■ Feminismus im Informationszeitalter
: Chancen ausloten und mitgestalten

Bekanntlich neigen Frauen eher zu skeptischen Haltungen, wenn sie den möglichen Beitrag technischer Innovationen zur Verbesserung ihrer Lebensqualität bewerten sollen. Der Grund hierfür wird in der ihnen traditionell zugeschriebenen Arbeit gesehen, sind doch die Grenzen der Technik nie offensichtlicher als etwa bei der Erziehung von Kindern. Aber glaubt man den neuen Visionären, die in der Zukunft der weltweiten Vernetzung via Datenautobahnen einen Demokratisierungs- sowie Kommunikationsschub ungeahnten Ausmaßes erblicken, dann wünscht man sich einen beherzteren Zugang von Frauen zu diesen technischen Neuerungen. Nun, da das sozialistische Gesellschaftsmodell endgültig als Zukunftsutopie ausgedient hat, sollte uns da die Geschichte zu Hilfe kommen und herrschaftsfreie Kommunikation sowie demokratischere Arbeits- und Lebensbeziehungen zwischen den Geschlechtern doch noch unerwartet bescheren? Wie können die durch Glasfaserkabel geschickten Informationen, die theoretisch jedem/jeder zugänglich sind und weltweit verbinden, die Qualität in den Geschlechterbeziehungen längerfristig und einschneidend verbessern helfen? Von feministischer Seite ist hier so richtig noch nicht darüber nachgedacht worden. Eine öffentliche Diskussion zu „Feminismus und Informationsgesellschaft“ gibt es nicht. Aber aus der Tradition feministischer Kritik heraus gibt es ein immer wiederkehrendes Analysemuster, das meistens auch bei neuen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen zum Tragen kommt. So wird üblicherweise in der aktuellen Situation auf die in ihren Konsequenzen sozial ungerechte Praxis von Deregulierung, Flexibilisierung und ungeschützten Arbeitsverhältnissen hingewiesen. Eine Entwicklung, die auch für die zukünftige Informationsgesellschaft prognostiziert wird, mit dem obligatorischen Hinweis, daß Frauen entsprechend besonders betroffen sind. So werden politisch diskutierte Perspektiven, die mit möglichen Entwicklungschancen hin zu einer gerechteren Arbeitsverteilung zwischen Männern und Frauen verbunden sind, als unrealistisch abgetan: eine Träumerei, die angesichts der Realität „die Feministin in Beweisnot bringt“ (Ulrike Baureithel, taz v. 8.3.95).

Für die feministische Theorie und Praxis bis heute typisch ist der stets geschärfte Blick für die gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die Frauen benachteiligen. Dabei bestätigt sich jedoch immer wieder auf einer neuen Ebene der Status der Frauen als Opfer. Die Möglichkeit, daß vermehrt Erwerbsarbeitsplätze von Männern ins Haus verlegt werden können und Konferenzschaltungen über Computer die Geschäftsreise entfallen lassen, läßt potentiell sowohl das Zeitbudget des Mannes für andere Tätigkeiten anwachsen, aber ihn auch Alltagsarrangements trainieren, die als täglicher Spagat von Frauen bislang üblich sind. Solche Entwicklungstrends bringen selbstverständlich nicht per se Gerechtigkeit ins Geschlechterverhältnis. Das behaupten zu wollen, hieße, die bestehenden Machtkonstellationen zu ignorieren. Solche Trends machen zunächst erst einmal nur auf Widersprüchlichkeiten in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen aufmerksam, die es politisch zu gestalten gilt.

