Propaganda plus x

■ Staatliches Radio, durch Werbung und Joint-ventures finanziert - in Schanghai geht China neue Wege

In Deutschland bot man dem Mann bei seinem Besuch schon scherzhaft einen Beratervertrag an, damit er den öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen wieder zu mehr Publikum verhelfe. Seinen eigenen Sender nämlich hat der Intendant der Shanghai Eastern Radio Station, Chen Shenglai, zu einem Senkrechtstarter gemacht. Mit gut 70 Festangestellten und, wie er betont, ohne einen Pfennig Geld vom chinesischen Staat macht Chen Shenglai ein Programm für „Boomtown“ Schanghai und die wirtschaftsstarken Provinzen Jiangsu, Anhui und Zhejiang – insgesamt 30 Millionen Einwohner. Mit drei Kanälen fing man 1992 an, ein Jahr später kam ein über Satellit verbreiteter Börsenkanal hinzu, und auch der Einstieg ins Fernsehen ist inzwischen geschafft: Auf einem der vier Schanghaier Kabelsender strahlt Eastern Radio 18 Stunden täglich Musikvideos aus.

Der 43jährige Chen, selbstverständlich Parteimitglied, ist ein alter Hase im Rundfunkgeschäft. Im System des staatlich kontrollierten chinesischen Rundfunks brachte er es bis zum Chefredakteur des Kulturressorts im damals noch einzigen Schanghaier Sender, Radio Schanghai. Dann kam seine große Chance: Radio Schanghai entschloß sich zur „Zellteilung“. „Der Indendant hielt den Sender für zu groß und unflexibel“, erklärt Chen vorsichtig den Hintergrund. An Wettbewerb habe es gefehlt, und das Programm sei langweilig gewesen. Da Radiomacher und Partei nicht auch noch den letzten Hörer an die chinesischen Programme von BBC oder Voice of America verlieren wollten, schufen sie also dem staatlichen Sender kurzerhand einen (wenn auch ebenfalls staatlichen) Konkurrenten. Welche Fraktionskämpfe dabei eine Rolle spielten, ob Vertreter eines Schanghaier Reformkapitalismus damit einer Fraktion von peking- orientierten Planwirtschaftlern Boden abgerungen haben – darüber kann viel spekuliert werden. Sicher ist nur: Shanghai Eastern Radio ging auf Sendung, und Chen Shenglai wurde sein Intendant.

„Vertrauliches um Mitternacht“

Zwar sorgt auch er zuverlässig für die immer noch allen chinesischen Medien aufgetragene „Propaganda für die Partei“. Daneben gibt es aber Sendungen wie „Der heiße Draht“ oder „Vertrauliches um Mitternacht“, bei der Hörerinnen und Hörer anrufen können (so sie zu den wenigen Besitzern eines Telefons gehören). Mit ihnen macht Eastern Radio den alteingesessenen Sendern die Hörer abspenstig. Über Eheprobleme oder Scheidung zu reden, galt zu Anfang noch als kleiner Skandal, aber angesichts des Erfolgs zog die Konkurrenz bald nach.

Eastern Radio hat – so gibt man jedenfalls selbst an – nicht nur Radio Schanghai, sondern auch die Sender bevölkerungsreicher Provinzen wie Sichuan überflügelt. „Wir stehen landesweit jetzt an dritter Stelle“, sagt Chen, ohne allerdings Zahlen preiszugeben.

Werbung heißt das Zauberwort für die Finanzbeschaffung, denn Rundfunkgebühren gibt es nicht. Schon 1992 wurde eine Gesamtsumme von rund einer Milliarde US-Dollar für Werbung auf dem vielbeschworenen größten Markt der Welt ausgegeben, und der Trend zeigt steil nach oben. Eastern Radio geht dabei Wege, die für chinesische Medien bislang tabu waren: Einige Sendungen werden ganz offen von chinesischen und ausländischen Firmen gesponsert. Der Gipfel dieser „ungesunden Tendenz“, vor der in internen Publikationen der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei noch bis vor kurzem gewarnt wurde: Im Juni vergangenen Jahres versteigerte Shanghai Eastern Radio zum ersten Mal öffentlich Titelrechte, Koproduktionsrechte und Werbezeit seiner Programme. Um derartige Kampagnen kümmert sich ein eigens dafür gegründetes Subunternehmen, die East Advertising General Company. Das PR-Unternehmen berät aber nicht nur potentielle Kunden von Eastern Radio, es bietet seine Dienste jedem an, der für sein Produkt eine neue Marketingstrategie braucht. Die dabei erwirtschafteten Gewinne schöpft Eastern Radio ab und finanziert damit seine Programme.

Auch für die Zusammenarbeit mit dem Ausland bedient sich der Sender einer gemeinsam mit der Luxemburger CLT (RTL) gegründeten Firma und umgeht damit elegant das noch geltende Verbot westlicher Kapitalbeteiligungen an Rundfunk und Presse in China.

Welche Wege man in der Zusammenarbeit mit öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland gehen kann, versuchte Chen bei seinem Besuch beim ZDF und verschiedenen ARD-Anstalten abzuklären. Sein umfangreiches Programmangebot, ein reiner Kinder- und Jugendkanal, ein Börsenradio, das über Satellit bald 400 chinesische Großstädte erreichen will, und der jüngste Sprung ins Fernsehgeschäft machen den Sender zu einem attraktiver Partner. Auch wenn der vorsichtige Chen Shenglai offiziell die Parole ausgibt: „Nach drei Jahren schnellem Wachstum müssen wir uns erst einmal auf das Erreichte konzentrieren.“ Allein dafür ist er sicherlich nicht nach Deutschland gekommen. Monika Ermert