Explosion der Straftaten in den Griff bekommen

■ Bayerns Innenminister Beckstein zur Inneren Sicherheit und der Nähe von CSU und Reps

taz: Sind Sie mit der bayerischen Politik zur Inneren Sicherheit zufrieden?

Günther Beckstein: Ja, wir sind das sicherste Bundesland. Wir haben die niedrigste Kriminalitätsbelastung aller Bundesländer und mit 61,8 Prozent die höchste Aufklärungsquote. Die Innere Sicherheit war immer ein CSU-Markenzeichen, das werden wir auch behalten.

Ihr Parteivorsitzender Waigel hat für die 94er Wahlen die Devise ausgegeben, die Wahlen werden mit Themen rechts von der Mitte gewonnen. Innere Sicherheit ist auch ein typisches Schwerpunktthema aller rechtsextremen Gruppierungen. Begibt sich die CSU mit diesem Thema auf Stimmenfang am rechten Rand?

Daß Rechtsextreme alle möglichen Themen aufgreifen, stört mich überhaupt nicht. Es kommt nicht darauf an, ob hier Rechtsextreme von der CSU abschreiben. Ansteigende Kriminalität ist ein Problem, das die Bürger bewegt. Entscheidend ist, durch qualifizierte Sicherheitspolitik dafür zu sorgen, daß wir die drohende Explosion der Straftaten in den Griff kriegen. Da ist die Politik Bayerns ein wichtiger Meilenstein dazu.

Innere Sicherheit scheint zudem ein ideales Thema zu sein, um gleichzeitig die sogenannte Ausländerfrage mit einzubeziehen. Auch Sie wollen es nicht lassen, ständig von der „Kriminalitätsbelastung der ausländischen Bevölkerung“ zu reden.

So trifft das nicht zu. Laut Bayerischer Kriminalstatistik von 1993 waren 42,8 % aller ermittelten Tatverdächtigen nichtdeutsche Tatverdächtige. Vor 10 Jahren lag der Anteil noch bei 20,1 %. Das ist ein Grund zur Sorge. Selbst wenn man Touristen, illegale Einwanderer und Asylbewerber herausrechnet, steht fest: ein Fünftel der ausländischen Tatverdächtigen sind in Bayern dauerhaft ansässig. Das ist immer noch deutlich zu viel. Eine Untersuchung der Jahre 1983 bis 1990 zeigte, daß dieser Bevölkerungsteil damit um das Zweieinhalbfache mehr belastet war als die in Bayern ansässigen Deutschen. Allerdings unterscheidet sich die soziologische Schichtung der ausländischen Bevölkerung von der deutschen.

Wenn man schon weiß, daß diese Zahlen nicht aussagekräftig sind, warum verzichten Sie dann nicht einfach auf solche Angaben, die natürlich immer Munition für Rechtsextremisten sind?

Probleme löst man nicht dadurch, daß man die Augen vor ihnen verschließt, sondern daß man sie sieht und Lösungsmöglichkeiten findet.

Als Innenminister eines Landes, das die Reps vom Verfassungsschutz beobachten läßt, kennen Sie das Rep-Programm wahrscheinlich sehr genau. Wie werten Sie die Übereinstimmungen zwischen dem CSU- und dem Rep- Programm in den Bereichen Asyl oder Innere Sicherheit?

Die Reps haben sich sorgfältig gecleant. Sie achten darauf, daß sie mit öffentlichen Aussagen und ihrem Programm nicht als extremistische, sondern als mustergültig demokratische Partei erscheinen. Deswegen beobachten wir wie auch die meisten anderen Innenminister die Reps mit nachrichtendienstlichen Mitteln, um deren wirkliche rechtsextremistische Überzeugung offenlegen zu können. Grundsätzlich wird aber eine wahre Aussage nicht dadurch in Frage gestellt, daß sie auch von anderen, die man nicht gerne in seiner Gesellschaft hat, in ähnlicher Weise vertreten wird.

Streibl trifft sich mit Schönhuber, Gauweiler nennt die Reps „ein bisserl rechts“, Haider einen „interessanten Politiker“. Muß sich die CSU nicht bald selbst beobachten lassen?