Der geschärfte Blick für die Benachteiligungen von Frauen ersetzt nicht das Nachdenken über Politik, geschweige denn das „doing politics“, das Politikmachen. Eine Verwechslung, die gerade in der feministischen Diskussion sehr häufig anzutreffen ist. Beides, die Tendenz im feministischen Denken, Ambivalenzen zugunsten von beklagten Nachteilen der Frauen einseitig auflösen zu wollen, wie die Ebenenverwechslung von Analyse und politischer Praxis, führt mit zu dem eher trostlosen Zustand, in dem sich feministische Politik in Deutschland und die sie hier begleitenden Debatten zur Zeit befinden. Zugegeben, da unterscheidet sich Frauenpolitik nicht von der restlichen Politik. Ihre immer noch geringe Verankerung in den Machtzentren der Gesellschaft und der Bedeutungsschwund autonomer Frauenpolitik machen sie jedoch vergleichsweise krisenanfälliger. Zudem ermöglichen die stabilen männerbündischen Strukturen, daß auf gravierende gesellschaftliche Veränderungen schneller reagiert werden kann, als dies für die fragmentierten frauenpolitischen Strukturen der Fall ist. Die Informationskanäle laufen bei den Männern untereinander auch ohne Bits und Bytes auf traditionellem Weg schon immer schnell und fürs Frauenauge nahezu bravourös lobbyistisch sekundiert von einer entsprechend strukturierten medialen Öffentlichkeit. In diese Richtung am stabilsten funktionieren die politischen Austauschbeziehungen bei Frauen leider immer noch dann am besten, wenn es gilt, vermeintlich oder real Bedrohtes zu retten, z.B. beim Machtverlust einer Frau oder dem Ende eines Frauenprojekts. Dann wird politische Öffentlichkeit von Frauen rituell in Szene gesetzt. Für soziale und ökonomische Umbruchsituationen, in deren Folge Politik immer prekäre Zeiten zu managen hat, reichen allem Anschein nach diese entwickelten politischen Informations- und Kommunikationsmuster der Frauen nicht aus. Was hier ganz offensichtlich fehlt, ist eine Kultur von Frauen, die der Lust an Politik, an Politikgestaltung und -entwicklung förderlich ist und nicht, da wo frau etwas davon zu spüren bekommt, sie zu untergraben versucht. So können gerade politisch schwierige Zeiten Motivation und Anreiz sein, neue politische Ideen zu entwickeln und politische Debatten anzuzetteln. Die schnelle und konsensuale Einigung auf gängige Einschätzungen, daß zuallererst die Frauen auf der Strecke bleiben, führt ebenso zu einem lähmenden Zustand wie krampfhaftes Festhalten an Praxisprojekten, deren innovative Potenz sich schon länger verloren hat. So hat sich der Eindruck verschärft, als hätten wir es in den letzten Jahren mit einem freiwilligen Abschied der Frauen aus der politischen Öffentlichkeit zu tun. Parallel zu den Diagnosen gesellschaftlicher Benachteiligung muß an politische Modelle gedacht werden, die Entwicklungschancen von Frauen aufzeigen und Optionen frauenpolitischer Gestaltung verdeutlichen. Politische Perspektiven zu entwickeln, die das Ende der Wachstums- und die zukünftige Entwicklung der Informationsgesellschaft verbinden können mit Konzepten, die eine Umverteilungsgerechtigkeit auch im Geschlechterverhältnis eröffnen, ohne bloß eine „gerechte Verteilung des Mangels zu sein“ (Ulrike Baureithel) – das ist primär eine Aufgabe feministischer Politik. Wenn wir dabei nicht gleich die schwere Bürde einer „Beweislast“ zu tragen haben (Ulrike Baureithel), dann kann sich vielleicht auch einmal diese Lust, Politik zu gestalten, für Frauen tragfähiger entwickeln. Und wenn wir hierbei zur Entwicklung globaler Perspektiven Unterstützung bekommen, weil in naher Zukunft die Kommunikation mit der Kollegin in Djakarta, Daressalam oder São Paulo selbstverständlich sein wird, welche Frau kann da schon etwas dagegen haben? Dörthe Jung

Büro für frauenpolitische Forschung und Beratung, Frankfurt am Main