Erinnernde Reflexion

■ Architektur in Berlin – Jahrbuch 1992

Berlin besteht momentan hauptsächlich aus Baustellen. Der Hochbau und der Straßenbau sind aber nur zwei Aspekte des Geschehens, welches das Bild der Stadt in Zukunft prägen wird – hinzu kommt die Form, die Architektur. Zuletzt will der Wille alles auch zeitgenössisch architektonisch ausgedrückt sehen, als Bild in Erscheinung treten, sich behaupten gegen die Tradition der Baugeschichte unserer Stadt. Die gegenwärtigen Projekte stehen nicht einzeln für sich, und auch die Bauherren haben sich an das zu halten, was ihnen vorgegeben wird. Der Kontext und die Struktur der Stadt sind in vielen Bereichen vorformuliert, an diesen haben sich die Planungen auszurichten. Dort, wo dieser Kontext nicht so stark ist, wo der letzte Krieg und die Nachkriegsplanungen und -ideologien ein Identitätsdefizit hinterlassen haben, dort müssen die neuen Bauten und Projekte diese neue Struktur bilden. Sie tragen zur Stadtgeschichte bei und setzen sich den Konnotationen der Stadtbewohner und -besucher aus. Dieses Phänomen und das Treiben der Politiker, Planer und Bauherren begleiten und kommentieren will das erste „Architektur-Jahrbuch“ Berlins. Es will regelmäßig „erinnernde Reflexionen zur Stadtgeschichte, kritische Stellungnahmen zu aktuellen Bauprojekten, stadtlandschaftliche Perspektiven, Blicke auf Innenarchitektur und Design und anregende Randbemerkungen“ bieten. Es bleibt abzuwarten, ob das immer gelingt. Unter den vier Rubriken des ersten Heftes: Stadtraum und Stadtgeschichte, Stadtlandschaft, Bauen in Berlin und Marginalien. Die mit dem ersten Jahrbuch vorliegenden Texte schwanken zwischen Erhabenheit, Banalität und zum Teil bemühter Aufklärung und Philosophiegebrösel, die vorgestellten Projekte sind manchmal ärgerlich bis zufällig und haarscharf an Schöner Wohnen vorbei. Daß die Tageszeitung, die taz, in diesem Buch vorkommt, liegt daran, daß sie eines der schönsten Häuser besitzt, die in den letzten Jahren in dieser unserer Stadt gebaut wurden – den begleitenden und beschreibenden Text verstehe ich allerdings nicht! Mein Gott, kann man denn nicht mal Sprache finden für das, was gebaut wird? Die Idee eines regelmäßigen Jahrbuches „Architektur in Berlin“ ist also gut – das nächste muß allerdings besser werden. Martin Kieren

„Architektur in Berlin – Jahrbuch 1992“, Hrsg. von der Architektenkammer Berlin, 208 Seiten, ca. 180 Abb., Junius Verlag, 58 DM.