Kennt seine Landschaft

Pläne weggemetert: Eine Ausstellung zum Garten-Ingenieur Peter Joseph Lenné im Architekturmuseum Frankfurt. Faul gemacht, aber schön, fand  ■ Martin Kieren

Der erste Blick auf die Entwurfszeichnung ist verwirrend. Der Abstraktionsgrad, der diesem Papier eingeschrieben ist, ist so schnell nicht aufzulösen, die Farben und Linien entflechten sich erst spät zu einem Sinn, die Verwirrung und mangelnde Orientierung wächst mit der Fülle an gezeichneter Information. Die hellen, frei gelassenen Linien bilden das Wegesystem, mal geradlinig quadratische oder rechteckige Flächen, mal in geschwungener Form amorphe Inseln bildend. An den Außenrändern des großen Blattes werden eher die lichten, weiträumigen Flächen, die Felder und Flure und das Straßensystem des barocken Potsdam markiert. In der Mitte dann eine Schneise, eine Allee in einem dunkleren Feld, eine gelbe Waagerechte zwischen zwei symmetrischen Figuren. Vorherrschend graue, braune und verschiedene grüne und gelbe Töne, alle Farben weich, pastellen. Der Gesamteindruck wirkt bei längerer Betrachtung überraschend, dann überwältigend. Die Zeichnung wirkt wie ein Bild und zeugt von großer Meisterschaft des „Komponisten“. Hier hat einer seine Idee durchgearbeitet und die Details mit Hingabe ziseliert und zur Anschauung gebracht. Was wir sehen? Den „Plan von Sans Souci und dessen Umgebungen nebst Project fließendes und springendes Wasser dahinzubringen, so wie auch die Promenaden zu verschönern. Entworfen und gezeichnet von P.J. Lenné, 1816.“

Nach genauerem Hinsehen entschlüsseln sich Einzelheiten dieser Gesamtidee: Die Linien, die das Wegesystem markieren, es in diesem der Zeichnung eigenen Abstraktionsgrad darstellen, sind gesäumt von klitzekleinen, grünen Pünktchen (verschiedene Grüns!), darunter kleine Häkchen, darunter, immer in der gleichen Richtung, braungraue Flächen: Bäume und Büsche und die dazugehörigen Schatten. Nach diesem Blick wandert man auf der Karte zunehmend weiter, wobei das Blatt plastisch wird. Der Kenner stutzt, sortiert diese Busch- und Baumgruppen und benennt sie mit ihrem botanischen Namen. So genau ist dieser Plan gezeichnet.

Dieser Plan, eine Inkunabel der Gartenkunst des 18. Jahrhunderts, zeigt den ersten Entwurf Peter Joseph Lennés für die Gartenanlage von Sanssouci in Potsdam von 1816, nachdem er im gleichen Jahr – zwar schon Garten-Ingenieur von Beruf – nur als „Garten-Gehilfe“ in Potsdam eine Anstellung fand. Sein Aufstieg aber ging rasant vonstatten in der preußischen Gärtner-Hierarchie: 1822 war er Gründungsmitglied des „Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den königlich-preußischen Staaten“, 1824 Gründer einer Landesbaumschule und einer Gärtnerlehranstalt, und im gleichen Jahr wurde er gleichberechtigter „Königlicher Gartendirektor“ neben Johann Gottlob Schulze. 1826 wurde er als alleiniger Gartendirektor bestellt.

Fünfzig Jahre blieb Lenné im Dienste Preußens bis zu seinem Tod im Jahre 1866. Was er in dieser Zeit schuf, ist enorm. Vor allem seine Verdienste um die Städte Potsdam und Berlin werden zu Recht immer wieder hervorgehoben. Und vor allem auf seine Leistung geht es zurück, daß die Unesco die Potsdamer Park- und Kulturlandschaft 1991 in die Liste des Weltkulturerbes eintragen ließ.

Dabei ist es vor allem die Idee und die Beharrlichkeit, mit der er seine Ziele verfolgte, insbesondere sein Hauptziel: die umfassende „Verschönerung“ nämlich dieser Landschaft zwischen der Pfaueninsel in der Havel zwischen Berlin und Potsdam und dem Schwielowsee im Südwesten der „Insel Potsdam“.

