Deutschlandbilder Ost

Was wird aus den DEFA-Dokumentarfilmen?  ■  Von Andreas Nowak

Neue Zeiten, andere Produktionsbedingungen: In der DDR wurde die Gattung Dokumentarfilm staatlich subventioniert, jetzt müssen sich die ehemaligen DEFA-Dokumentaristen auf die knappen Etats der öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalten und den Kampf um Filmfördermittel einstellen.

Einige von ihnen, Autoren, Regisseure, Produzenten, waren dabei, als Mitte Oktober auf der Jahrestagung des Stuttgarter Hauses des Dokumentarfilms der Versuch gemacht wurde, sich dem in der alten BRD weitgehend unbekannt gebliebenen Teil der DEFA-Produktion zu nähern. Unter dem Titel „Deutschlandbilder Ost. Dokumentarfilme der DEFA“ sollten „Entwicklungsphasen, Leistungen und Grenzen“ einer „bedeutenden deutschen Dokumentarfilm-Tradition“ vorgestellt werden.

In viereinhalb Jahrzehnten wurden bei der DEFA neben den Spielfilmen rund 6.000 Dokumentarfilme produziert, außerdem die Beiträge für 2.006 Folgen der Wochenschau „Der Augenzeuge“.

Charakteristisch für die Anfangsphase waren die „Trümmer- und Aufbaufilme“, z.B. „Berlin im Aufbau“ (1946) von Marion Keller (Buch) und Kurt Maetzig (Regie), in dem neben der eindrucksvollen Schilderung der Not im zerbombten Berlin im Jahre zwei nach Kriegsende kein Zweifel am propagandistischen Ziel, der Motivierung für den gesellschaftlichen Neuanfang, gelassen wird. Keller und Maetzig gestalteten ab Februar 1946 auch die DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“, deren Aufgabe in dieser Phase Keller in einem Rückblick auf ihre vier Jahre als Chefredakteurin mit den Stichworten „Tendenz der Ermutigung“ und „Priorität des Positiven“ umschrieb.

Zunächst sahen sich die DEFA- Dokumentaristen mit ihren idealistisch-humanistischen Motiven in Übereinstimmung mit den ökonomisch-politischen Strategien in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone. Probleme entstanden, als den sowjetischen Kulturfunktionären, die als Zensoren tätig waren, deutsche Parteibürokraten an die Seite traten und immer häufiger, so auch beim „Augenzeugen“, filmische Darstellungen dessen, „was sein soll“, den Vorrang vor dem erhielten, „was ist“.

Die Dokumentarfilmer der fünfziger Jahre versuchten noch, den gesellschaftlichen Anforderungen der neuen Zeit gerecht zu werden, indem sie (wie etwa Hugo Hermann 1957 in „Stahl und Menschen“), ganze Szenen inszenierten, um realistischen Bildern von der Knochenarbeit im Sinne des sozialistischen Fortschritts auf die Sprünge zu helfen und das Engagement der Stahlwerker bei der Verbesserung der Technik und Arbeitsorganisation zu belegen. Aus dem Off erklang – im heute naiv anmutenden Duktus der Aufbaujahre – die Hoffnung: „Wenn sich Arbeiter und Maschinen eingespielt haben, wird das Werk wie am Schnürchen laufen“, oder, aus der Perspektive eines Kindes: „Ich glaube, auf diese Vatis kann man sich schon verlassen.“

In den sechziger Jahren wurde das Fernsehen zum bevorzugten Instrument propagandistischer Aufgaben. Durch diese Verlagerung wurde der politische Druck auf die Dokumentarfilmer bei der DEFA geringer. Außerdem begannen die ersten an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg ausgebildeten Filmemacher (darunter Winfried Junge, Jahrgang 35, und Jürgen Böttcher, Jahrgang 31) ihre Arbeit bei der DEFA. Jetzt entstanden (einzelne) Filme, in denen der DDR-Alltag aus künstlerisch- persönlichem Blickwinkel eingefangen wurde. Die Erweiterung des Repertoires filmischer Themen wie ästhetischer Ausdrucksmittel bei der DEFA fanden nicht ohne Konflikte und Widersprüche statt. Einerseits konnte „Altmeister“ Karl Gass (Jahrgang 1917) in „Feierabend“ (1964) einen ungeschminkten Eindruck vom Arbeitsalltag auf einer Großbaustelle vermitteln – indem er die „Helden der Arbeit“ in ihrer Freizeit, auch beim Besäufnis in ihrer Kneipe, zeigte. Andererseits wurde Jürgen Böttchers Film „Drei von vielen“ (1961; über persönliche Freunde in Dresden) verboten und totgeschwiegen (uraufgeführt erst 1988 in England), genauso wie 1966 der von Böttcher inszenierte Spielfilm „Jahrgang 45“ vor seiner Fertigstellung abgebrochen werden mußte – verboten wie etliche andere Filme nach dem verhängnisvollen 11. ZK-Plenum der SED im September 1965.

