Seniorentango und die Antifa-Woche

Das Kommunikationszentrum (KOMM) in Nürnberg, eines der ältesten soziokulturellen Zentren Deutschlands, wird 20 / Partnerschaft von Stadt und Selbstverwaltung / „Das KOMM gehört dazu wie Bratwurst und Lebkuchen“  ■ Von Bernd Siegler

„Wir hoffen, auch weiterhin ein Haus für Träume und Utopien fern von Konsum und Kommerzgesellschaft zu sein, aus denen sich Möglichkeiten zur Veränderung der Wirklichkeit entwickeln.“ Das Nürnberger Kommunikationszentrum (KOMM), eines der ältesten selbstverwalteten Zentren in der Bundesrepublik, begeht in diesen Tagen seinen 20. Geburtstag. „Totgesagte leben länger“ lautet das Jubiläumsmotto – und das kommt nicht von ungefähr. Seit zwei Jahrzehnten ist das KOMM der bayerischen Staatsregierung und der örtlichen CSU ein Dorn im Auge, immer wieder hetzten die örtlichen Medien gegen die „Drogenhöhle“ und das „Terroristennest“, Rechtsradikale plakatieren in der Stadt „Zerschlagt das KOMM“, und Nürnbergs Kulturreferentin Karla Fohrbock sprach schon von einer „Vorhölle“.

Im Juli 1973 begann an exponierter Stelle der Stadt der Probelauf eines Experiments. Am Königstor, gleich gegenüber vom Hauptbahnhof und direkt am Eingang zur schmucken Nürnberger Altstadt, wollte Nürnbergs damaliger Kulturreferent Hermann Glaser zusammen mit Kunstpädagogen ein „bürgernahes Kulturzentrum“ ausprobieren. Der Probelauf übertraf alle Erwartungen. Über 10.000 Besucher strömten in das Haus, das einst Galerien, dann das SA-Heim, nach 1945 den „Americana Club“ für die US-Soldaten, später die Pädagogische Hochschule beherbergte und schließlich wegen Baufälligkeit zum Abriß vorgesehen war. Nur notdürftig saniert steht das Haus noch heute. Die Jugendzentrumsbewegung hat sich das städtische Experiment angeeignet und darin seit Oktober 1973 ein selbstverwaltetes Zentrum unter städtischem Dach etabliert.

Seither ist das KOMM Seismograph für Subkulturen aller Art und politische Bewegungen. Atomkraftgegner, linke Gruppen und Autonome sind im Haus genauso daheim wie Müslis, Punks, Skins, Dealer und Penner. Konflikte waren damit programmiert, das Haus als Thema für jeden Kommunalwahlkampf gut. CSU und bayerische Staatsregierung ließen nichts unversucht, das KOMM und damit auch die SPD-regierte Stadt Nürnberg zu treffen. Der Schuß ging letztendlich nach hinten los. Spätestens mit den Massenverhaftungen am 5. März 1981 wurde das KOMM bundesweit berühmt, und die Solidarität reichte weit über die Stadtgrenzen hinaus. Damals umzingelte die Polizei nach einer Hausbesetzerdemonstration das Haus und nahm alle 141 Besucher fest. Die Polizeiaktion wurde zum justizpolitischen Skandal ersten Ranges. Akten verschwanden, tauchten wieder auf und enthüllten den Einsatz polizeilicher Provokateure sowie ein abgekartetes Spiel von Polizei und Innenministerium. Alle Anklagen brachen in sich zusammen.

Als Nürnbergs damaliger Oberbürgermeister Urschlechter auf Druck der Staatsregierung schließlich 1982 die Rechte der Vollversammlung beschneiden wollte, nabelte sich das KOMM von der Stadt ab. Ein Verein führt jetzt das Haus. In Selbstverwaltung, aber im sicheren Schoß städtischer Subvention. 1,26 Millionen Mark läßt sich die Stadt Jahr für Jahr das Zentrum kosten. Über einen Betrag von 325.000 DM darf die Mitgliederversammlung als oberstes Organ des Vereins entscheiden – ein partnerschaftliches Modell zwischen der Stadt Nürnberg und dem KOMM-Verein.

„Die Selbstverwaltung funktioniert auch heute noch“, betont KOMM-Leiter Wolfgang Kischka. Auch nach fünfzehn Jahren ist sein Verhältnis zum KOMM ambivalent. „Manchmal ist das KOMM wie eine geliebte Frau, dann wieder wie ein Kotzbrocken.“ „Uns war schon immer eine übel gelaunte Scene von Schlägern, Dealern, Besoffenen und sonstigen Idioten gegenüber, welche die Arbeit oft kontraproduktiv werden lassen“, läßt KOMM-Mitarbeiter Peter Heß die letzten 20 Jahre Revue passieren. Die Offenheit des Hauses hat ihren Preis.

