Trutzig harrt die Pfefferburg auf dem Pfefferberg

■ 60 Initiativen warten dringlich darauf, die leerstehende Brauerei auf dem Pfefferberg endlich nutzen zu können/ 700 Arbeits- und 400 Ausbildungsplätze sind geplant/ Geheimnisvolle Burgkeller/ Auch die beteiligten Senatsverwaltungen sehen das Projekt »auf einem guten Weg«

Prenzlauer Berg. »Der Pfefferberg ist wie eine Burg«, glaubt Bert Bredemeyer und schaut sinnierend in die Sonne. »Wenn die fällt, wird der Prenzlauer Berg vollends zum Spekulantenparadies, aus dem das Kleingewerbe vertrieben wird.« Der Verein »Pfefferwerk« und sein Vizevorsitzender Bredemeyer mühen sich deshalb seit langem darum, endlich ihren Traum von einer »Kulturfabrik« in der seit zwei Jahren leerstehenden Brauerei auf dem Pfefferberg realisieren zu können. Auf dem 13.500 Quadratmeter großen Gelände an der Schönhauser Allee 176, so das Konzept des Vereins, könnten gut 60 Projekte mit rund 700 Arbeits- und 400 Ausbildungsplätzen den frühkapitalistischen Zuständen im Osten trotzen.

Trutzig wirkt die 1849 gebaute und unter Denkmalschutz stehende Brauerei in der Tat. Trotz des Leerstandes, der nur durch eine kurzzeitige Besetzung im Oktober 1990 unterbrochen wurde, scheinen die 21 Gebäude mit ihren roten und gelben Ziegelmustern, ihren Rosetten und Bogenfenstern, noch recht intakt zu sein. Ein Traumgelände der 1001 Möglichkeiten.

Die Führung auf dem Pfefferberg — der Name rührt vom bayrischen Brauereigründer Pfeffer her — beginnt im Nordhof, wo früher das 'Neue Deutschland‘ seinen Fuhrpark stationierte und seine Lehrlinge ausbildete. Dort soll nach der Vorstellung von »Pfefferwerk« das Pflaster entsiegelt werden und eine Grünfläche für zwei Kindertagesstätten und die AnwohnerInnen entstehen. Die Vorstellung, daß Leben und Arbeiten in der zukünftigen »Kulturfabrik« enger zusammengeführt werden sollen, entstand ebenfalls schon in der DDR. Das Architektenbüro Krüger-Salzl-Vandreike entwarf 1987 ein Modell von gemischten Wohn- und Gewerbehöfen. Es wurde verboten und wartete in den Schubladen auf seine Reaktivierung nach der Wende.

Die Architekten wollen sich zusammen mit Anwälten in den mittleren Häusern niederlassen. Über ihnen möchte sich eine multikulturelle Bildungsstätte für Jugendliche ansiedeln; unter ihnen sollen soziale und therapeutische Projekte, neben ihnen in vier hohen Hallen Künstlerateliers entstehen. Diese seltene Mischung — ein Drittel der 60 Projekte will sich um den sozialen Bereich und Bildungsarbeit kümmern, ein Drittel um Kunst und Kultur, ein Drittel um Gewerbe und Dienstleistungen — entstand als Fortentwicklung des Architektenmodells. Als größtes Projekt möchte der Paritätische Wohlfahrtsverband seine Landes- und Regionalgeschäftstelle hierher verlegen. Auch Westprojekte wie die »Neue Gesellschaft für Bildende Kunst«, das »Büro für ungewöhnliche Maßnahmen« oder die »Kampagne gegen Wehrpflicht« haben Interesse bekundet, und Vizevorständler Bert Bredemeyer begrüßt das: »Bei uns gibt es keine Konflikte zwischen Ost und West«. Der Pfefferberg als Bollwerk gegen die Mauer in den Köpfen?

Und wie es sich für eine richtige Burg gehört, gab es hier früher auch Pferdeställe — im ersten Stock. Über eine immer noch erhaltene Rampe trabten die Brauereipferde in ihre Wohn- und Schlafzimmer. Solche Zimmer sollen in den benachbarten Bauten jetzt wieder entstehen — allerdings für Menschen. Ein Jugendhotel, ein Haus der internationalen Begegnung und ein Nachbarschaftshaus sollen hier eröffnet werden. Daneben Druckereien, Handwebereien, Schneidereien, Werkstätten. »Die soziale und künstlerische Infrastruktur im Kiez ist unter den neuen Verhältnissen fast zusammengebrochen«, begründet ein »Pfefferwerk«- Mitarbeiter das Vorhaben. »Die Jugendclubs sind zu, die Senioren- und Feierabendheime sind zu, der ‘Prater‚ ist geschlossen worden.« Mit dem Ergebnis, daß Initiativen wie das Tanzprojekt des ‘Praters‚, ein Seniorenorchester und ein Theaterspielprojekt aus dem ehemaligen Pantomimen-Ensemble des Deutschen Staatstheaters dringend Räume suchen und ebenfalls hier einziehen möchten.

Unter den Pferdeställen beginnt der Einstieg in den geheimnisvollsten Ort der Burg, in die mehr als 3.000 Quadratmeter großen ehemaligen Gärkeller. Die zum Teil neun Meter hohen, geziegelten Tonnengewölbe sind wie geschaffen für Musikgruppen und Tanzveranstaltungen. An manchen Stellen entstanden sogar kleine Tropfsteinhöhlen: Eingedrungenes Wasser wusch Salpeter aus, der in bizarren Formen herunterhängt. Eine in phosphorgrün gestrichene Halle, die früher als Luftschutzkeller diente, provoziert Gänsehaut: Hier mußten Zwangsarbeiter in der Nazizeit Waffen herstellen. Ausgerechnet hier hat eine Filmgesellschaft, wie man an Wandparolen noch ablesen kann, einen Neonazi- Film gedreht. Die Wohnungsbaugesellschaft vermietete ihr den Raum umstandslos, während die Leute vom »Pfefferwerk« bis heute vergeblich auf Zwischennutzungsverträge warten.

Letzte Station der Führung ist der Burggarten, wo die Geführten sich auf Bänken unter alten Bäumen niederlassen, um der Geschichte des Projekts zu lauschen. Im letzten Jahr hatte der Bausenator das Bezirksamt mit der Erstellung einer Zustandsanalyse beauftragt. Der alternative Sanierungsträger »Stattbau« veranschlagte die Kosten einer Selbsthilfe- Restaurierung auf rund 20 Millionen Mark. Da außer »Pfefferwerk« niemand sonst ein Nutzungskonzept vorzuweisen hatte — einige interessierte Banken und Versicherungen kamen nur auf die Idee, die ehrwürdigen Keller »schleifen« zu lassen —, beschloß das Parlament am 21.Mai einstimmig, der Senat solle in Zusammenarbeit mit dem Verein Ende Juni ein Konzept vorlegen. Dieses sei »längst unterwegs«, teilweise von anderen beteiligten Senatsverwaltungen schon abgezeichnet und »inhaltlich unstrittig«, war aus der federführenden Kulturbehörde zu hören. »Wir sehen es trotz Einsparungen auf einem guten Weg«, so ihr Pressesprecher Rainer Klemke, »denn die alternative Farbe muß erhalten werden«. Auch das Eigentumsverhältnis — die Hälfte gehört dem Land, die Hälfte dem Bund — scheint nunmehr kein Hindernis mehr zu sein, da der Senat die Ansprüche eines noch in der SBZ enteigneten Alteigentümers nicht anerkannte. Vielleicht können die Projekte schon bald dort einziehen, wo der Pfeffer blüht. Ute Scheub