„Der Staat hat die Gefahr selber geschaffen“

■ Der Plutoniumschmuggel war eine Provokation durch den BND, sagt Anwalt Werner Leitner, der den Angeklagten Justiniano Torres-Benitez verteidigt

taz: Herr Leitner, Sie haben wiederholt erklärt, belegen zu können, daß der Plutoniumschmuggel vom August vergangenen Jahres von den Sicherheitsbehörden inszeniert worden ist. Welche Belege haben Sie?

Werner Leitner: Ich habe gesagt, daß sehr viel für eine solche Inszenierung spricht. Ich werde dem Gericht dazu im Laufe des Prozesses auch Beweisangebote machen.

Nun wurde ihr Mandant aber auf dem Münchner Flughafen mit über 360 Gramm Plutonium im Koffer festgenommen. Er soll sogar angeboten haben, vier weitere Kilogramm des Bombenstoffs zu beschaffen.

Im einzelnen kann und will ich mich hier nicht äußern. Nur soviel: Die Tatsache, daß es so gewesen sein mag, widerlegt noch nicht den Vorwurf, daß hier eine unzulässige Provokation durch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes in die Welt gesetzt wurde. In diesem Prozeß wird die Frage ausschlaggebend sein, wer initiativ geworden ist – ob es die Angeklagten oder ob es die Mitarbeiter des BND waren. Nach meinem Kenntnisstand spricht alles dafür, daß es der Bundesnachrichtendienst war, der sich hier mit einem Erfolg schmücken wollte.

Unterstellt, es war so, hat dann der Staat seinen Strafverfolgungsanpruch verwirkt?

Wenn das normwidrige Verhalten von seiten einer Behörde kommt, noch dazu von einer Behörde, die keinerlei Kontrolle durch die Justiz unterliegt, dann muß der Staat die Verantwortung für diesen Fehlgriff übernehmen. Nach meiner Ansicht mit der Folge, daß der Strafanspruch verwirkt ist. Das ist in der Rechtsprechung zwar umstritten, für die Höhe der Strafzumessung wird diese Frage aber eine erhebliche Bedeutung haben.

Möglicherweise geht der Prozeß in München ja zu Ende, bevor in Bonn ein Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Plutoniumaffäre seine Arbeit überhaupt richtig aufgenommen hat.

Es ist nicht die Sache eines Strafprozesses, die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu machen. Das gilt auch umgekehrt. Beide Verfahren unterscheiden sich formal und inhaltlich. Ob die beiden Gremien nun gleichzeitig oder nacheinander stattfinden, ist aus meiner Sicht nicht so erheblich. Ich habe den Strafprozeß so zu führen, als ob der Untersuchungsausschuß nicht existieren würde.

Im Rahmen des Scheingeschäftes hat ein verdeckter Ermittler auch eine fingierte Bankbürgschaft für mehr als 200 Millionen Dollar vorgelegt. Wird dieses Zusammenspiel zwischen Geheimdienst, Polizei und Banken auch Gegenstand des Prozesses?

Ein Schwerpunkt des Prozesses wird die Klärung der Vorgeschichte und werden die einzelnen Handlungen des Nachrichtendienstes sein. Hat es diese Bankbürgschaft gegeben, dann wird sie auch Prozeßgegenstand werden.

Innenminister Beckstein und Staatsminister Schmidbauer behaupten nach wie vor, es wäre die Pflicht der Behörden gewesen, frei vagabundierendes Atombombenmaterial sicherzustellen.

Der Begriff „vagabundierend“ stammt nicht von der Verteidigung. Ich sehe eine solche Pflicht, die der Minister Beckstein angeführt hat, nicht. Ich sehe vielmehr eine Verpflichtung für sämtliche Nachrichtendienste und Behörden, kernwaffenfähiges Material von der Bundesrepublik fernzuhalten. Ich denke, die Verteidigung wird belegen können, daß es zu keiner Zeit vagabundierendes Material gegeben hat. Es gab wohl Material, das in der Bundesrepublik auf dem Transportwege war. Diesen Transportweg haben die Behörden aber selber zu verantworten. Die Gefahr, die sie vorgeben bekämpfen zu müssen, die haben sie selber geschaffen. Interview: Wolfgang Gast