„Wenn das Haus im Würgegriff der sozialen Probleme ist, dann hat es immer sofort ausschließenden Charakter für manche Jugendliche“, betont Michael Popp (51), der „Vater“ des Experiments. Der heutige Chef des „Amtes für Kultur und Freizeit“ sieht aber noch eine andere Gefahr: „Die Autonomen haben einen stark politischen Drive ins Haus gebracht, darin liegen auch Herrschaftsansprüche auf andere Gruppen und auf Verhaltensweisen.“ Auch damit würde mancher Besucher abgeschreckt. Trotzdem ist Popp mit jährlich 130.000 Besuchern zufrieden. Das Haus habe „seine Funktion zu allen Zeiten erfüllt“, zudem sei es für die Stadt ein „Prüfstein der Toleranz“.

Die vier städtischen MitarbeiterInnen und die sechs von der Selbstverwaltung gewählten Sekretäre hoffen, daß „das KOMM in seiner Buntheit so weiter existiert“. Während im Hinterzimmer die SeniorenInnen zur Melodie „Darf ich bitten zum Tango um Mitternacht“ das Tanzbein schwingen, wird in anderen Räumen die nächste „Antifa-Woche“ organisiert. Etwa 40 Gruppen haben im KOMM ihre Heimat. Mit über 100 Konzerten im Jahr, mehreren Cafés und Werkstätten, einem eigenen Kino, einer Disco, einem Archiv und einer Vielzahl von Wortveranstaltungen, Ausstellungen und eigenen Projekten wie „Mythen und Moden“ oder „Künstliche Paradiese“, einer Ausstellung zur Drogenproblematik, ist das KOMM im Nürnberger Kulturleben fest verankert.

„Das KOMM gehört zu Nürnberg wie die Bratwürste und die Lebkuchen“, behauptet der 24jährige KOMM-Sekretär Andreas, genannt „Eisbär“. Er arbeitet im Café Cosmic mit, in dem derzeit die Hippie-Zeit Auferstehung feiert. „Eisbär“ findet das KOMM „einfach cool“. Für den Sozialwissenschaftler Thomas Röbke ist das zu einfach. Jahrelang hat er das KOMM erforscht und seine Doktorarbeit zum KOMM als „Beitrag zur Geschichte der Basisdemokratie“ auf 500 Seiten in Buchform (Campus-Verlag) verewigt. Röbke glaubt nicht an eine reibungslose Zukunft des Hauses. Es gebe „immer mehr sozial marginalisierte Jugendliche“, zum anderen habe „sich eine Kultur der Ereignisse, des Erlebnisses, des Festivals und des Ambientes in den letzten Jahren etabliert“. Da werde es immer „schwieriger, widersprüchliche kulturelle und soziale Interessen auszutarieren“.

KOMM-Forscher Röbke fordert die Institutionen in der Stadt auf, „mehr an der Konfliktfähigkeit zu lernen, die das KOMM in den letzten 20 Jahren repräsentiert hat“. Doch gerade diese permanente Streitkultur wähnt er in Gefahr. Auch im KOMM seien in den Jahren „Mißtrauensverhältnisse“ gewachsen. Von vielen Aktiven werde der „Austausch von Erfahrungen und Argumenten als Verschwendung von Zeit angesehen“. Abgrenzungen und Verkrustungen seien zu beobachten.

Statt dessen haben aber viele politische Gruppierungen und kulturelle Initiativen dem Haus den Rücken gekehrt. Sie überlassen das Feld anderen, die das Haus als ihren Besitzstand begreifen und sich abschotten. Eine Entwicklung, die das Selbstverständnis des KOMM als „zentralen Ort des sozialen Lernens, des Erlernens von Demokratie“ (KOMM-Leiter Kischka) in Frage stellt. Gerade der „zunehmende rechte Mainstream“ verlange aber, so KOMM- Mitarbeiterin Brigitte Schönig, „nach demokratischen Gegenkonzepten“. Da biete das KOMM die Möglichkeiten, „Erfahrungen mit fairer Konfliktlösung durch Diskussion und Verabredung gemeinsamer Regeln zu sammeln“.

Von außen hat das KOMM derzeit jedoch nichts zu befürchten. Zwar sind Polizeieinsätze gegen die Szene vor dem Haus an der Tagesordnung, und die CSU fordert auch dieses Jahr wieder, die städtischen Zuschüsse für das KOMM zu streichen, aber alle Pläne für den Umbau des Hauses sind aus finanziellen Gründen auf absehbare Zeit begraben. Im Mai letzten Jahres unternahm die parteilose Kulturreferentin Fohrbeck den bislang letzten Vorstoß gegen das KOMM. Doch OB Peter Schönlein (SPD) fuhr ihr in die Parade. Das KOMM sei „unverzichtbarer soziokultureller Bestandteil“ der städtischen Kulturpolitik.

Die „Sparkommission überragt alles Lebendige“, kommentiert Fohrbeck inzwischen die leeren städtischen Kassen, die das Gebäude am Königstor und damit das KOMM vor tiefgreifenden Veränderungen bewahren. Hinter dem KOMM stehe sie zwar nicht („Ich stehe hinter gar nichts“), will Fohrbeck keinerlei Illusionen aufkommen lassen, aber es seien „keine Feindbilder in Sicht“. Solche „Spielwiesen“ sollte man erhalten, zudem wüßte man „im Rathaus sehr gut, welche Dienste im KOMM geleistet werden“.