Ja, Verschönerung. Immer wieder taucht dieses Zauberwort in seinen wenigen Texten und auf den Legenden seiner Pläne auf, so auch auf seinem „Verschönerungsplan der Umgebung von Potsdam“ von 1833. Dieser Plan bildete im weiteren die Grundlage für den Ausbau und die Gestaltung dieser „Insel Potsdam“ genannten Landschaft. Denn ein kurzer Blick auf die Umgebungskarte der Stadt zeigt, daß es sich tatsächlich um eine Insel handelt, ein Landschaftsgebiet, das im Westen, Süden und Osten von der Havel und im Norden von einem Stichkanal gerahmt wird. Das Wasser war also somit der Ausgangspunkt der Verschönerung. Die Grundidee Lennés bestand darin, eine artifizielle Landschaft zu gestalten, in deren topographischer Mitte eben die Havel liegt als das diese Landschaft gleichsam konstituierende Element. Diese Havelpartie liegt im Plan von 1833 diagonal von links unten bis rechts oben dem eigentlichen Einflußgebiet Lennéscher Planungen zugrunde: Alle weiteren Partien hatten sich dieser Achse unterzuordnen. Es war die Schauseite Arkadiens.

Lenné griff bei diesen Planungen, bei seinen Gestaltungsabsichten auf die Idee des englischen Landschaftsgartens, wie er sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatte, zurück. Nicht mehr die barocke Strenge war Thema bei der Gestaltung der herrschaftlichen Güter, Parks und Gärten, nicht mehr das der Zentralperspektive sich verdankende Sehen und Denken, sondern die frei bewegte Landschaft, das gelichtete Gehölz mit überraschenden Ausblicken, die „natürliche“ Erscheinung (gegenüber barocker Domestizierung) und das ideale Arkadien, in dem sich der sich hier Verlustierende seine eigenen Bilder schafft. Lenné war also nicht eigentlicher Erfinder – er war nur ein Interpret, ein virtuoser Anwender dieser Prinzipien, die in Europa, vornehmlich in England und Deutschland am Anfang des 19.Jahrhunderts, in die Gartentheorie Einlaß fanden.

Der Theorie folgte die Zeichnung, der Plan – diesen die Umsetzung. Und eben deshalb ist es schwierig, diese Theorien in einer Ausstellung anschaulich zu machen. Den Plänen bleibt der Abstraktionsgrad immer eigen, selbst dann, wenn man diese Pläne zu lesen, heißt: die Zeichen zu übersetzen versteht. Der Lustwandelnde in Arkadien schaut in den Himmel, geradeaus, oder er senkt andächtig sein Haupt. Im besten Falle schaut er nach innen. Nie aber wird er wie der Vogel der Landschaft von oben ansichtig, nie bleibt das wirkliche, gesehene und gefühlte Bild so starr, so unbeweglich wie eben das Bild, von dem ein Plan Zeugnis gibt. Wie eine ideale Dia- oder Bilderschau stellt sich der Wanderer seine Bilder selbst zusammen, immer ist er auch aktiver und nicht nur passiver Betrachter – so er bereit und in der Lage ist, das zu Sehende auch zu schauen, es mit sich, also den ihm eigenen Beständen zu verschmelzen. Gefühl und Intellekt, Traum und Wachsein bilden hier die Voraussetzungen für das Funktionieren der im Park, im Garten angestrebten und ideell angelegten Einheit von Mensch und Natur.

Und gerade deshalb auch ist die Ausstellung über Peter Joseph Lenné im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main höchst unbefriedigend. Es wurde leider gar kein Versuch unternommen, über die Pläne und Zeichnungen hinaus Informationen in Form anderen Anschauungsmaterials anzubieten. Man könnte böse sagen, daß die Pläne einfach weggemetert wurden, hintereinander gehängt wie Wäschestücke auf einer Leine; da flattern sie nun, die bunten, oft hinreißend kolorierten Zeichnungen, auf denen die Wiesenflächen schimmern und sich die Wegesysteme zu eigenwilligen Netzen verweben. Aber sie geben nicht mehr her als eben sich als Plan, als farbiges Papier. Keine Ergänzungen in Form von ausgewählten Fotografien. Keine Bilder und Aquarelle aus dem 19.Jahrhundert, auf denen die Maler und Zeichner dies Arkadien zu bannen suchten. Keine Hinweise auf Überformungen, längst überwachsene Landpartien, weitreichende Zerstörungen durch alle späteren Generationen. Zuletzt keine wirkliche Bemühung und in solchem Falle notwendige Anstrengung, ein aufschlußreicheres Bild der Ideen Lennés und seiner Zeitgenossen zu erarbeiten und dem Ausstellungsbesucher anzubieten.

