Claus Volkmann war Ghetto-Chef von Kolomea – mitverantwortlich für den Tod von 30.000 Juden. Er bestreitet dies. Doch Isaak Krauthammer, ein Überlebender, erinnert sich gut an seinen damaligen Verfolger. Claus Volkmann heißt heute Peter Grubbe und ist Buchautor. Aus Wien Philipp Maußhardt

„Ich will das nicht vergessen“

1941 standen sie sich in einer Provinzstadt im Osten Polens gegenüber. Der eine auf der Sieger-, der andere auf der Verliererseite. Der eine mächtig, der andere machtlos. Der eine Nazi, der andere Jude: Claus Peter Volkmann, Kreishauptmann von Kolomea, und Isaak Krauthammer.

Nach dem Krieg machte Volkmann in der Bundesrepublik Karriere. Unter dem Namen Peter Grubbe schrieb er als linksliberaler Buchautor und Journalist bei der Welt, beim Stern und bei der Zeit (die taz berichtete am 29. 9.). Krauthammer, einziger Überlebender seiner Familie, baute sich in Wien ein neues Leben als Juwelenhändler auf. 43 Jahre, ein halbes Menschenleben, danach holt sie die Vergangenheit nun wieder ein. Krauthammer las in der taz, daß sein Verfolger von damals lebt. Wenn er dessen Namen hört, zittert er noch immer.

„Mein Vater hatte ein gutgehendes Kolonialwarengeschäft in Kolomea. Wir waren drei Geschwister, Clara, Paula und ich. Uns ging es gut, elf Häuser besaßen wir in der Stadt. Doch 1939, als die Russen in Kolomea einmarschierten, hat man uns aus dem Haus geworfen, und meinen Vater haben sie nach Lemberg ins Gefängnis gesteckt. Dort ist er 1941 gestorben.“

Kurz darauf, so Krauthammer weiter, seien dann die Deutschen nach Kolomea gekommen. Zuerst das Militär und dann die Zivilverwaltung mit Volkmann.

„Da hingen überall gleich Plakate an den Wänden, unterzeichnet von ihm, daß die Juden ihre Wertsachen abliefern müssen: Gold, Schmuck, Pelze, alles innerhalb weniger Tage unter Androhung der Todesstrafe. Ich kann mich an Volkmann deswegen so gut erinnern, weil sein Name unter den Plakaten stand und weil ich ihn in seiner schönen Uniform oft gesehen habe.

Meine Mutter hatte große Angst. Sie hat ihm alles gebracht: Goldmünzen, sogar die silberne Zuckerdose und das Besteck. Wir waren so blöd und glaubten, wenn man viel abliefert, tun sie einem nichts. Abgeliefert wurde das bei Volkmann persönlich. Da gab es die Frau Groblic aus einer sehr reichen Familie. Die wurde von Volkmann eingesperrt und noch dreißig andere dazu. Sie hätten zuwenig abgeliefert, hat er gesagt. Die anderen Juden sollten sie freikaufen.

Statt dessen wurden sie erschossen. Aber das war noch vor dem Ghetto...“

Am 30. Januar 1942 wurde Clara, die ältere Schwester von Isaak, verhaftet. Die Gestapo hatte Listen aufgestellt von jüdischen Akademikern. Clara war Ärztin. Im Gefängnis von Kolomea, nicht weit vom Sitz des Kreishauptmanns, wurden die Gefangenen gesammelt, ehe man sie Tage später in dem vier Kilometer vor der Stadt gelegenen Wäldchen von Szeparowce erschoß. Es war an Isaaks 18. Geburtstag.

„Dann kamen die Plakate, daß wir wegen Seuchengefahr in abgesperrte Wohnviertel ziehen müssen. Volkmann hat das angeordnet. Wir hatten 48 Stunden Zeit für den Umzug. Ich zog mit meiner Mutter und meiner Schwester in einen fensterlosen Raum, der so klein war, daß wir drei gerade darin Platz fanden.

Wir hatten zu essen, weil ich geschachert habe – mit Jerme, Hefe ist das. Ich habe mich als Schlosser verkleidet und die Wachen am Tor bestochen. So konnte ich außerhalb des Ghettos Lebensmittel auftreiben. Was ich im Ghetto gesehen habe? Überall Leichen. Viele sind verhungert. Kinder weinten und bettelten um ein Stück Brot, nein, das kann man sich nicht vorstellen. Von den Deutschen gab es nichts zu essen, nix, nix, nix. Und erschossen haben sie uns wie Ratten. Für nix. Aus Spaß.“

Volkmann verließ Kolomea im August 1942 und ging für ein paar Monate zur Wehrmacht. In einem Lazarett im Sudetenland erholte sich der Kreishauptmann von den Strapazen.

„An einem Sonntag im September 1942 hat man uns zum Sammelplatz im Ghetto von Kolomea abgeführt, mich, meine Mutter, meine Schwester und viele tausend Juden. Am Eingang vom Platz stand der Judenreferent Frost und teilte ein: rechts, links, rechts, links. Links bedeutete Zwangsarbeit, rechts Vernichtung. Fast alle mußten nach rechts, auch wir. Wir wurden zum Bahnhof geführt und in Güterwaggons gepreßt. Es war heiß, der Zug stand stundenlang in der Sonne. Nichts zu trinken. Wir hatten uns alle nackt ausgezogen, so heiß war es, und vor Durst habe ich meinen Urin getrunken. In der Nacht ist es mir gelungen, den Stacheldraht vor einer Luke wegzureißen. Dann bin ich aus dem Zug gesprungen.“

Isaak schlug sich auf Umwegen nach Kolomea durch und erfuhr, daß auch seine Mutter und Schwester wenig später aus dem Todeszug gesprungen waren. Er suchte sie und fand die beiden im Ghetto des Städtchens Rohatyn. Zu dritt wollten sie zurück nach Kolomea.

„In Chodorow mußten wir umsteigen. Wir waren vielleicht eine halbe Stunde auf dem Bahnhof, dann kam der Zug nach Kolomea. Am Ausgang zum Bahnsteig stand ein Deutscher. Der zeigte nur auf meine Mutter und meine Schwester und sagte: „Jüdin, Jüdin.“ Zu mir kein Wort. Er hat sie abgeführt. Seither habe ich nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich war vor zwei Jahren am Bahnhof von Chodorow. An der Stelle, wo sie abgeführt wurden, habe ich Blumen hingelegt. Die Leute haben mich komisch angeschaut und wohl gedacht, daß ich deppert bin.“

Isaak Krauthammer hat zu Ende erzählt. Sein Kaffee ist kalt geworden. „Wissen Sie“, sagt er zum Schluß, „vergessen werde ich das nie und will es auch nicht. Man sagt mir immer: fünfzig Jahre her, laß doch die Vergangenheit ruhen, die junge Generation hat damit nichts zu tun. Das stimmt. Aber daß Jesus vor zweitausend Jahren gekreuzigt wurde, hat doch auch niemand vergessen. Warum sollen wir vergessen, was vor fünfzig Jahren war?