„Einfach wegwischen geht nicht“

Anna Mösel, Putzfrau im Nürnberger KOMM, schrubbt 4.000 Quadratmeter und hat ein Herz für das Zentrum, das die CSU am liebsten schließen würde  ■ Von Bernd Siegler

„Dreckloch, wer sagt das?“ Anna Mösel richtet sich auf und stemmt die Hände in die Hüften. 145 Zentimeter ist sie groß – und keinen weniger. Vergessen sind für einen Moment der fahrbare Putzeimer mit dem Schild „Vorsicht, nasser Boden“, die Überreste einer Bierflasche auf dem Boden, der trostlose Anblick eines zermatschten Hamburgers, die Zigarettenkippen und das Knäuel, das einmal Klopapier war.

„Dreckloch“, das sagt Nürnbergs neugewählter Oberbürgermeister, der CSU-Mann Ludwig Scholz. Scholz sagt auch „Schandfleck“ und „Drogenhölle“, wenn er vom KOMM („Kommunikationszentrum“), dem selbstverwalteten Jugendzentrum am Hauptbahnhof, spricht. Und er tat dies besonders oft im Kommunalwahlkampf.

Der 64jährigen Anna Mösel gehen solche Sprüche an die Ehre. Gerade wenn sie aus dem Mund des Oberbürgermeisters kommen. Mit der Putzfrau Anna Mösel hat der Oberbürgermeister nie geredet. Im Alleingang hält sie die rund 4.000 Quadratmeter KOMM sauber. 22 Jahre putzt sie jetzt hier, und zwar so, daß hernach der Natursteinboden glänzt und die Toiletten so aussehen, als sei nie etwas gewesen. Anna Mösel besinnt sich auf ihren Putzeimer, wäscht den Feudel aus und schwingt ihn weiter über den Boden.

Der 10. April 1974 war ihr erster Tag im KOMM. Sie suchte damals einen Arbeitsplatz in Bahnhofsnähe und vor allem in Teilzeit. Allein mit vier Kindern konnte sie nicht den ganzen Tag arbeiten. Im KOMM, wo gerade der Probelauf des im Juli 1973 vom damaligen Kulturreferenten Hermann Glaser und einigen KunstpädagogInnen begonnenen „soziokulturellen Experiments“ in den Dauerbetrieb überging, brauchte man eine Putzkraft für drei Stunden am Tag.

„Das war ideal für mich“, erinnert sich Anna Mösel. Sie erzählt, während sie sich mit dem Feudel Meter für Meter den 120 Meter langen Gang voranarbeitet, von dem das Sekretariat, die Bibliothek, Cafeteria, Kneipe und andere Veranstaltungsräume abzweigen. Mit drei Stunden täglich fing sie an, es wurde ein Vollzeitjob daraus – und mehr.

Wenn Anna Mösel saubermachen mußte, kamen ihre Kinder zu ihr ins KOMM, sie hat sich auf der Empore des Festsaals Konzerte angehört, zu denen die Operettenliebhaberin wohl sonst nie gegangen wäre, und sie hat „viele junge Leute kennengelernt“. „Das hält einen jung und geistig fit“, meint sie mit verschmitztem Grinsen. Ihre 37jährige Tochter Sonja ist stolz: „Mutti ist eine Institution im KOMM. Sie hat dort ihre Lebensaufgabe gefunden.“

Natürlich entgeht Anna Mösel nicht, wenn sich die Fahrgäste in der S-Bahn Schauergeschichten über die Zustände im KOMM erzählen. Natürlich muß sie sich immer wieder von Bekannten und Verwandten fragen lassen, warum sie sich keine andere Stelle sucht. „Die Leute sollten sich erst mal im KOMM umsehen“, entgegnet sie. Und selbst ihr ältester Sohn Gerhard, der in München lebt, meint sie gelegentlich warnen zu müssen: „Mama, die werden dich dort schon noch verhaften.“

Der Gerhard wohne eben weit weg, sagt Anna Mösel. Und er war schon 24, als sie mit dem Putzen im KOMM anfing. Ihre anderen drei Kinder wuchsen quasi im KOMM auf. „Wir fühlten uns dort wie zu Hause“, bestätigt Sonja. Der lange, glatte Gang war ihre Rollschuhbahn, im verwilderten Garten im Hinterhof konnten die Geschwister ungestört auf Entdeckungsreise gehen. Das ist lange her. Die Arbeit ist dieselbe geblieben.

„Nach großen Festen ist das hier die reine Knochenarbeit“, sagt Anna Mösel. Und wenn dann die Toiletten mal wieder völlig zugeschissen waren und der Müll auf dem Hauptgang ihr schon beim Aufsperren der Tür entgegenquoll, sagte sich die KOMM-Putzfrau schon manchmal: „Das mache ich nicht weg.“ Aber ihr Streik dauerte meist nur so lange, bis der erste Schock überwunden war und ihr Stolz die Oberhand gewann. Dann machte sie sich an die Arbeit. Täglich stehen der Offene- Tür-Bereich und in größeren Abständen alle 90 Räume des Zentrums auf dem Programm.

Theoretisieren über Selbstverwaltung und Kultur von unten ist nicht Anna Mösels Sache. Aber sie weiß, daß die von der CSU so heftig attackierte Selbstverwaltung das Herzstück des KOMMs ist und auch ihre Arbeit betrifft: Keiner redet ihr hinein. „Und niemand von den Mitarbeitern und auch von den Besuchern schaut auf mich herab, weil ich Putzfrau bin.“ Im Gegenteil: „Ich bin die erste Frau im Haus“, meint sie selbstbewußt. Nicht nur, weil sie als erste morgens das Haus aufsperrt und dann für Handwerker, Lieferanten und andere da ist. „Wo kocht denn die Sekretärin einer Putzfrau den Kaffee?“ fragt sie lachend: „Im KOMM natürlich.“

Es sind die kleinen Dinge, die man „nur im KOMM erleben“ kann, die Anna Mösels Verbundenheit mit dem Haus ausmachen. Einmal, sie hatte gerade ihren Dienst begonnen, klingelte es. Vor der Tür stand ein junger Mann, der noch zwei Stunden auf seinen Zug warten mußte. „Hast du einen Apfel für mich, dann helfe ich dir, das Haus zu putzen“, bot er an. Anna Mösel gab ihm einen Apfel, und der Mann putzte ihr die Treppe.