Viele derjenigen, die solche Fragen stellen, tun das mit großer Scheinheiligkeit. Wer Herrn Gysi und Leuten von der PDS mit Stolz Foren für öffentliche Stellungnahmen gibt, hat wenig Recht, anderen zu untersagen, mit irgend jemand ein privates Gespräch zu führen. Für mich ist aber entscheidend: es wird eine Zusammenarbeit zwischen der CSU und den Republikanern nicht geben. Die SPD soll dies bezüglich der PDS aber genauso deutlich sagen. Wir brauchen die gleichen Maßstäbe nach rechts und links ...

... Sie können doch nicht immer das eine mit dem anderen aufrechnen. Das Treffen Streibl–Schönhuber wertet natürlich den Rep- Chef auf ...

... Es gibt viele Treffen von herausragenden SPD-Leuten mit Gysi, dem Repräsentanten einer eindeutig verfassungswidrigen Partei ...

... War das Treffen politisch falsch oder nicht?

Es war kein politisches Treffen. Es hat kein Amtsträger mit Schönhuber gesprochen. Streibl war zurückgetreten, also nur noch Privatmann. Ob das Treffen politisch klug war, ist eine andere Frage.

Wenn man nach den Ursachen der steigenden Kriminalität und Brutalität fragt, wird oft von Ihnen als Argument der Werteverfall durch die „68er Kulturrevolution“ angeführt. Franz Schönhuber argumentiert identisch.

Ich weiß nicht, was da der Schönhuber im Detail sagt. Vergleichbare Überlegungen sind mir aber von dem sicher nicht als Rechtsausleger zu bezeichnenden Heiner Geißler bekannt. Die Anonymisierung der Gesellschaft, die geringere Bindung an bestimmte Grundwerte ist unbestreitbar eine wichtige Ursache für steigende Kriminalität und Gewaltbereitschaft. Für die neuen Länder gelten zusätzliche Aspekte.

Oft wird gefordert, die nationale Identität wieder als Grundwert eines starken Staates zu verankern. „Der Staat muß wieder als eine Schutz- und Schicksalsgemeinschaft verstanden werden.“ Wem würden Sie das Zitat zuordnen. Wolfgang Schäuble oder Franz Schönhuber?

Ich weiß nicht, wer dies gesagt hat ...

... Es stammt von Schäuble ...

... Aber es ist klar, daß ein Staat für seine Staatsangehörigen eine besondere Verantwortung hat. Daß wir hierbei im internationalen Bereich auch auf die deutschen Interessen zu achten haben, ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Wolfgang Schäuble argumentiert, daß es in Deutschland an nationalem Bewußtsein fehle, um soziale Konflikte beherrschbar zu machen. Brauchen wir eine neue Sinnstiftung in Richtung mehr Nationalbewußtsein?

Für mich ist die Frage, wie kann ich dem Bürger in den alten Ländern erklären, daß wir im Jahr 150 Milliarden DM in die neuen Länder transferieren. Das hängt doch damit zusammen, daß die neuen Länder ein Teil Deutschlands sind und daß man deswegen eine wesentlich höhere Verpflichtung zur Solidarität hat. Es ist doch gerade das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl des Durchschnittsbürgers, weshalb sein Verständnis für Einschränkungen besteht. Das ist eine rationale Begründung. Es gibt auch eine irrationale: Gerade in einer anonymer werdenden Gesellschaft, muß man wissen, daß man eine gewisse Bindung hat. Ich halte es für selbstverständlich, daß 48 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs auch in der Bundesrepublik ein nicht überzogenes, aber durchaus selbstbewußtes nationales Gefühl entsteht. Wenn mich jemand im Ausland fragt, wo ich herkomme, dann sage ich selbstbewußt, daß ich Deutscher bin, der aus der Tradition seines Volkes heraus einen Teil seiner Identität bezieht mit all seinen Stärken und seinen Schwächen, die unsere Geschichte hat. Das zu leugnen wäre irreal. Das würde nur bedeuten, daß wir noch weniger beheimatet wären und noch größere Probleme hätten.