Einerseits versuchte die DDR in den sechziger Jahren, sich zu öffnen und international hoffähig zu werden. Die Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche präsentierte Arbeiten von Vertretern neuer Dokumentarfilmbewegungen wie die des französischen Cinéma vérité und gab „entscheidende Impulse“ (Junge) für die Entwicklung der Gattung im eigenen Land. Die kulturellen Einschüchterungen und Verbotspraktiken andererseits lassen sich als Symptome der Unsicherheit des politischen Apparats auf nationalem Parkett (nach dem Mauerbau) interpretieren, womit – so der Filmkritiker Heinz Kersten – auch die Abkehr von offensiven Formen der filmischen Argumentation gegen den Westen Deutschlands (wie noch in Walter Heynowskis „Brüder und Schwestern“ 1963) erklärt werden könne.

Ergebnis jener Aufbruchsstimmung in den Sechzigern sind Filme wie die Langzeit-Dokumentationen von Winfried Junge, der die Entwicklung der „Kinder von Golzow“ seit 1961 filmisch beobachtet und begleitet hat, und Volker Koepp (Jahrgang 44) mit seiner Wittstock-Serie über Arbeiterinnen einer Textilfabrik. Diese Filme, die eben trotz des engen politischen Korsetts und aufgrund der finanziell subventionierten Produktionsbedingungen des DEFA-Dokumentarfilms entstehen konnten, zählen zu denen, die über individuelle Biographien am genauesten Auskunft über Verhältnisse und Befindlichkeiten in der untergegangenen DDR geben. Junge und Koepp (und einige andere Dokumentaristen aus der DEFA) haben ihre Themen mit der Wende nicht aus den Augen verloren; auf ihre künftigen Arbeiten muß man gespannt sein.

Das große Publikum erreichten die kritischen DEFA-Filme in der DDR nicht, auch wenn es gegen Ende der achtziger Jahre Ausnahmen gab wie die Kompilationsfilme „Das Jahr 1945“ und „Eine deutsche Karriere“ von Karl Gass, die von Millionen gesehen wurden. Im Fernsehen durfte „ein wichtiger Teil der DEFA-Filme nicht gezeigt werden“, so Volker Koepp, der gegen das Bild der „glücklichen Jahre“ (Maetzig im Rückblick auf die Anfänge) auf seine Erfahrungen mit dem Spitzelsystem innerhalb der DEFA hinwies und zu den Arbeitsbedingungen anmerkte: „Die anderen machten die Kaisergeburtstagsfilme ... sie hatten die besseren Kameras, das meiste Geld – aber sie taten mir leid.“

Nachdem die DDR zum – nicht nur für Briefmarkensammler attraktiven – abgeschlossenen Sammelgebiet geworden ist, soll das filmische Erbe, wie Treuhänder und Kulturpolitiker versichern, von der Auslieferung an private Verwerter ausgespart bleiben. DEFA-Filmstock und -rechte sollen in eine Stiftung eingebracht und für die kommerzielle, wissenschaftliche und kulturelle Nutzung gesichert werden.

Daß Filme, zu deren Qualitäten Authentizität, Individualität und kinogerechte Bildsprache zählen, im Zeitalter von Videoclip-Ästhetik und „Reality-TV“ nur eine schwache Lobby besitzen, darin stimmten die Teilnehmer der Stuttgarter Tagung überein. Vor diesem Hintergrund wäre es kulturpolitisch schon ein Fortschritt, wenn aus den Erlösen der DEFA- Stiftung eines Tages finanzielle (Förder-) Mittel für neue Filme flössen, von denen auch der Dokumentarfilm profitierte.