Für Hasch und ein freies Berlin

■ Die Schülerinnen einer Steglitzer Berufsschule rückten den ParteienvertreterInnen auf den Leib / Ergebnis ihrer „Probewahl“ in echten Wahlkabinen: Rot-Grün weit vorn

Es geht aufwärts in Deutschland! Jedenfalls mit dem Selbstbewußtsein der jungen Frauen. Normalerweise sind es ja immer die Kerle, die bei Diskussionsveranstaltungen reden. In der Hermann- Hollerith-Schule in Steglitz aber rücken zwei Tage vor der Bundestagswahl vor allem die Mädchen, die meisten zudem ausländischer Herkunft, den eingeladenen ParteienvertreterInnen mit kritischen Fragen zu Leibe. Um sie am Ende des zweistündigen Rededuells auch noch aufgeregt zu beschimpfen: „Ihr redet immer nur und ändert nix!“

Überhaupt geht es weit angenehmer und lebhafter zu als bei normalen Wahlkampfveranstaltungen. 550 BerufsschülerInnen und BerufsfachschülerInnen im Erstwähleralter sitzen, lässig auf Matten gruppiert, in der Turnhalle, tratschen mit den Nachbarn, gähnen, klatschen, schreien „buh“. Vor allem dann, wenn die CDU in Gestalt ihres Landespressesprechers Marco Hardt redet, denn die Sympathie der großen Mehrheit gehört eindeutig rot-grün.

Auch die FDP hat es hier schwer, was aber wieder mal an ihr selber liegt. Ihre Bundestagskandidatin, die Malerin Anna von Halem, befindet lapidar, daß es „uns in Deutschland doch eigentlich verdammt gut geht. Deswegen wollen auch die ganzen Ausländer zu uns kommen.“ Was eine junge Türkin mit Kopftuch veranlaßt, ihr über das Saalmikrofon wütend ins Gesicht zu schleudern: „Uns geht es so gut? Warum finden wir dann keine Ausbildungsplätze?“ Riesenbeifall. Aber auch der smarte CDU-Sprecher, der mit seinen 27 Jahren immer noch wie ein Abiturient aussieht, befindet, „daß es keine Verarmung gibt. Ihr seht doch alle ganz gut angezogen und gut ernährt aus.“ Und scheint sich noch zu wundern, daß das nicht besonders gut ankommt.

Auch die Ausführungen der PDS-Landesvorsitzenden Petra Pau stoßen nicht gerade auf großes Interesse. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach und der grüne Landtagsabgeordnete Bernd Köppl hingegen dürfen sich der Sympathie der Massen sicher sein. „Die Parteien, die den Wechsel schaffen, sind die SPD und die Grünen“, glaubt die rote Renate beifallumrauscht, derweil ein junger Mann vor Begeisterung sein Käppi mit aufgesticktem Cannabis-Blatt in die Luft wirft.

Derweil wird die Schlange vor dem Saalmikro immer länger. Mädchen mit Kopftüchern, mit Rasta-Locken, mit dunklem Teint wollen die Fragen loswerden, die sie besonders brennend interessieren: „Was tut ihr gegen Rassismus?“ „Seid ihr für das Ausländerwahlrecht?“ „Warum werden Graffiti-Sprayer per Sonderkommission mehr verfolgt als Nazis?“ „Weshalb sagt mir die Dresdner Bank, leg erst mal dein Kopftuch ab, bevor du einen Ausbildungsplatz kriegst? Ich denke, hier herrscht Religionsfreiheit!“ Der Beifall für diese Frage geht in lautes Trampeln über.

Gemessen am Klatsch-Pegel, scheint es nur ein Problem zu geben, das den jungen Leuten ebenso nahe geht. Ein junger Türke deutet das geheime Begehren in seiner Frage an: „Was halten die Grünen von Drogen? Wird Haschisch immer weiter verboten?“ Und als Bernd Köppl dann erklären darf, daß weiche Drogen endlich entkriminalisiert gehörten, ist ihm das allgemeine Jubilieren sicher.

Hat der Grüne hier noch ein paar Herzen gewinnen können? Das Ergebnis der anschließenden „Probewahl“ dürfte ihm jedenfalls gefallen haben: 26,27 Prozent der SchülerInnen stimmten für die Grünen und 41,24 Prozent für die SPD. Die CDU kam auf magere 14,59 Prozent. Die FDP mit 2,18 scheiterte genauso wie die PDS mit 2,55 an der Fünfprozenthürde. Die Grauen erreichten 0,7 und die „Partei der Arbeitslosen und sozial Schwachen“ 2,5 Prozent. Der Wermutstropfen: Die Reps erhielten von den 274 abgegebenen Stimmen immerhin 2,91 Prozent. Eine Reaktion der männlichen Jungwähler auf ihre allzu selbstbewußten ausländischen Mitschülerinnen? Ute Scheub