegel mit mehreren hundert drogenabhängigen Gefangenen komme für so einen Versuch nicht in Frage, sagte Peschel-Gutzeit. Klagen von Anstaltsbediensteten über eine chronische Überbelegung einzelner „Teilanstalten“ des Tegler Knastes teilte die Senatorin nicht. Das „Haus 5“ habe beispielsweise 180 Haftplätze und sei zur Zeit mit 192 Insassen belegt. Das sei nicht alarmierend, erklärte Peschel-Gutzeit. Die Senatorin wies auch die Kritik zurück, daß die Überbelegung für viele Insassen bedeute, keinen Arbeitsplatz in der Anstalt zu bekommen. „Wir hätten gern mehr Arbeitsplätze, aber wir können sie uns nicht schnitzen.“ Ein Grund dafür sei, daß Länder wie Tschechien billiger produzierten als die Insassen deutscher Gefängnisse. Die Tegeler Gefangenenzeitschrift Lichtblick meldet in ihrer neuesten Ausgabe, von mehr als 1.500 Insassen habe „nicht einmal die Hälfte“ einen Arbeitsplatz. Plutonia Plarre