„Die jungen Leute sind in Ordnung, ich bin noch nie angepöbelt worden“, sagt Anna Mösel über die Jugendlichen, die in Teilen der Öffentlichkeit als Chaoten und Kiffer verschrieen sind. Meistens nimmt sie sie in Schutz, sie hat eben andere Erfahrungen. Das Zentrum hatte immer wieder Schwierigkeiten mit Dealern, Anna Mösel nicht: „Ich bin ja abends nicht da.“ „Heroindealer, verpißt euch“ steht in großer Schrift auf den Toilettentüren.

Ihr schlimmstes Erlebnis mit dem KOMM war der 5. März 1981, obwohl sie damals gar nicht im Haus war. Sie lag mit einer schweren Grippe im Bett, als der Nachrichtensprecher im Fernsehen die Massenverhaftungen meldete. Damals hatte die Polizei nach einer Hausbesetzerdemonstration das KOMM umstellt und nahm Stunden später 141 Personen fest. Die Putzfrau zu Hause dachte an ihre KollegInnen: „O Gott, die sind ja auch dabei!“ Als dann aber 20.000 Menschen mit dem Kulturreferenten an der Spitze gegen die Polizeiwillkür auf die Straße gingen, blieb Anna Mösel daheim, obwohl sie längst wieder gesund war: „Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern geht man nicht auf eine Demonstration, da hat man doch Verantwortung.“

Aber wenn heute das KOMM geschlossen werden sollte, dann würde sie auf die Straße gehen. Die Kinder sind groß. Derzeit entdeckt gerade ihr Enkel Stefan das verrufene Jugendzentrum: die dritte Generation der Mösels im KOMM. Der 17jährige hilft seiner Oma, aber nicht beim Putzen. Denn Anna Mösel engagiert sich in ihrer Freizeit bei den „Jungen Alten“ im KOMM. Im „Hinterzimmer“ betreibt eine der Alten-Gruppen einen Bewirtungsbetrieb. Mit Gleichgesinnten kocht Anna Mösel zu günstigen Preisen Mahlzeiten für die BesucherInnen und die MitarbeiterInnen der vielen Gruppen aus dem Haus.

Schreiner-, Glas-, Keramik-, Maler-, Schmiede-, Siebdruck- und Steinwerkstatt, sie alle werden von den KritikerInnen des KOMMs gerne übersehen. Diese reduzieren das Haus auf Antifa-Gruppierungen, Autonome und AntiimperialistInnen. Die reduzieren ihrerseits auch gerne das KOMM auf sich. „Wir sind das KOMM“, behauptete jüngst in eitler Selbstüberschätzung ein Mitglied des Info- Büros zur Unterstützung politischer Gefangener auf einer Pressekonferenz.

Mit solch internen Querelen will Anna Mösel nichts zu tun haben. Ihr ist es wichtig, daß „ihre Kneipe“ dank Selbstverwaltung tadellos funktioniert – und das Essen schmeckt. „Bei dir gibt's Gott sei Dank keine Körner“, bekommt sie oft zu hören. Heute abend gibt es Semmelknödel mit Champignonsoße, Apfelküchlein mit Zimt, Schinkennudeln, Leberkäse mit Kartoffelsalat und einen Bohneneintopf. Die Köchin hat den Putzkittel mit der blauen Küchenschürze getauscht. Dutzende von Semmeln schneidet sie feinblättrig, so schnell, daß man richtig Angst um ihre Finger haben könnte. Sie liegt gut in der Zeit, um 18 Uhr muß das Essen fertig sein.

Und dann ist alles umsonst gewesen, und niemand hat ihr rechtzeitig Bescheid gesagt! Man hat sich im KOMM entschlossen, das Haus für diesen Abend zuzusperren: Eine geplante Veranstaltung zum 20. Jahrestag des Todes von Ulrike Meinhof unter dem Motto „Glaubt den Lügen der Mörder nicht!“ hatte innerhalb der Stadtverwaltung für Aufregung gesorgt. Der Beschluß der KOMM-MitarbeiterInnen fiel aus Angst, mal wieder Negativschlagzeilen zu machen und damit das ganze Haus in seiner Existenz zu gefährden.

Pech für Anna Mösel. Sie bleibt auf ihrem Essen sitzen. Auch das ist Selbstverwaltung. Zunächst ist sie „schockiert“, sauer, dann fängt sie sich wieder. Sie weiß es ja: „Hier muß man auf alles gefaßt sein.“

Ein Leben ohne KOMM kann sie sich noch nicht vorstellen. Zwar geht sie jetzt in den Ruhestand und erfüllt sich erst mal ihren großen Traum: Zur Tochter nach Amerika wird sie fahren, für vier Wochen. Aber danach „putze ich noch zwei Stunden pro Tag, das brauche ich für die Rente. Und ich mache bei den Jungen Alten weiter.“

Daß andere das KOMM schließen, das glaubt sie nicht. „Die CSU kann knapp 23 Jahre auch nicht so einfach wegwischen.“ „Wegwischen“, das ist ganz die Putzfrau. Und die Köchin? „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, sagt Anna Mösel.