Natürlich ist so etwas nicht ganz einfach, zumal es sich bei Lennés Erbe um eine hochkomplizierte Angelegenheit handelt, um den Versuch nämlich, das zu bändigen, was wahrscheinlich gar nicht zu bändigen ist: den biologischen Prozeß der Natur. Diese arbeitet ja gerade nicht „natürlich“, sondern mit einem unerhörten Verschleiß, mit Hervorbringen und Fallenlassen, mit Wachstum, Welken und Zerstörung. Die „natürliche“ Landschaft im Sinne Lennés und seiner Zeitgenossen erforderte ein ständiges, unablässiges Bemühen, Beschneiden, Achtsamkeiten, Herumgärtnern. Der angelegte Blick durch einen Park, gar durch mehrere Parks und über Wasser hinweg, die vielerorts gerühmten „Sichtachsen“ – points de vue – sie erstreckten sich über Hunderte von Metern und waren in Schichten wie die verschiedenen Vorhänge einer Kulisse auf Perspektivwirkung angelegt. Links und rechts mußten die Bäume, die Büsche und mußten die Hecken beschnitten werden, damit die Blicke nicht verstellt wurden, nicht zuwuchsen. Hier, an den Enden dieser Sichtachsen, waren die anderen artifiziellen Gebilde eingeschoben, in das Blickfeld gleichsam einoperierte Architekturkulissen von Freunden und Zeitgenossen Lennés wie Karl Friedrich Schinkel oder dessen Schüler Ludwig Persius. Und auch aus diesem Kontrast erwuchs die teils heute nachvollziehbare Spannung: aus dem zwischen der unnatürlichen „Natürlichkeit“ der Landschaft und den festen und zweckgebundenen Artefakten in Form gebauter Architektur – auch ein Gedanke aus Arkadiens Ferne. Selbst die wechselnden Farben und Töne des Laubs wurden in der Planung mitbedacht.

All dies hätte man anläßlich einer solchen Gelegenheit wie der Frankfurter Ausstellung berücksichtigen müssen. Doch man findet nicht eines dieser Problemfelder auch bloß angedacht. Die Zeichnung ist nun einmal ein Arbeits- beziehungsweise ein Hilfsmittel des Architekten, in diesem Falle des Gartendirektors, der diese seinem Auftraggeber vorlegt. Aber dieser kennt eben seine Landschaft, seinen Park, seinen Garten aus der Anschauung, aus dem Erleben, aus der unmittelbaren Berührung mit dem „natürlichen“ Bestand, der bloß umgestaltet werden soll. In allen Etagen des Architekturmuseums das gleiche tote Bild, die gähnende Tristesse fehlenden Esprits. Der wissenschaftliche Aufwand, so es ihn denn gibt, steckt mal wieder im Katalog.

Zuletzt bleibt zu fragen, warum die Ausstellung anschließend in Stuttgart, nicht aber in Berlin und Potsdam zu sehen sein wird. Zumal fast alle Leihgaben aus Berliner oder Potsdamer Beständen kommen. Gerade in der aktuellen und schwierigen Diskussion über städtebauliche Fragen und Landschaftsentwicklung, über die Verbindung und Erschließung von Stadt und Land, über die Verzahnung landschaftlich reizvoller und artifizieller Gebiete mit großstädtischen, urbanen Zonen – gerade hier, vor Ort, wäre eine Ausstellung über Lenné und die Folgen von absoluter Notwendigkeit. Die Gefahr der weiteren Verformungen und Überlagerungen dieser Gebiete durch Investitionsbegehren aus der Gewerbe- und Tourismusbranche ist groß. Für eine Bestandsaufnahme wäre es höchste Zeit.

Architekturmuseum Frankfurt/ Main.

Bis 22. August, Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Katalog: 84 DM