Tradition in Backstein

■ Ein Buch zur Bedeutung, Planungs- und Baugeschichte der Friedrich-Werderschen Kirche von K.F. Schinkel

Man muß sich nur eine Weile auf die gegenüberliegende freie Fläche stellen und von Südwesten auf dieses eigenartige Gebäude schauen: wie da aus rotem Backstein neogotisierende Formen so ganz und gar fremd für die Umgebung emporwachsen, aber gar zu gotisch auch wieder nicht sind. Eigenwillig bekrönt am Rand von Fialen, die sich jeweils an den vier Ecken der beiden Türme und auf den Strebepfeilern der Seitenwände des Kirchenschiffs befinden–: also keine hochstrebenden und oben spitzen Kirchentürme, so, wie sie 20 Jahre nach Fertigstellung des Baus Friedrich August Stüler als Ergänzung vorschlug. Dafür ist dem Baukörper eine Horizontale eingezeichnet: als hervortretendes Backsteinband, das den Sockel anzeigt und das Gebäude so optisch breiter stehen läßt. Überhaupt ist der kubische Charakter eher klassizistischen Grundformen verpflichtet als gotischen. Was aber am meisten irritiert, ist tatsächlich die in schlichtem, sprödem Backstein gehaltene Form, die fast mönchische Kargheit, die eher an die Kutte eines Benediktiners erinnert als an eine Kirche, die ein preußischer König im 19. Jahrhundert in Auftrag gab.

Im März 1824 ließ sich König Friedrich Wilhelm III. von Karl Friedrich Schinkel vier Entwürfe für die Friedrich-Werdersche Kirche vorlegen: dieser hatte zwei gotisierende und zwei antikisierende Vorschläge gemacht. Standort: der Werdersche Markt, mit Sichtbeziehung zum Schloß und zur Münze von Heinrich Gentz. Von den beiden gotisierenden wählte der König den zweitürmigen aus, und noch im gleichen Jahr begann man mit dem Bau. In Schinkels Erläuterungsbericht heißt es: „In dieser etwas engeren Gegend der Stadt, die durch die Unregelmäßigkeit ihrer Straßenanlagen sich dem Altertümlichen nähert, dürfte eine Kirche im Mittelalterstil wohl an ihrem Platze sein. Da jedoch die Baustelle nicht sehr groß ist, so würde es nicht geraten sein, dem Plan größerer Dome aus dem Mittelalter zu folgen; deshalb hielt ich es zweckmäßig, dem Gebäude mehr den Charakter der englischen Chapels zu geben, worin einige große Verhältnisse wirken und das ganze sich eng zusammenschließt (...) das ganze Gebäude würde aus Backstein erbaut und bliebe in sorgsamer Mauerarbeit ohne Abputz, wie die Kirchen des Mittelalters unserer Gegenden ...“ (1824)

Über diese Kirche, ihre Geschichte und ihr Schicksal gibt jetzt ein Buch von Martina Abri Auskunft, und es ist ihr Verdienst, die Bedeutung des Backsteins für diesen Bau und vor allem dessen Geschichte in „unseren Gegenden“ in den Vordergrund ihrer Betrachtungen gestellt zu haben. Wird im ersten Kapitel die Planungsgeschichte vom ersten Entwurf als römischer Tempel, über den als Wandpfeilerkirche bis hin zu den gotisierenden und antikisierenden Entwürfen und zur Bedeutung der Backsteinkirche im 19. Jahrhundert beschrieben, widmen sich die beiden folgenden Kapitel eben diesem Backstein und den Bedingungen und Schwierigkeiten der Bauausführung. Denn die eigentliche Bedeutung des Kirchenbaus liegt ja gerade in der Neubegründung der speziell preußischen Backsteintradition durch Schinkel. Mit der Errichtung der benachbarten Bauakademie zwischen 1832 und 1836 hat er diese Tradition noch einmal aufgegriffen und sie endlich für das Berlin des 19. Jahrhunderts fruchtbar gemacht.

Die letzten Kapitel des Buches beschreiben die Kirche „im Wandel der Zeiten“, zum Beispiel die Veränderung mittels Stülerscher Fialen und die Umgestaltung des Innenraums. Da die Autorin selbst an den jahrelangen Rekonstruktionsarbeiten nicht unwesentlich beteiligt war, kann sie auch einen vorzüglichen Einblick in die Schwierigkeiten geben, die mit einer solchen Rekonstruktion verbunden sind. Zwar sind diese Erläuterungen meist sehr trocken und referierend gehalten – die Arbeit verdankt sich einer Dissertation –, dafür aber entschädigen die Zeichnungen und Fotos, die dem Buch durchgehend beigegeben sind, und ein umfangreiches und aktuelles Literaturverzeichnis. Martin Kieren

Martina Abri „Die Friedrich-Werdersche Kirche zu Berlin. Technik und Ästhetik in der Backsteinarchitektur K.F. Schinkels“, in der Reihe: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 22, 206 Seiten, 145 Abb., 12 Farbtafeln, Gebrüder Mann Verlag, Berlin 1992, Leinen 148 DM. (Die Kirche ist als „Schinkel-Museum“ von Mittwoch bis Sonntag, jeweils 10–18 Uhr, geöffnet. Es beherbergt Teile des Schinkel-Nachlasses und vor allem Bildhauerkunst des Berliner Klassizismus.)