Kaputte Typen

■ Die Interviews des TV-Gecken Wolfgang Korruhn gibt's jetzt auch in Buchform

Das wehende weiße Haar eines nicht allzu prominenten, aber offensichtlich extrem eitlen Fernsehjournalisten. Der glatte, sattfarbige Umschlag spekuliert auf Kaufhauspublikum. Dazu der Titel: „Hautnah – Indiskrete Gespräche“. Nein danke.

Ich griff dann doch danach und ließ nicht mehr ab von dem Band. Nach fünf Stunden Lektüre und dreizehn Gesprächen mit unter anderen Golo Mann, Willy Millowitsch, Evelyn Künneke, Günter Schabowski, Horst Eberhard Richter und Udo Jürgens legte ich es um drei Uhr nachts beiseite und verfluchte den Verlag, der das Buch der falschen Klientel andiente, verfluchte mich, der ich es darum beinahe übersehen hätte.

Am Samstag, den 17. Juli veröffentlichte die taz so etwas wie ein Gespräch mit der bekennenden Terroristin Birgit Hogefeld. Eine der Reaktionen auf die Äußerungen der längsten Illegalen dieser Republik war die Enttäuschung darüber, daß auch Terroristen nichts sind als ganz normale Menschen. Korruhn sprach nicht mit Terroristen, er sprach mit staatstragenden Berühmtheiten. Aber verglichen mit Frau Hogefeld erscheinen sie hier alle als kaputte Typen.

Als Korruhn Rut Brandt auf die Berührungsängste ihres Mannes anspricht, entlockt er ihr den schrecklichen Satz: „Arm in Arm sind wir nie gegangen.“ Willy Brandt erotisierte die deutsche Nachkriegspolitik wie keiner vor und keiner nach ihm. Seine Frauengeschichten mehrten die Zahl seiner Verehrerinnen. Er selbst aber versank immer wieder in tagelange Depressionen, sprach dann mit kaum jemandem. Mit Bahr oder Ehmke vielleicht. Nicht mit seiner Frau. „Er war nicht liebesfähig?“ fragt Korruhn. „Weiß ich nicht“, antwortet die Mutter seiner Kinder.

Der liberale Teil der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit feierte in den 70er Jahren Willy Brandt als den weltoffenen, wachen, tatkräftigen jungen Mann, der das Land aus Adenauers Greisenschatten hinausführte. Eine groteske Täuschung. Jede Spontaneität war dem immer wieder von Selbstzweifeln und Destruktionsgelüsten attackierten Mann fremd. Die Studentenbewegung muß ihn bis ins Mark erschreckt haben. Einer, der davon sprach, man müsse mehr Demokratie „wagen“, verfügte in erster Linie über andere Optionen. Das wurde damals zunächst überhört. Bis der Radikalenerlaß und andere Errungenschaften sozialdemokratischer Regierungspolitik die Willy-Begeisterung dämpfen halfen. Willy Brandts Abgründe faszinieren, weil er immer wieder die Kraft fand, sie zu überspringen.

Anders Kurt Rebmann, der Einserjurist. Immer noch stolz darauf und gleichzeitig auf seinen klaren Verstand. Korruhn fragt: „Kennen Sie so etwas wie Mitgefühl mit einem Angeklagten?“ Rebmann erinnert sich an eine solche Regung. Sie fand 1951 statt. Lange her. Aber er wird danach nicht mehr viel Gelegenheit gehabt haben, über ähnliche Taten zu Gericht zu sitzen. Sein Mitleid galt einem SS-Mann, der einen Gefangenen mit Hunden zu Tode gehetzt hatte. Wie gut, meint Rebmann, daß es einen Paragraphen gab, der für solche Fälle es zuließ, vom „Befehlsnotstand“ zu sprechen.

Das rare Gut seines Mitleids hat der Generalbundesanwalt der Bundesrepublik Deutschland, des demokratischsten aller Gemeinwesen, die dieser Boden die letzten zwei Jahrtausende kannte, einem SS-Mann gereicht, der „so irgendwelche Inhaftierte“ zu Tode hetzte. Rebmanns Sohn hat sich das Leben genommen. Korruhn fragt den Vater danach. Der kann sich auch nach längerem Nachdenken nicht erinnern, wo und wie ihn die Todesnachricht erreichte. Er war zu sehr mit der Verfolgung der Damen und Herren von der Rote- Armee-Fraktion beschäftigt. Korruhn gelingt es, Herrn Rebmann sich selbst schlimmer darstellen zu lassen, als seine ärgsten Feinde ihn je sich ausgemalt haben: „,Wir sind positivistisch erzogen worden‘, erklärt mir Rebmann, ,für uns war Gehorsam gegen das Gesetz selbstverständlich. Zum Beispiel Todesstrafe für Plünderung nach Luftangriffen. Absolute Todesstrafe auch für Turnschuhe, dafür hatten wir Verständnis.‘ Der pensionierte Generalbundesanwalt brütet noch einen Moment über der Zeit unter Hitler und sagt dann: ,So schlecht war ja nicht alles, was der Nationalsozialismus gemacht hat.‘“ Die Fragen, die sich sofort aufdrängen, sind keine, die Rebmann beantworten könnte: Wie kann man einem solchen Mann ein solches Amt, diese Verantwortung geben? Warum kommen ihm Turnschuhe in den Sinn?

Korruhn hat auch mit dem neuen Bundespräsidenten gesprochen. Ein Grundkurs in kritischem Journalismus. Herzog ist ein stockautoritärer, nachtragender, kleinlicher Charakter mit einem lebensgefährlichen Rechtsdrall. Voller Stolz erzählt er, daß er zwanzig Jahre lang einer Frau nicht verziehen hat, daß sie ihm das versprochene Spanferkelschwänzchen nicht gegeben hatte. Daß, wer so auf seinem Schwanz besteht, seinen Söhnen nicht gestattet, ihre Zimmer für Liebesspiele mit der Freundin zu nutzen, versteht sich von selbst.

Der Jurist Roman Herzog wird auf drei Seiten vom Fernsehjournalisten Wolfgang Korruhn nach den juristischen Untaten seiner Lehrer und Freunde Theodor Maunz und Hans Karl Filbinger befragt. Maunz war ein aufrechter Demokrat. „Im Grundgesetz- Kommentar steht kein einziger falscher Satz.“ Nazi war Maunz nur aus Opportunismus, nicht aus Überzeugung. Herzog merkt nicht, daß das bei bestimmten Aktionen eher schlimmer ist. Filbinger habe nur Leute verurteilt, die schon in Sicherheit waren. Korruhn ist gut vorbereitet, treibt Herzog in die Enge. Bis der merkt, was ihm alles rausgerutscht ist, sein Gegenüber mit großen Augen scharf ansieht und erklärt: „Ich dachte, wir wollen über mich reden. Oder?“ Man hat selten so viel über ihn erfahren. Arno Widmann

Wolfgang Korruhn: „Hautnah – Indiskrete Gespräche“. Econ, 256 Seiten, 13 Fotos, geb., 39,80 DM